Schlüssel des Himmelreiches – Unfehlbares Magisterium des Papstes
Christus (…) hat dem Petrus zu seinem sichtbaren Stellvertreter und dadurch zum sichtbaren Grundstein seiner Kirche gemacht, auf den daher wesentlich die Apostel und alle ihre Nachfolger gegründet, durch die sie zu einem Fundament verbunden sind und in dem ihre eigene Festigkeit wurzelt. Es ist daher allerdings Petrus als Einer der Apostel Einer der zwölf kostbaren Steine, auf denen die Stadt Gottes ruht (Apok. 21, 14), allein als Oberhaupt ist er zugleich der Grundstein, der Alle verbindet und trägt… Wer glaubt und weiß, daß das erste wesentliche Prinzip der Kirche der wahre Glaube ist, und wer Christi Wort als Gottes Wort in seinem klaren und vollen Sinne, sowie es vorliegt, annimmt, der kann nimmer daran zweifeln, daß Petrus, weil Grundfels der Kirche, selbst unerschütterlich ist, nicht in diesen oder jenen äußerlichen Dingen, sondern in jenem Ersten und Wesentlichen, nämlich im wahren Glauben und im wahren Bekenntnis. Auch die Deutung der gemäßigten Gallikaner, daß nur dem Stuhl Petri, im Unterschied von Petrus, oder der römischen Kirche Indefektibilität verheißen sei, ist mit dem klaren Wort Christi unvereinbar. Nicht ein Abstraktum, nicht eine Summe oder eine Reihenfolge von Personen, sondern Simon des Jonas Sohn ist als Petrus zum Fels der Kirche erklärt, und wenn nach Christi Einsetzung, wie wir später betrachten werden, Petrus immer bleibt und lebt in seinem jeweiligen Nachfolger, dann muss jenes Wort eben schlicht und ganz auch von diesem Nachfolger verstanden werden.
Eben so klar und einfach als die Worte vom Felsen, ist der Sinn der unmittelbar folgenden Worte: Und ich werde dir die Schlüssel des Himmelreiches geben usf.
Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch aller Völker, zumal der orientalischen und insbesondere nach dem Sprachgebrauch des alten Testamentes (1) bedeuten die Schlüssel die Vollgewalt, wie sie kraft eigenen Rechtes dem König, kraft Bevollmächtigung dem königlichen Hausverwalter und Kanzler oder auch dem Hohenpriester zusteht. Im neuen Testament bedeuten die Schlüssel des Himmelreiches die Vollgewalt Christi über sein Reich (2). Wenn also der Heiland spricht, daß er dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches übergeben werde, so läßt dieses keine andere Deutung zu, als daß er die Fülle der kirchlichen Gewalt, die er selbst kraft eigenen Rechtes besitzt, auf Petrus als seinen Stellvertreter und den obersten Verwalter seines Hauses (3), der Kirche, übertragen werde.
Es ist aber derselbe Simon, des Jonas Sohn (4), den Christus zum Felsen der Kirche erklärte, und er allein, dem er in diesem Ausspruch die Schlüssel des Himmelreiches zu übertragen verspricht. An dieser Übertragung der höchsten Gewalt, von der hier die Rede ist, hat daher weder irgend ein anderer Apostel, noch die Gesamtheit der übrigen Apostel Anteil.
Der Umfang und Charakter dieser dem Petrus übertragenen höchsten kirchlichen Gewalt wird nun noch schärfer bestimmt durch den Zusatz, daß was immer er binden oder lösen werde auf Erden, im Himmel gebunden und gelöst sein solle. (5) Hierin ist nämlich ein Doppeltes ausgesprochen: einesteils, daß Alles, was überhaupt der kirchlichen Gewalt unterliegt, der höchsten Gewalt Petri unterstellt und nichts davon ausgenommen ist; andernteils, daß Alles, was immer Petrus vermöge dieser seiner höchsten kirchlichen Gewalt bindet oder löst, nicht etwa bloß auf Erden, d. h. vor den Menschen, sondern im Himmel, d. h. vor Gott und durch Gott, Kraft und Gültigkeit hat, so daß also Christus dasjenige, was Petrus in seinem Namen bindet und löst, als von ihm selbst geschehen anerkennt.
Hiermit ist aber, was uns hier allein interessiert, ausgesprochen, daß Petrus von Christus die Gewalt empfangen hat, alle Christen zum Glauben verbindende Lehrentscheidungen zu geben, und daß diese Lehrentscheidungen vor Gott gültig und somit wahr sind.
