Heiligenkalender
12. Oktober
Heiliger Seraphin von Montegranaro, Laienbruder
(Läßliche Sünde)
Die Mutter dieses Heiligen war zwar von ganz geringem Stand, aber eine höchst gottselige Frau, welche ihrem Sohn zum besten Erbteil wahre Frömmigkeit beizubringen suchte. Schon in frühester Jugend war dem Knaben nichts lieber als der hl. Messe anwohnen, das Wort Gottes anhören, den Rosenkranz beten, an einsamen Orten sich der Andacht hingeben. Da aber der Vater ganz arm war, verdingte er seinen Sohn bei einem Bauer um das Vieh zu hüten. Hier verwendete Seraphin nicht nur die Zeit, wo er hütete, großenteils zum Gebet, sondern auch, wenn er das Vieh heim getrieben und mit den andern Dienstboten gegessen hatte, machte er sich auf die Seite, um seine Andacht fortzusetzen.
Da der Vater gestorben war, rief der ältere Bruder den jungen Seraphin nach Haus. Hier sollte er Teil nehmen am Handwerk, d. h. Maurer werden. Aber der Bruder war jähzornig und grob; wegen jeder Kleinigkeit bekam Seraphim Schimpfworte oder Schläge. Insbesondere wurde er oft misshandelt, weil er zur Erholungszeit sich öfters von den andern entfernte um zu beten, was der Bruder nicht leiden konnte. Seraphin machte jedoch mit all` diesen Unbilden einen großen Gewinn, er erwarb nämlich dabei die große Tugend der Geduld und deren Verdienst.
Einst ließ in einer benachbarten Stadt ein wohlhabender Mann, welcher gewöhnlich die Kapuziner der dortigen Gegend in seinem Hause beherbergte, einen Bau aufführen und nahm zu diesem Geschäft den jungen Seraphin und dessen Bruder. Die Tochter des Hauses, Namens Ludowika, bemerkte mit Verwunderung, wie Seraphin so viel fastete und betete. Sie las zuweilen in freien Stunden vor aus einem Buch über die vier letzten Dinge; Seraphin, welcher selbst nicht lesen konnte, hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu, und brach einmal ganz erschüttert in die Worte aus: „O Ludowika, was ist zu tun, wenn Alles mit so großer Strenge gerichtet wird? Da muss man wohl in die Einöde gehen und ein Einsiedler werden!“ – Ludowika erwiderte: „Was redest du von den Einsiedlern? Geh` du lieber zu den Kapuzinern.“ Da Seraphin diesen Orden gar nicht kannte, so erzählte ihm die Jungfrau von dessen Lebensweise und Regeln, und Seraphin bekam ein solches Verlangen, daß er einmal heimlich in eine Stadt reiste, wo ein Kapuzinerkloster war. Man machte ihm hier zuerst Schwierigkeiten, weil er eine arme Mutter habe, die er unterstützen solle; endlich wurde aber auf sein standhaftes Flehen doch die Aufnahme zugesagt, in Betracht, daß die Mutter noch einen andern Sohn habe, der sie ernähren könne.
Seraphin war erst 16 Jahre alt, als er im Kloster bei Askoli das Ordenskleid bekam. Hier fing er nun ein außerordentlich strenges Leben an; Speise und Trank nahm er nie zum Vergnügen, sondern nur so viel als durchaus notwendig zum Leben war; die Geißel, womit er sich täglich bis auf`s Blut züchtigte, war aus Nägelspitzen zusammen gesetzt; in allen Bedürfnissen, Kleidung, Zelle usw. war er gleichsam habsüchtig darauf bedacht, stets das Schlechteste zu haben. Auf diese Weise suchte Seraphin den nächsten Feind, den Körper, so zu sagen zahm und unterwürfig zu machen. Hierdurch erlangte er auch die seltene Gnade, daß er nie gegen unreine Versuchungen zu kämpfen hatte, nicht einmal gegen unreine Gedanken. Dessen ungeachtet brauchte er die Vorsicht, niemals einem Weib in das Gesicht zu sehen; denn erhielt sich nicht für stärker als David, der durch den Anblick eines Weibes in die Sünde fiel! Anderseits war Seraphin so gehorsam, daß wenn ihm der Guardian zur Prüfung befahl, mehr zu essen oder ein besseres Kleid zu tragen, er ohne alle Widerrede gegen seine Gewohnheit handelte.
