Die Torheit der Verdammten
Betrachtung zum 17. Dezember
Sicut oves in infernp positi sund; mors depascet eos.
Wie Schafe werden sie in die Hölle gedrängt; der Tod wird sie abfressen.“ ((Ps. 48, 15)
1. Erwäge, wie groß die Menge der Verdammten ist: „Wie Schafe werden sie in die Hölle gedrängt.“ Sie stürzen, wie Schafe, scharen- und herdenweise hinab: „Sammle sie wie eine Herde zur Schlachtbank.“ (Hebr. 9, 28)
Und kein Wunder. Denn da die meisten Menschen schlecht leben, so ergibt sich nach allem vernünftigen Ermessen die Folge, daß sie auch schlecht sterben. (Siehe auch den Beitrag: Wie sie leben, so sterben sie)
Und du – was wirst du sagen mitten in dieser Menge, wenn du je, was Gott verhüten wolle! Auch verdammt werden solltest? Vielleicht – daß es ein Trost sei, so viele Genossen der Verdammnis zu haben? Aber was für ein Trost war es wohl je für ein Schaf, daß es nicht allein, sondern in Gesellschaft vieler ins Schlachthaus getrieben wurde? „Du hast das Volk vermehrt, aber nicht die Freude erhöht.“ (Jerem. 12, 3)
2,. Erwäge: jene nämlichen Sünder, welche gegenwärtig so dreist wider Gott in die schranken treten, daß es scheint, als wollten sie, wie ein stolzes Rhinozeros, jedes Joch seines, wenn auch noch so gerechten Gesetzes von sich schütteln, – werden am letzten Tag so mutlos, so niedergeschlagen sich finden, daß sie dem Urteil ihrer ewigen Verwerfung nicht den mindesten Widerstand entgegen zu setzen vermöchten, auch wenn sie es wollten.
Und auch dies will der Psalmist ausdrücken, indem er von ihnen sagt: „Wie Schafe werden sie in die Hölle gedrängt.“
Siehst du, wie leicht ein einziger schwacher Hirt eine große Herde von Schafen zur Schlachtstätte führt? Eben so unschwer wird die göttliche Gerechtigkeit den ganzen unermesslichen Haufen der Verdammten in die Hölle treiben. Ja, sie wird machen, daß die Unseligen alle von selbst ohne irgend eine Widerrede hinein gehen: „Sie werden gehen in das ewige Feuer.“ (Matth. 25, 46)
3. Betrachte: so groß ist die Torheit der Sünder, daß die meisten von ihnen deshalb verdammt werden, weil sie von dem gewöhnlichen Brauch der Welt nicht abgehen wollen. Dies ist ja die ganz allgemeine Entschuldigung: es ist so Sitte.
Und dies geht so weit, daß wahrhaft endlos die Zahl derer ist, welche sich, weil sie eine niedrige Menschen-Rücksicht nicht zu überwinden vermögen, tagtäglich von ihren schlechten Genossen, „wie unvernünftige Tiere“ (2. Petr. 2, 12), zu Spiel und Trunk, zu Gelagen, zu Tänzen, zu Ausschweifungen jeder Art, ja bisweilen sogar in die ehrlosesten Schandhäuser hinziehen lassen: „Sie gehen zu den stummen Götzenbildern, wie sie geführt werden.“ (1. Kor. 12, 2)
Und auch dies will der Psalmist hier andeuten, indem er von ihnen spricht: „Wie Schafe werden sie in die Hölle gedrängt.“
Hast du schon gesehen, was ein Hirt tut, wann er bemerkt, daß seine Herde sich sträubt, über einen Graben zu gehen? Er nimmt ein Stück von der Herde heraus, und treibt es gleichsam mit Gewalt zum Hinüberspringen; und dann laufen die anderen alle sogleich von selbst nach. So macht es auch der böse Geist. Er stachelt einen auf, diese oder jene böse Gewohnheit einzuführen, – und siehe, sogleich ahmen Alle, als wären sie eben so viele Schafe, dieselbe mit geschlossenen Augen nach.
