Die Gnade der Auserwählung

Die Gnade der Auserwählung und Vorherbestimmung

Die Auserwählung und Vorherbestimmung des Menschen schließt ein Dreifaches in sich: Den Menschen, die Gnade und die Glorie; den Menschen, einen bestimmten Menschen, der erschaffen werden; die Gnade, welche ihm in seinem Leben auf Erden verliehen werden; und die ewige Glorie, welche ihm im Himmel zu Teil werden soll, wie der hl. Augustinus sagt: „Die Vorherbestimmung ist eine Voranordnung, in welcher drei Dinge zusammen treffen: Der Mensch, die Gnade und die Glorie.“ (1)

Die Vorherbestimmung setzt in Gott das Vorherwissen voraus, welches die Kenntnis alles Künftigen, und in Bezug auf den Menschen auch die Kenntnis aller seiner freien Willens-Entschließungen, in sich faßt, ohne jedoch dessen Freiheit zu beschränken, wie der heilige Augustinus lehrt: „Obwohl Gott unsere Willens-Tätigkeiten voraus weiß; so folgt daraus doch nicht, daß wir etwas ohne Willen wollen.“ (2) Er führt auch den Grund dessen an, indem er schreibt: „Wie du durch deine Erinnerung es nicht erzwingst, daß dasjenige geschehen sei, was vergangen ist; so bewirkt Gott durch sein Vorherwissen nicht mit Gewalt, daß dasjenige geschehe, was geschehen wird.“ (3) Denn es geschieht etwas nicht deshalb, weil man es weiß; sondern man weiß es vielmehr nur deshalb, weil es geschieht; und somit ist nicht das Wissen der Grund des Geschehens, sondern vielmehr das Geschehen der Grund des Wissens; es mag sich um etwas Vergangenes oder Gegenwärtiges oder Künftiges handeln. „Wie daher das Wissen des Gegenwärtigen auf das, was geschieht, keinen Zwang ausübt, ebenso auch nicht das Vorherwissen des Künftigen auf das, was kommen wird“ (4); und: „Das göttliche Vorauswissen ändert die Natur der Dinge und deren Eigentümlichkeit nicht.“ (5) Bei allem auch noch so bestimmten und unfehlbaren Vorherwissen Gottes bleibt der Mensch doch im vollsten Gebrauch und Genuß seiner Willensfreiheit, und erleidet in seinen Entschließungen und Tätigkeiten nicht den geringsten Zwang. Gleichwohl ist dieses Vorherwissen Gottes zur Vorherbestimmung wesentlich notwendig, da über das, was nicht zuerst gewußt wird, auch nichts bestimmt werden kann.

Während nun das Vorherwissen sich lediglich auf die Erkenntnis dessen beschränkt, was in der Zukunft geschehen wird; bereitet die Vorherbestimmung die Mittel und Wege, die Gnaden, durch welche der Mensch seinem Ziele, der ewigen Seligkeit entgegen geführt wird, und greift deshalb in dessen Heil in gewissen Beziehungen ursächlich ein; wie der heilige Thomas lehrt: „Das Vorherwissen bedeutet nur die Kenntnis dessen, was zukünftig ist; die Vorherbestimmung aber bedeutet eine gewisse Ursächlichkeit desselben.“ (6) Diese Ursächlichkeit ist aber wieder nicht eine solche, welche auf die freie Willens-Entschließung des Menschen einen nötigenden Einfluß übt, wie der heilige Fulgentius sagt: „Der Wille ist die Ursache in der Auserwählung, nicht die Auserwählung die Ursache des Willens“ (7); sondern bietet ihm einfach die Mittel, frei zu wollen, und, was er frei gewollt, frei auszuführen, und zu vollenden, in Beziehung auf sein ewiges Heil, dasselbe in der Tat zu wirken, die derselbe heilige Lehrer sagt: „Der Name Vorherbestimmung bezeichnet nicht irgend eine zwingende Nötigung des menschlichen Willens, sondern preist die barmherzige, gerechte, ewige Anordnung des zukünftigen göttlichen Werkes“ (8) in der Rechtfertigung, Heiligung und Beseligung des Menschen.

Wenn nun Gott von einem Menschen vorher sieht, daß er mit den für ihn bestimmten, und ihm wirklich mitzuteilenden Gnaden entweder bis an das Ende fortwährend treu mitwirken, oder, wenn er auch fällt, sich wieder erheben, und endlich im Zustand der Gerechtigkeit und Heiligkeit sein Leben enden werde, und wenn Gott deshalb beschließt, ihm die ewige Seligkeit zu geben; so sagt man von demselben, daß er vorher bestimmt und auserwählt sei.“