Ganz besonders eifrig strebte aber Seraphin jede Spur von Hochmut in sich auszutilgen; denn dieser gedeiht nicht allein im Sumpf der Liederlichkeit, sondern eben sowohl auf der Höhe der Tugend. Seraphin hatte gleichsam einen Hunger und Durst sich zu verdemütigen. Einmal sagte ein Kapuziner-Bruder zu ihm: „Mach`, daß du hinweg kommst, denn deine Kutte stinkt unausstehlich.“ Darauf antwortete Seraphin: „Nicht nur die Kutte, sondern auch meine Seele inwendig stinkt arg.“ – Einige Male, da er an vornehmer Tafel eingeladen war, benahm er sich absichtlich, um verachtet zu werden, so ungeschickt, daß er bei den übrigen Gästen Lachen erregte. Da er oft sehr lange in der Kirche blieb, so wollte er sich vor den Brüdern den Anschein geben, als habe er geschlafen, um nicht für besonders fromm angesehen zu werden. Und da ihn einmal Jemand selig pries, sagte er, er sei ein sehr großer Sünder und wolle gern Gott danken, wenn er bis zum jüngsten Tag ins Fegefeuer verurteilt werde.
Dem hl. Seraphin fehlten von Natur alle Eigenschaften, welche zur Führung der Geschäfte erfordert werden. Da er als Laienbruder manche Arbeiten zu verrichten hatte, erwies er sich so langsam und einfältig, daß er deshalb von den Vorstehern viel getadelt, gescholten und mit Bußen belegt wurde; ja die Brüder verfolgten ihn mit Spottreden und er wurde zum Sprichwort. Es zeigte sich hier auch wieder, wie der Mangel an Gaben und Talenten für manche Seele zum großen Gewinn werden kann. Seraphin trug all` diese Verhöhnungen und Scheltworte mit großer Gemütsruhe und Heiterkeit; ja, bevor den Obern seine Heiligkeit bekannt war, legten sie seine fröhliche Miene ganz übel aus, und verschärften noch die Bestrafungen. Solches währte ungefähr 30 Jahre lang, so daß man den hl. Seraphin wohl einen Märtyrer der Geduld nennen konnte. Übrigens hatte Seraphin nicht sogleich im Anfang schon diese vollkommene Geduld. Anfänglich wurde er wegen seiner Ungeschicklichkeit viel und heftig von einem Guardian geplagt; aus diesem Anlass wurde er vom Teufel versucht, er tauge nicht zum gemeinsamen Leben, er solle lieber Einsiedler werden und ruhig für sich leben. Da ging Seraphin in die Kirche und betete inständig vor dem allerheiligsten Sakrament, daß ihm der Herr helfen und seinen Willen kund tun möge. Alsbald bekam er eine göttliche Einsprechung, er solle den Weg des Kreuzes gehen, dies sei der königliche Weg, wo ihm die Hilfe Gottes nie fehlen werde. Von nun an wurde seine Geduld ganz unüberwindlich; manchmal warf er sich nach den schwersten Bußen, welche ihm der Obere auferlegt hatte, diesem zu Füßen und küßte sie mit den Worten: „So ist es recht, Gott belohne dich für diese große Guttat!“
Wie sehr der hl. Seraphin auch vor sogenannten läßlichen Sünden sich hütete, zeigte er besonders bei Anlass, da eine adelige Frau ihn zu einer kleinen Lüge bereden wollte, um den Fehler von Jemand zu verdecken. Alks sie sagte, es sei ja nur eine läßliche Sünde, antwortete Seraphin: „Scheint dir dies etwas Geringes? Wahrhaftig, wenn mir die ganze Welt als Preis geboten würde für eine Lüge, so würde ich sie mit Verachtung zurückweisen Hältst du das für gering, wenn Gott, sei es auch nur durch Kleines, verachtet wird, der heilige Geist betrübt, die Kraft der Liebe geschwächt, die Seele welk und träger zu guten Werken gemacht wird? Muss nicht jene göttliche Majestät, der Schöpfer und Herr der ganzen Welt, so hoch von uns geachtet werden, daß seine Ehre und das Wohlgefallen seines Willens allen Dingen und allen Vorteilen des Lebens mit Recht vorzuziehen ist? Die Ehre und das Wohlgefallen Gottes bezieht sich aber besonders auch darauf, daß der Mensch Fortschritte mache in der Heiligung; wo ist nun diese, wenn der menschliche Wille zu dem sich wendet, was gegen die Ehre Gottes ist, und weil den Augen Gottes missfällig, von ihm auch im andern Leben mit scharfen Strafen gezüchtigt wird? Wenn auch nur ein Funke von Liebe zu dem himmlischen und überaus gütigen Vater in unserm Herzen wohnte, wie wäre es je möglich, daß man freiwillig den Entschluss faßte, Gott (wenn auch nur leicht) zu beleidigen?“ Wie er aber von der läßlichen Sünde redete, so handelte er auch. Er trug eine solche Scheu und Sorgfalt gegen läßliche Sünden, daß die Beichtväter gewöhnlich in seiner Beichte nichts fanden, was sie absolvieren konnten.