Du, wenn du nicht mit dem großen Haufen ins Verderben gehen willst, folge ihm nicht: „Folge nicht dem großen Haufen, um Böses zu tun.“ (Exod. 23, 2)
4. Erwäge ferner: da die Menge derer, welche tagtäglich zu Grunde gehen, weil sie selbst wollen, so groß ist; so kann die Hölle in ihrem weiten Schlund mit genauer Not sie alle fassen, wann sie nicht bloß mit der Seele, sondern auch mit dem Leib darin gefangen sein müssen.
Der Psalmist, der im Geiste voraus sah, wie sie in diesem Ort der Qual sich zusammen häufen werden, sagt daher von ihnen, daß sie daselbst wie Schafe dicht auf einander gedrängt sind: „Wie Schafe sind sie in die Hölle gedrängt.“
Weißt du nicht, wie die Schafe sich eng auf einander drängen, wann die Hürde zu klein ist? Das Gleiche wird bei den Verdammten der Fall sein. Daraus solltest du aber schließen, welch ein Drücken, welche eine Beengung, welch eine ängstige Wut, welch ein Krümmen und Winden dort alle in Verzweiflung bringen wird, da die Einen die furchtbare Wucht, die auf ihnen lastet, und die Andern die quälende Enge, welche sie zusammen presst, nicht ertragen können.
Siehe demnach, daß die Menge der Leidensgenossen in der Hölle für die Unseligen unmöglich eine Ursache des Trostes sein kann; im Gegenteil gerade der Umstand, daß ihrer so viele sind, wird für sie eine der unerträglichsten Qualen sein.
5. Erwäge endlich: der fürchterliche Druck, von dem wir eben gesprochen, müsste allein schon hinreichend sein, um bei den Verdammten den Tod zu bewirken, wenn sie noch fähig wären, denselben zu erleiden. Aber da die Unseligen nicht mehr sterben können, so werden sie bloß fühlen, was der Tod Qualvolles hat, ohne das kosten zu dürfen, was Tröstliches an ihm ist.
Und darum sagt der Psalmist zum Schluss, daß der Tod sie nach und nach verzehren wird, so daß er sie wohl zerstört, aber nicht tötet. Dies bedeuten die Worte: „Der Tod wird sie abfressen.“
Abfressen bezeichnet eigentlich das, was die Tiere tun, wann sie auf einer Wiese die Kräuter abbeißen, abreißen und zerreißen, um sie zu fressen; jedoch so, daß sie deren Wurzeln unangetastet lassen. So wird es auch der Tod machen, gleich als hätte er endlich seine Lieblingsspeise an den Verdammten gefunden: „Der Tod wird sie abfressen“; er wird sie verzehren, aber doch nie, daß er je sie vollends verzehrte.
Unter Tod aber hast du hier jede Art von Qual und Strafe zu verstehen, welche ihrer Natur nach geeignet ist, den Tod herbei zu führen; wenn du nicht vielleicht, nach dem Vorgang Mehrerer, es vorziehst, hier unter Tod den Teufel zu verstehen, der Tod genannt wird, weil er der Urheber des Todes gewesen; gleichwie Christus das Leben genannt wird, weil er der Urheber des Lebens ist: „Und siehe ein fahles Pferd, und der darauf saß, heißt Tod, und die Hölle folgte ihm nach.“ (Apok. 6, 8)
Aber wer auch immer dieser Tod sei, – ist es nicht eine Torheit, so wenig daran zu denken, wie man ihm entrinnen möge, daß vielmehr eine unzählbare Menge ihm sogar nachläuft? „Die Hölle folgte ihm nach.“ –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmelsbrod der Seele, 1854, Bd. IV, S. 548 – S. 551