Von der Unfehlbarkeit im Allgemeinen

Foto des katholischen Theologen und Neuscholastiker Johann Baptist Heinrich

Von der Unfehlbarkeit im Allgemeinen (§. 89)
aus der Dogmatik von J. B. Heinrich

II. Hier ist aber vor allem hervorzuheben, daß die Unfehlbarkeit mit dem Amt als solchem verbunden und, weil das Amt durch die Sukzession übertragen wird, an die rechtmäßige Sukzession geknüpft ist , also nicht dem Menschen als solchem, der Träger dieses Amtes, oder wie man auch sagt, nicht der Person, sondern dem Amt, oder besser nicht der Privatperson, sondern der Amtsperson zusteht, oder was dasselbe sagt, daß die Unfehlbarkeit eine amtliche, nicht eine persönliche (in diesem Sinne) ist.

Damit jedoch diese Ausdrücke, namentlich der zuletzt genannte, nicht missverstanden und, wie so ausgiebig in neuester Zeit geschehen, zur Bekämpfung wahrer und zur Verschleierung falscher Begriffe missbraucht werden, ist eine nähere Erklärung notwendig.

1, Wenn wir sagen, dass die Lehrautorität und die damit verknüpfte lehramtliche Unfehlbarkeit dem Amt, oder, was dasselbe symbolisch ausdrückt, dem Lehrstuhl (cathedra) oder den Lehrstühlen zustehe, so ist vor allem klar, dass wir damit Lehrgewalt und Charisma nicht dem Amt in abstracto, abgesehen von dem Träger dieses Amtes, sondern eben diesem Träger, aber nicht in seiner Eigenschaft als Privatperson, sondern in seiner amtlichen Eigenschaft als Apostel, Papst, Bischof, kurz als Bevollmächtigter und Stellvertreter Christi zuschreiben. In abstracto ist ja das Amt lediglich ein Gedankending, wirkliche Existenz hat es nur in dem, der das Amt bekleidet und übt.

Man muss also allerdings zwischen Amt und Person unterscheiden, aber nicht in dem Sinne, als ob das Amt von der Person getrennt wäre (1); vielmehr ist es dieselbe physische Person, welche in einer doppelten Beziehung in Betracht kommt, nämlich als Mensch oder als Privatperson – und als Beamter, Bevollmächtigter, Stellvertreter Christi oder als Amtsperson.

Gegenüber jener falschen Unterscheidung ist daher zu betonen, dass die Amtsgewalt in specie die Lehrgewalt und das damit verbundene Charisma der Unfehlbarkeit an die Person des Inhabers des Amtes geknüpft ist. In diesem Sinne kann und muss daher allerdings die höchste Lehrautorität und die damit verbundene lehramtliche Unfehlbarkeit als etwas dem Papst persönlich Eigenes, als ein persönlicher Vorzug, ein persönliches Recht, ein persönliches Privileg des Papstes, wie wir später noch näher sehen, bezeichnet werden, nämlich als etwas, was dem Papst allein, nicht einem andern zusteht.

Es hat also in dem allgemein bekannten und anerkannten Sinne der katholischen Autoren dieses Wort nicht den Sinn, daß Lehrgewalt und Unfehlbarkeit dem Papst als Privatperson eigen sei, sondern in seinem Amt, seiner amtlichen Eigenschaft, seiner amtlichen Persönlichkeit. Das gilt aber nicht nur vom Papst, sondern von einem jeden Träger eines Amtes, insbesondere vom Bischof; auch alle Gewalt und alle Gnade, welche mit dem bischöflichen Amt als solchem verknüpft ist, inhäriert, wie das Amt selbst, der Person des Bischofs, nicht irgend einem nichtigen Gedankending oder einem unter diesem Namen versteckten anderen Subjekt.