Das erstere ergibt sich daraus, daß die Lehrgewalt, wie oft gesagt, der erste und wesentlichste Bestandteil der kirchlichen Gewalt überhaupt, wie die Lehrpflicht die erste und wesentlichste unter allen Pflichten des Kirchenamtes ist. Vor Allem in Glaubenssachen besitzt also Petrus die Macht zu binden, d. h. zum Glauben zu verpflichten, und mit höchster Autorität zu entscheiden, was dem Glauben konform, was ihm widersprechend ist. (6) Das Andere aber ist nicht minder offenbar: denn wenn die Glaubens-Entscheidungen Petri vor Gott gültig sind und somit Gottes Autorität für sie eintritt, dann müssen sie auch durch Gottes Bestand notwendig wahr sein, so gewiß Gott mit seiner Autorität nicht für eine Unwahrheit eintreten und nicht zum gläubigen Fürwahrhalten einer Unwahrheit verpflichten kann. (7) Es ist demnach die Verheißung der lehramtlichen Unfehlbarkeit, welche in der Bezeichnung Petri als Felsens der Kirche ausgesprochen ist, auch in dieser Erklärung enthalten, daß seine höchsten Lehrentscheidungen im Himmel oder vor Gott Geltung haben.
Dieser Konsequenz kann man nur dadurch entgehen, daß man den Worten Christi von der Schlüsselgewalt eine Deutung gibt, welche mit dem klaren Sinne des Textes und mit längst deklarierten Dogmen der Kirche im Widerspruch steht.
Hierher gehört namentlich die Behauptung, daß die Schlüsselgewalt nicht die Fülle der geistlichen Gewalt bedeute, daß namentlich die Lehr- und Richtergewalt in Glaubenssachen in ihr nicht enthalten sei. Dieses lehnen Jene, welche sagen, daß Christus durch die Schlüsselgewalt, sowie durch die Bestellung zum Oberhirten der Kirche dem Petrus nur einen Ehrenvorrang, oder nur die obere Verwaltung, oder nur eine Exekutivgewalt, oder nur disziplinare Jurisdiktion, nicht aber die wahre, volle und höchste Jurisdiktion, zumal in Glaubenssachen, übertragen habe. Das sind aber längst verworfene häretische Behauptungen, welche in dem Worte Gottes nicht den mindesten Anhalt haben. Das Wort Gottes weiß nichts von einem solchen bloßen Vorrang de Ehre und Administration; es weiß nichts von einer solchen Trennung zwischen Gesetzgebung und Jurisdiktion, Verwaltung und und Exekution. Daher hat Petrus entweder gar keinen höheren Rang und keine höhere Gewalt, oder er hat eben, wie wirklich der Fall ist, die Schlüssel des Himmelreiches, die Fülle der höchsten geistlichen Gewalt und ist im wahren und vollen Sinne der Oberhirte der Kirche an Christi Statt.
Ebenso falsch und häretisch ist die Behauptung, daß Petrus die Schlüsselgewalt nur als Repräsentant der Kirche und im Namen der Kirche empfangen habe, wenn man nämlich diesem Ausdruck den Sinn beilegt, daß nicht Petrus, sondern die Kirche Inhaber der Schlüsselgewalt sei: denn man kann allerdings auch in einem richtigen Sinne mit den Vätern sagen, daß Petrus Repräsentant der Kirche sei, nämlich als deren Haupt und Oberhirte, und daß er als solcher die Schlüsselgewalt für die Kirche, nämlich zu deren Besten, und daß in diesem Sinne die Kirche durch Petrus die Schlüsselgewalt empfangen habe. (8)
Endlich kehrt auch hier der Einwand wieder, daß Petrus zwar die Schlüsselgewalt empfangen habe, aber daß darin kein Vorzug vor den übrigen Aposteln liege, indem auch diese gleich ihm, dieselbe Gewalt empfangen hätten. Allerdings haben auch die übrigen Apostel für sich und ihre Nachfolger eine Binde- und Lösegewalt empfangen, aber nicht wie Petrus, jene höchste Gewalt, wie sie nur dem Oberhaupt der Kirche zusteht, und welche hier durch die Schlüssel des Himmelreiches bezeichnet wird – ein Ausdruck, der von der heiligen Schrift nur bei Petrus, nicht aber bezüglich der übrigen Apostel gebraucht wird.
Anmerkungen
(1) So spricht Gott bei Is. 22, 22 von Eliakim, der an Sobnas Stelle treten soll… Den Eliakim betrachten aber die Ausleger als ein Vorbild Christi. Cf. Corn. A Lap. i. h. 1. Cf. Is. 9, 6.
(2) Apok. 3, 7 spricht Christus: Haec dicit sanctus et verus, qui habet clavem David: qui aperit, et nemo claudit: claudit, et nemo aperit. („Das sagt der Heilige und Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat, der öffnet und Niemand schließt, der schließt und Niemand öffnet“) Cf. Apok. 1, 18 & Job 12, 14.
(3) Wenn die Apostel überhaupt ministri Christi et dispensatores mysteriorum Dei 1. Kor. 4, 1 (cf. 3. Reg. 18, 3) sind, so ist vor Allem Petrus der Diener Christi und der Verwalter seines Hauses vorzugsweise. Das ist auch, wie ältere (vgl. Corn. A Lap. i. h. 1. Natalis Alex. 1. c.) und neuere Ausleger (vgl Reischl i. h. 1.) bemerken, sehr klar in der Parabel von den Knechten, die ihren Herrn erwarten, angedeutet. Denn da Petrus – Luk. 12, 41 – fragt, ob diese Parabel allen Christen, oder nur den Aposteln gelte, gibt ihm der Heiland zu verstehen, daß sie vor allem ihm gelte – Quis putas, spricht er unmittelbar zu Petrus (…) – dann auch den übrigen Aposteln, ja allen Christen. Daß vor allem der Eine Petrus hier als der Hausverwalter Gottes bezeichnet wird, liegt auch schon im Bilde; denn hier spricht das Bild offenbar von dem Einen Oberknecht (vgl. 1. Mos. 24, 2), der dem ganzen Haushalt vorgesetzt ist.
