Die ehrwürdige Katharina aus dem Zisterzienser-Orden
Zu Löwen in Belgien lebte vor mehreren hundert Jahren ein Jude. Zu dem kam öfters ein Kaplan des Herzogs von Brabant, um mit ihm über den christlichen Glauben zu disputieren und ihn wo möglich zu bekehren. Der Jude hatte ein Töchterlein, welches öfters neugierig den Disputationen zuhörte, und dann in der Stille darüber nachdachte. So gelangte das Kind allmählich zur Erkenntnis des wahren Glaubens. Oft sann die kleine Rachel, so hieß das Mädchen, nach, wie denn ein Unterschied zwischen dem Namen eines Juden und eines Christen sein könne, da doch die Menschen das nämliche Antlitz und die nämliche Sprache hätten. Doch neigte sich ihr Herz immer mehr den Christen als den Juden zu. Sie hörte sehr gerne den Christusnamen sprechen und besonders ward sie erfreut, wenn sie den Namen der seligsten Jungfrau Maria nennen hörte. Sie nahm auch Brot vom Tisch der Eltern und gab es armen Christenkindern, damit sie aus ihrem Mund den Namen Maria hören konnte. Ihre Eltern wußten aber von diesem Treiben ihres Töchterleins nichts.
Es geschah aber, daß eines Tages den besagten Kapellan ein Priester, Magister Reiner mit Namen, mit mehreren Kindern besuchte, dort auch die kleine Rachel antraf, und nachdem er ihren Namen und ihren Stand erfahren hatte, sie fragte: „Willst du nicht, liebe Rachel, eine Christin werden?“ Sogleich entgegnete Rachel: „Ja wohl, wenn du mir sagst, was es heiße, ein Christ zu sein?“ Der Magister, hoch erfreut, und ein göttliches Walten ahnend, begann sogleich der kleinen Jüdin, die erst 7 1/2 Jahre zählte, die Lehre Jesu mit fasslichen Worten zu erklären, und Rachel faßte seine Worte so wunderbar schnell, daß er sie selten wiederholen durfte. Dieser Unterricht dauerte etwa anderthalb Jahre insgeheim und die ganze Zeit ward das Mädchen nicht müde, des Priesters Worte zu hören und in ihr Herz aufzunehmen.
Nun aber bemerkten die Eltern die Umänderung ihrer Tochter, hielten Rat mit mehreren Juden und beschlossen, Rachel weit weg nach dem Rhein zu senden und dort einem Bräutigam zur Bewachung zu übergeben. Rachel hatte dies gehört und zeigte es sogleich weinend dem Priester an, indem sie beisetzte, daß wenn er sie nicht diese Nacht noch rette und zu einer Christin mache, sie zu Grunde gehen würde. Als der Priester dies vernahm, befahl er ihr, daß sie früh Morgens vor die Türe seines Hauses kommen solle. –
Am Abend sprach Rachel zur Mutter. „Ich bitte dich, laß mich heute Nacht allein schlafen.“ Die Mutter gestand es ihr zu und ließ ihr das Bett zu ihren Füßen bereiten. Bereits hatte Rachel bis zum Anbruch des Morgens geschlafen und beinahe darauf vergessen, was sie dem Priester versprochen hatte; siehe da stand vor ihr die glorreiche Mutter Christi im schneeweißen Kleid, reichte ihr einen Stab, den sie in der Hand führte und sprach: „Erhebe dich, Katharina, mache dich auf die Reise, ein weiter Weg steht dir bevor.“ Bei diesen Worten war es Rachel, als ergreife sie den Stab, sie fiel aus dem Bett und schrie.
Die Mutter erwachte, und fragte nach der Ursache des Geschreis; doch Rachel nahm sich zusammen, schwieg und die Mutter schlief wieder ein. Nun aber stand Rachel auf, ging an den bezeichneten Ort und fand bald den Priester, der sie in das Zisterzienser-Kloster Frauengarten führte, wo er sie taufte und ihr den Namen Katharina gab, wie sie schon früher die Mutter Gottes genannt hatte. Katharina ward eingekleidet, und führte im Kloster ein heiliges Leben. Ihr Vater bot Alles auf, seine Tochter wieder in sein Haus zurück zu bringen; doch Alles war vergeblich.
Katharina blieb dem Herrn Jesus treu, und stellte sich ganz unter den Schutz der Lieben Frau. Jesus war ihr Vater und Maria ihre Mutter, Als eines Tages die Eltern und Verwandten der Jungfrauen, welche im Kloster, waren zum Besuch kamen, warf sich Katharina vor das Bild der göttlichen Mutter Maria nieder und betete: „Meine Mitschwestern haben an dem Anblick und der Unterredung ihrer Eltern und Verwandten Trost und Freude; ich aber, eine arme Waise, komme zu dir, mögest du meine Schwester und Mutter sein. Sei du vor Allen meine Zuflucht und mein Trost!“ In der Tat war auch Maria, die göttliche Mutter, ihre Trösterin im Leben und ihr treuer Beistand im Tod. Die Zeit des Todes der ehrwürdigen Katharina ist unbekannt. (Ex Bollando.) –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Erster Teil, 1869, Sp. 1124 – Sp. 1126