Bossuet und die ihm folgenden Gallikaner stellten die Behauptung auf, dass der apostolische Stuhl, das Papsttum oder, wie man dieses näher erklärte, die Reihenfolge der Päpste unfehlbar sei, nicht aber irgend ein einzelner Papst. Dieser könne eine irrige Lehrentscheidung erlassen, aber der apostolische Stuhl könne bei einem solchen Irrtum nicht verharren, vielmehr werde dieser Irrtum durch einen Nachfolger des irrenden Papstes verbessert werden.

Diese zunächst bezüglich des Papstes aufgestellte Theorie wurde von den neuesten Häretikern auch auf den Episkopat mit Einschluss des Papstes ausgedehnt. Nachdem man nämlich die Vatikanische Lehrentscheidung über das unfehlbare Magisterium des Papstes, selbst nach dem der gesamte Episkopat zugestimmt, verworfen hatte, schritt man mit innerer Notwendigkeit zur Behauptung fort, dass mit dem jeweiligen Papst der gesamte jeweilige Episkopat in glaubenswidrigen Irrtum fallen könne; allein, meinte man in Anwendung der Bossuet`schen Theorie auf die Gesamtkirche, dieser Irrtum könne kein bleibender sein und eben darin bestehe die Unfehlbarkeit der Kirche, dass dieselbe über kurz oder lang sich wieder zurechtfinde und durch ein künftiges Konzil oder einen künftigen Papst und Episkopat den Fehltritt verbessere.

Diesen Kirche und Glauben radikal zerstörenden Irrtümern gegenüber ist also festzuhalten, dass, wie die Lehrautorität, so auch das damit verknüpfte Charisma der Unfehlbarkeit den jeweiligen Trägern des kirchlichen Lehramtes, also in jeder Zeit dem zeitweiligen Papst und Episkopat eigen ist. Nur der lebende Papst, der lebende Episkopat ist eine lebendige Autorität – und darum handelt es sich, darauf kommt alles an.

Wenn es dagegen gestattet wäre, jede Lehrentscheidung eines bestimmten gegenwärtigen Papstes oder eines bestimmten gegenwärtigen Konzils, unter dem Vorwand einer Abweichung von der Überlieferung der früheren Päpste und des früheren Episkopates und unter Berufung auf einen zukünftigen Papst oder ein zukünftiges Konzil oder auf die Geschichte, zu verwerfen, so wäre jede lebendige kirchliche Autorität, jede Sicherheit des Glaubens vernichtet und jenes Kirche und Christentum zersetzende System eingeführt, das wir oben §. 83 charakterisiert haben.

III. Da die Unfehlbarkeit mit dem Amt verknüpft ist, so erstreckt sie sich selbstverständlich nur auf solche Akte der Träger des kirchlichen Lehramtes, welches sie in ihrem Amt, nicht auf solche, welche sie als Privatpersonen setzen.

Auf die amtlichen Akte der Träger des Kirchenamtes erstreckt sich aber die Unfehlbarkeit so weit, als dieses zur Bewahrung, Erklärung und Verteidigung der in dem apostolischen Glaubensdepositum enthaltenen Glaubens- und Sittenlehre notwendig ist…

Hier wollen wir nur die selbstverständliche und dennoch in der neueren Zeit so vielfach verkannte Wahrheit hervorheben, dass die objektiven Grenzen der lehramtlichen Unfehlbarkeit nicht nach menschlichem Ermessen bestimmt werden können, sondern durch Gottes Offenbarung und die von Gott gesetzte Natur der Dinge bestimmt sind, dass aber der Zeuge und Richter darüber nur das kirchliche Lehramt selbst ist und sein kann. Dass aber das kirchliche Lehramt in seinen dogmatischen Entscheidungen niemals die Grenzen seiner Kompetenz überschreitet, das ist eben durch die Unfehlbarkeit verbürgt. (2)

Die auf die Bewahrung, Verkündigung, Erklärung und Verteidigung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre gerichteten Akte sind aber verschiedener Art. Es sind:

1. gewöhnliche und ordentliche Akte des allgemeinen Magisteriums, oder es sind außerordentliche und förmliche Lehrentscheidungen oder Lehrdeklarationen.