Dieser einfältige Mann, der nicht einmal lesen konnte, und so ungeschickt war, daß er unendlich vielmal ins einem Leben ausgelacht oder gescholten wurde, besaß zugleich die aller tiefste Weisheit. Er fürchtete nichts als die Sünde, und suchte nichts als Gott. Als Seraphin schon 70 Jahre alt war und krank wurde, schien solches von geringer Bedeutung; man verweigerte ihm sogar die hl. Ölung, als er sie verlangte und behauptete, sein letzter Tag sei gekommen. Nun kniete Seraphin in seinem Bett aufrecht, hob die Augen zum Himmel und betete: „O Herr Jesus! Wenn ich rede, so wird mir kein Glaube geschenkt; rede du selbst.“ Kaum hatte er solches gesagt, als er ganz blaß im Gesicht wurde und Zeichen des heran nahenden Todes erschienen. Alsbald eilten die Brüder das hl. Öl zu holen; nachdem ihm dieses letzte Sakrament noch erteilt worden war, entschlief er ruhig im Todesschlaf.
Der Guardian des Klosters verbot die Totenglocke zu läuten, weil er besorgte, daß das Volk im Übermaß sich herbei drängen würde, wenn man den Tod des hl. Seraphin erführe. Allein die Kinder riefen von selbst haufenweise durch die Stadt und riefen auf den Gassen, Der heilige Mann sei gestorben; nun strömte Alles zum Kloster; die Kaufleute schlossen ihre Läden, so daß es schien, die Stadt sei ausgestorben. Die Obrigkeit stellte alsbald zehn Männer auf, welche als Wächter den Leichnam bewahren mussten. Er wurde in der Kirche ausgestellt; Alles stürzte darauf los, um ihn zu küssen, um Haare, selbst Nägel ihm abzuschneiden, Stücke von der Kleidung abzureißen, um eine Reliquie von ihm zu haben. Ja, man musste bald den Leichnam im Chor hinter das Gitter bringen, weil sonst Gefahr war, daß ihm auch noch Finger und Glieder abgeschnitten würden. Bald offenbarte sich auch durch mancherlei Wunder, welche auf seine Anrufung an Kranken und Notleidenden geschahen, daß diesmal die Stimme des Volkes mit dem Urteil Gottes übereinstimmte. Später wurde der Bruder Seraphin von Papst Klemens XIII. feierlich heilig gesprochen. Der Erlass, welchen der Papst darüber an die Christenheit erließ, fängt mit den Worten an: „Kostbar über alles Gold und Silber, und allen Reichen und Thronen vorzuziehen ist die Weisheit, durch welche wir gelehrt werden, alles Vergängliche zu verachten und das zu suchen, was Oben ist. Obschon diese Weisheit keine Klasse von Menschen verschmäht und sich verschiedenartig ausgerüsteten Geistern mitteilt, und reichlich ihre himmlischen Gaben spendet; so liebt sie es dennoch zuweilen reichlicher sich auszugießen über ungebildete und unwissende Menschen, damit sie die Weisen dieser Welt, welche das Wissen aufbläht, zu Schanden mache und erniedrige.“. –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 63 – S. 67