Die Seligkeit und Freude Jesu im Himmel zu schauen
Die heilige Melania hast du jetzt begleitet auf ihrem irdischen Lebenswege; du hast an ihr mit Wohlgefallen bewundert die heilige Gewalt, mit der sie ihr großes Herz abgelöst und frei gemacht hat von allem, was nur zeitlich und vergänglich ist, hast bewundert ihre tätige Liebe, mit der sie Jesus in den Gliedern seines heiligen Leibes in den Armen, Kranken, Leidenden und Gefährdeten, geehrt und Ihm gedient hat; hast bewundert ihre sehnsüchtige Liebe, mit der sie Jesus nach gegangen ist nach Bethlehem, nach Nazareth, nach Jerusalem, an den Ölberg und auf Golgotha hinauf, hungernd und dürstend nur nach Ihm, nach vollkommener, ewiger Vereinigung mit Ihm. Folge nun der hl. Melania noch nach in die Ewigkeit und schaue sie bei Jesus im Himmel.
1. Jesus im Himmel ist nach der hochheiligsten Dreifaltigkeit gewiß die reichlichste und süßeste Quelle, aus welcher die Engel und Heiligen sich mit ewiger Freude und Seligkeit berauschen. Denn Jesus ist der König der Glorie, und der Himmel ist nur deshalb so schön, über jeder Vorstellung und Empfindung für die erschaffenen Engel und Menschen schön, weil Jesus dort seinen Herrscherthron hat. Der Himmel ist im höchsten Sinn das Reich des Lichtes, der wonnevollsten Klarheit, und der hl. Johannes sagt in seiner Offenbarung, daß die Stadt Gottes nicht von Sonne oder Mond beleuchtet wird, sondern einzig und allein von dem Glanz und der Herrlichkeit des Lammes, dessen Licht alle Geister überstrahlt und ihre Herzen entzückt. Die heilige Schrift sagt, daß Jesus, in welchem die Gottheit und die Menschheit zu Einer göttlichen Person vereinigt ist, der Schönste unter allen Menschenkindern sei. (Ps. 44) In Ihm sind alle erschaffenen Gnaden, welche schon in den Chören der Engel und in Maria, der makellosen Jungfrau, zu einer erstaunlichen Summe angewachsen sind, wie in einem Brennpunkt vereinigt und von dem Feuer der Gottheit durchglüht, so daß die Ewigkeit für die seligen Bewohner des Himmels nicht lang genug sein wird, um all` die Schönheiten und Vollkommenheiten kennen zu lernen, welche Ihn zieren, und all` die Liebe und Süßigkeit zu preisen, welche von seinem Herzen ausströmt.
2. Die Seligkeit und Freude, Jesus im Himmel ewig zu schauen, übersteigt Alles, was die menschliche Zunge zu sagen vermag. O welch` eine Süßigkeit, welch` ein Entzücken muss es sein, Jesus im Himmel zu schauen, da der himmlische Vater, als Er ihn wie einen gedemütigten Sünder im Wasser des Jordan stehen sah, die Wolken zerteilte und die Gefühle seines Herzens ausdrückte in den Worten der Freude: „Dieser ist mein vielgeliebter Sohn, an dem Ich mein Wohlgefallen habe!“ Auf dem Berge Tabor ließ Jesus einmal seine Herrlichkeit aufleuchten vor seinen drei Lieblings-Aposteln; aber ihr Auge vermochte den Glanz seiner Schönheit nicht zu ertragen, noch ihre Zunge die süßen Empfindungen des Herzens auszusprechen; Petrus, ganz entzückt, wußte nur zu sagen: „Herr, hier ist gut sein, hier wollen wir drei Hütten bauen!“ Er vergaß sich selbst, seine zwei Gefährten, die übrigen Apostel, die Hütten für sie, er dachte nur an die Herrlichkeit Jesu und seiner zwei Freunde: Moses und Elias; diesen drei wollte er in seiner Freude Hütten bauen, einen weiteren Wunsch kannte er nicht mehr. Mit welchem Entzücken wird erst Melania, die sich schon ander leeren Krippe in Bethlehem selig fühlte, jetzt im Himmel ausrufen: „Hier ist gut sein, bei Dir, o Jesu“! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 977