Mag nun das kirchliche Lehramt in jener oder in dieser Weise eine Wahrheit als eine von Gott geoffenbarte und im kirchlichen Depositum enthaltene uns zu glauben vorstellen, in beiden Fällen ist es unfehlbar und sind wir zum Glauben verpflichtet. (Vatic. Decr. De fide c. 3, al. 4.)

Nur der Unterschied besteht, wie wir gesehen haben (§. 79), zwischen beiden Fällen, dass eine jede einzelne förmliche Lehrentscheidung die Gewähr ihrer Unfehlbarkeit in sich trägt und daher für sich allein genügt, um zum Glauben zu verpflichten und einen vollen dogmatischen Beweis zu begründen; während bei dem gewöhnlichen ordentlichen Magisterium einzelne Akte nicht genügen, um die Unfehlbarkeit und den katholischen Charakter der durch dieselben bezeugten Lehre außer Zweifel zu stellen; es muss vielmehr nach den §. 79 entwickelten Grundsätzen der Nachweis einer dogmatischen Tradition geliefert, d. h. gezeigt werden, dass die fragliche Lehre konstante Lehre des apostolischen Stuhles oder allgemeine und vom apostolischen Stuhl anerkannte Lehre der Kirche ist.

Hierbei wollen wir nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß die Unfehlbarkeit der dogmatischen Tradition, die wesentlich in der konstanten und allgemeinen Lehre des kirchlichen Lehramtes und im allgemeinen Glauben der Kirche besteht, durch die Unfehlbarkeit des Lehramtes in seinen Lehrentscheidungen bedingt ist: denn nur dadurch besitzt die katholische Kirche eine gegen jede Abirrung gesicherte Tradition, dass sie in ihrem Lehramt zugleich ein unfehlbares Richteramt besitzt, welches über die Reinheit der Lehre und des Glaubens wacht etwaige Streitfragen als judex controversiarum unfehlbar entscheidet.

Anmerkungen:

(1) In dieser falschen Weise hat man, die Unterscheidung zwischen Amt und Person in den letzten Jahrhunderten zur Bekämpfung der unfehlbaren Lehrautorität des Papstes verwendet.

Man sagte, diese Autorität und Unfehlbarkeit komme dem apostolischen Stuhl, nicht aber der Person des Papstes zu, indem man dabei dem jeweiligen Papst auch in seinen Amtshandlungen jene unfehlbare Autorität absprach und sie nur dem Stuhl oder dem Papsttum zuschrieb. Dass dieses mit der Lehre der Kirche und der gesamten Überlieferung im Widerspruch steht, werden wir später sehen. Da aber der apostolische Stuhl oder das Papsttum ohne den Papst nur eine unwirkliche Abstraktion ist, so unterschob man zugleich, absichtlich oder unwillkürlich, dem wirklichen Papst, dem als solchem Gewalt und Unfehlbarkeit zukommt, eine andere Realität, sei es die Gesamtkirche, oder der Gesamtepiskopat, seien es die Päpste in ihrer Reihenfolge im allgemeinen, oder die römische Kirche im Unterschied vom Papst…

(2) Es ist daher ein schreiender Widerspruch, die Unfehlbarkeit der Kirche anzuerkennen, aber einem von der Kirche deklarierten Dogma unter dem Vorwand die Anerkennung zu versagen, dass dasselbe nicht in der Offenbarung enthalten und also der unfehlbaren Entscheidung der Kirche nicht unterstellt sei. Vgl. Franzelin, De div. Tradit. p. 114 und den folgenden §. –
aus: J.B. Heinrich, Dogmatische Theologie, Bd. 2, 1876, S. 213 – S. 216

siehe auch den Beitrag: Das Lehransehen des Papstes

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