Die Sorge für das Heil der eigenen Seele
Der hl. Bernhard an Papst Eugen III.
Sehr oft hört man von Katholiken die Ausrede: „Ich kann nicht mehr für das Heil meiner Seele tun, z.B. öfter die heilige Messe anhören und die heilige Kommunion empfangen, an Sonn- und Festtagen zur Predigt und Christenlehre gehen oder religiöse Bücher lesen; denn ich habe keine Zeit dazu, meine vielen Geschäfte erlauben es nicht.“ Wenn irgend jemand auf der Welt wegen vieler, wichtiger und dringender Amts- und Berufsgeschäfte diese ausrede vorbringen dürfte, so wäre doch gewiß der Papst dazu berechtigt, der für die große, in alle fünf Weltteile zerstreute Familie Gottes zu sorgen hat.
Allein der hl. Bernhard schrieb über diesen so wichtigen Gegenstand an den Papst Eugen III., welcher früher sein Schüler gewesen war, folgende, für jeden Christen sehr beherzigenswerten Worte:
Mein Eugen, ich spreche zu dir mit solcher Hochachtung und Ehrfurcht, wie sie dir, dem Oberhaupt der Kirche gebührt, aber auch mit so aufrichtig wohl wollendem Herzen, wie es sich für den Vater geziemt, der deine Seele lieb hat. Ich bemitleide dich wegen deiner vielen Geschäfte und Zweifel nicht, daß es auch dir schwer fällt und bittere Schmerzen bereitet, daß du die Süßigkeit heiligen Andacht nicht mehr genießen kannst und so oft in der frommen Betrachtung gestört wirst. Allein wenn du bei der Menge deiner Geschäfte nicht auch Zeit für dich selbst sorgst, wenn du dir nicht auch Zeit zum Verkehren mit Gott allein vorbehältst, so vergiß doch nicht, welche Verwüstung solche Gewohnheit anrichtet, welche Verstocktheit mit der Länge der Zeit eintritt und alles Frühere ertötet. Was ist doch das für ein Leben: vom Morgen bis zum Abend Audienz erteilen, Bittgesuche empfangen und durchlesen, streitende Parteien anhören und ihre Händel schlichten, kirchliche Akten prüfen und Sendschreiben ausfertigen; wenn es nur am Tage so zuginge, aber auch die Nacht ist nicht frei davon! Um des Himmels willen, wohin führt solch ein Leben! Seitdem du dich diesen leidigen Geschäften ganz hingibst, wie kannst du noch an deine eigene Seele denken? Gib Acht, wenn du so fortfährst, dich ganz in diese Geschäfte zu vergraben, wenn du keine Zeit erübrigst, für dich selbst, so wirst du bald alle Empfindung der Andacht, alle Erhebung zu Gott, alles Interesse für deine eigene Seele verlieren, du wirst dahin kommen, wohin du nicht kommen willst. Du fragst: „Wohin?“ Zu einem verhärteten Herzen, ja du wirst mit einem verhärteten Herzen wie ein verstockter Pharao auf dem Stuhle Petri sitzen! Ich weiß es, du selbst erkennst dies recht wohl und beweinst bisweilen die Unruhe deines Amtes; allein umsonst sind deine Tränen, umsonst deine Seufzer, wenn du deine Geschäftigkeit nicht änderst und dich besserst. Doch du wendest mir vielleicht ein: „Das ist nicht möglich, das Amt läßt es nicht zu, die ganze Welt liegt mir auf den Schultern, den Katholiken, den Irrgläubigen, den Ungläubigen muss ich die Pforte des Himmels öffnen und das erfordert ununterbrochene Sorge, Mühe und Arbeit!“ Ganz recht und brav, mein Eugen; aber bedenke, daß auch du ein Solcher bist, dem du die Pforte des Himmels aufschließen musst; folglich, wenn du für alle sorgst, musst du auch für dich sorgen, und zwar zu allererst. Denn was wird es dir nützen, wenn du alle Menschen gewinnst, aber dich selbst verlierst? Was erreichst du, wenn du der ganzen Welt den Himmel aufschließest und dich allein ausschließest? –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 616 – S. 617