Zur Vorherbestimmung, zur Auserwählung eines Menschen gehören also wesentlich folgende Dinge: Daß Gott für denselben die gehörigen Gnadenmittel bereit halte; daß ihm Gott diese Gnadenmittel zur rechten Zeit wirklich mitteile; daß der Mensch diese Gnaden mittel auch in Empfang nehme; daß er mit denselben wenigstens in so weit mitwirke, als es erforderlich ist, um im Zustande der Gerechtigkeit und Heiligkeit sein Leben zu beschließen; daß Gott in seiner Allwissenheit dieses Alles voraus sehe, und deshalb beschließe, ihn wirklich selig zu machen. Zur Vorherbestimmung eines Menschen sind also, wie das Vorauswissen und wie die Gnadengaben von Seite Gottes, eben so das Mitwirken und überdies noch das Gebet des Menschen, an welches Beides Gott seine Gnadengaben knüpft, wesentlich notwendig: „Die Vorherbestimmung für das ewige Reich ist von dem allmächtigen Gott so geordnet, daß die Auserwählten zu demselben nach Maßgabe ihrer Arbeit gelangen, wenn sie durch Gebet zu erlangen verdienen, was der allmächtige Gott von Ewigkeit her ihnen zu geben festgesetzt hat.“ (9)

Daraus ist nun ersichtlich, daß die Sünde und die Verdammnis des Menschen wohl Gegenstände des Vorherwissens, aber nicht Gegenstände der Vorherbestimmung Gottes seien; da Gott alles künftige Böse, wie alles künftige Gute, weiß, aber Niemanden für das Böse und für die Verdammnis bestimmen kann; da er ja in diesem Fall sich selbst des Bösen und aller Folgen desselben schuldig machen würde, was unmöglich ist. Daher schreibt der heilige Augustinus: „Gott nötigt darum, weil er die künftigen Sünden der Menschen vorher weiß, Niemanden zum Sündigen; denn er weiß ihre Sünden, nicht die seinigen , nicht die eine Andern, sondern die ihrigen vorher. Wenn daher dieselben, die er als die ihrigen vorher weiß, nicht die ihrigen wären; so würde er sie nicht der Wahrheit gemäß vorher wissen. Weil sich aber sein Vorherwissen nicht täuschen kann, so sündigen ohne Zweifel, nicht irgend ein Anderer, sondern sie selbst; da Gott von ihnen vorher weiß, daß sie sündigen werden.“ (10) Es bleiben also bei allem Vorherwissen und bei aller Vorherbestimmung Gottes die Sünder, wie die Gerechten, die Auserwählten wie diejenigen, welche ewig zu Grunde gehen, in allen ihren Willens-Entschließungen und Lebenshandlungen vollkommen frei; und ihr ewiges Schicksal liegt in ihren Händen. Daher ist es auch der Auserwählten verdienst, wenn sie selig werden, und der Verworfenen Schuld, wenn die verdammt werden; es gilt für sie Alle das Wort: „Zu Zeugen rufe ich heute den Himmel und die Erde, daß ich euch vorgelegt habe Leben und Tod, Segen und Fluch. So wähle denn das Leben“ (11); „denn Gott will, daß alle Menschen selig werden.“ (12)

Da aber Gott sowohl denen, die verdammt werden, die nötigen Gnaden gibt, durch welche sie selig werden können; als auch jenen, welche selig werden, durch seine Gnade verhilflich ist, für das ewige Leben verdienstlich wirken zu können: so werden weder jene Unglücklichen in ihrer Verdammnis eine Entschuldigung finden, um ihren Untergang auf Gott, oder auf andere Menschen hinüber zu wälzen; noch diese Glücklichen ein Recht oder einen Grund haben, sich ihrer Gerechtigkeit zu rühmen: „Die unergründliche und unaussprechliche Güte der Vorsehung Gottes hat dafür gesorgt, daß weder einer von denen, die verloren gehen, sich damit entschuldigen kann, daß ihm das Licht der Wahrheit verweigert worden sei, noch es Jemanden zukommt, sich seiner Gerechtigkeit zu rühmen; da sowohl jene die eigenen Bosheit in die Strafe versenkt, als auch diese die Gnade Gottes zur Herrlichkeit führt.“ (13) Wer fällt und untergeht, der fällt, und geht unter durch die eigenen Schuld; wer steht und die Krone erlangt, der steht, und erlangt die Krone vermittelst der Gnade Gottes.
So verhält es sich mit der Auserwählung und Vorherbestimmung des Menschen; und eine solche Auserwählung und Vorherbestimmung ist aus dem heiligen Apostel Paulus zu Teil geworden.

(1) Libr. I. Sentent. Distict. 40. dub.5
(2) Libr. III. de lib. Arbitr. c. 3.
(3) Libr. III. de lib. Arbitr. c. 4.
(4) Boetius, Ibr. V. de consolat. Philos. Prosa. 4.
(5) Idem ibid. Pros. 6.
(6) Super Epist. Ad Rom. c. VI. Sect. 6.
(7) Ad Monimum Libr. I. De verit. Praedest.
(8) Ad Mom. Libr. I. De verit.praedest. c. 7.
(9) S. Greg. Libr. I. Dialog. c. 8. verbo: Obtineri.
(10) Tract. 53. super Joan.
(11) Deut. c. XXX. v. 19.
(12) 1. Tim. c. II. v. 4.
(13) S. Ambros. Libr. II. de vocat. Gent. c. 9.

aus: Georg Patiss SJ, Paulus in seinen apostolischen Tugenden, 1881, S. 2-6

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