(4) Es ist gewiß charakteristisch, daß Christus sowohl hier, als Luk. 22, 31 Simon, Simon! – als Joh. 21, 15. 16. 17. Simon Joannis! – so signifikant die Person des Petrus hervor hebt; damit Niemand zweifeln könne, wer die Person sei, welcher er das höchste kirchliche Amt überträgt, und damit Niemand wähne, daß der Primat und seine Gewalt und Gnade an ein Abstraktum, oder eine vage Menge, und nicht an eine bestimmte Person geknüpft sei.
(5) „Die Worte: was du immer gebunden haben wirst etc., sprechen sonach nur die Folgerung aus der Schlüsselgewalt näher und erweitert aus; es überträgt das sichtbare Oberhaupt in „den Himmeln“ dem Oberhaupt der sichtbaren Kirche auf Erden gesetzgeberische und richterliche Gewalt. Die Formen binden und lösen bezeichnen nach dem Sprachgebrauch des Orients (ähnlich unserem „verbindlich“ und „nicht verbindlich“) die Macht „des Befehlens“ überhaupt, welchem der Gehorsam der Regierten zu entsprechen hat.“ So Reischl (Bibelübers.) zu Matth. 15, 19. Daß die erste und wichtigste richterliche und gesetzgebende Funktion des Kirchenamtes die Fällung von Glaubens-Entscheidungen und die Aufstellung von Glaubensnormen ist, (…) ist die einmütige Lehre der Theologen.
(6) Die Theologen pflegen zunächst bezüglich des Bußsakramentes die clavis scientiae und die clavis potestatis zu unterscheiden und erstere auf das urteil (judicium discretionis) des Beichtvaters bezüglich der Würdigkeit zur Absolution, letztere auf die Absolution selbst zu beziehen, wobei sie bemerken, daß beide Schlüssel wesentlich mit einander verbunden sind. Will man diese Unterscheidung auf die Schlüsselgewalt überhaupt beziehen, so würde auch die Lehr- und Richtergewalt in Glaubenssachen wesentlich beide Schlüssel in sich begreifen: den Schlüssel der Wissenschaft, eine Entscheidung zu fällen, und den Schlüssel der Gewalt, zur Unterwerfung unter diese Entscheidung zu verpflichten, sie für verbindlich zu erklären. Aber auch hier sind beide Schlüssel unauflöslich mit einander verbunden und kann daher nur der, welcher die clavis potestatis besitzt und zum Glauben verpflichten kann, auch vermöge der clavis scientiae und des damit verbundenen charisma veriatatis certum ein unfehlbares Urteil in Glaubenssachen fällen. Vgl. hierüber Johann XXII. in der Decretale Quia quorundam c. 5. Extravag. Joann. XXII, 14. Kathol. 1875, II, S. 375ff.
(7) Formal gültige Entscheidungen in Glaubenssachen sind daher notwendig auch materiell richtig. Für andere nicht die göttliche und ewige Wahrheit betreffende Entscheidungen und Anordnungen gilt dieselbe ratio nicht, es läßt sich daher aus denselben auch kein Argument gegen unsere obige Ausführung ableiten.
(8) Wenn daher Augustin z. B. in Joann. tr. 50 sagt: „Petrus, quando claves accepit, Ecclesiam signavit, so meint dieses nicht im Sinne der Febronianer, als ob nicht Petrus der eigentliche Inhaber der Schlüsselgewalt wäre, sondern die kirchliche Gesamtheit; vielmehr ist nach der Lehre des heil. Augustinus Petrus und er allein der höchste Schlüsselträger, aber als Haupt der Kirche repräsentiert er dieselbe, wie dieses in Joann. 124 mit den Worten ausspricht: Petrus apostolus propter apostolatus sui principatum Ecclesiae gerebat figurata quadam generelitate personam. Auch das ist wohl in den fraglichen Stellen Augustin`s angedeutet, daß Petrus nicht als Privatperson, sondern in seinem Amt als sichtbares Oberhaupt der Kirche die Schlüsselgewalt empfangen habe. Übrigens liebt es Augustin, die Personen der heiligen Geschichte zugleich als Typen voN Sachen zu bezeichnen; so sagt er z. B., Christus habe bei seiner Taufe die Kirche vorgestellt (De trin. 15, 26), Judas repräsentiere die Bösen in der Kirche (In Ps. 108), Johannes, an der Brust Christi ruhend, stelle die triumphierende Kirche dar (Tr. Ult. in Joann). –
aus: J. B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 280 – S. 286