I. Der christliche Ehestand
§ 2. Die christliche Ehe
Von dem erhabenen Glück, zu welchem Gott das jungfräuliche Ehepaar im Paradies erhoben hatte, stürzte sich Eva, die Gehilfin des Mannes, durch die frevelhafte Übertretung des göttlichen Fastengebotes mutwillig herab und riß auch den Gatten mit sich in die Tiefe namenlosen Unglücks.
Beide sahen zum ersten Mal, was seitdem alle Eheleute mit Schmerzen erfahren, nämlich daß in der Ehe und in der Familie, welche sich von Gott undankbar abwendet und seines Segens unwürdig macht, alles sinkt und verkommt, daß kein Weltweiser, keine Gesetzgeber der entweihten Ehe ihre Würde und Kraft zurück zu geben vermag. Nur Jesus Christus, der göttliche Welterlöser hatte die Macht und das Erbarmen dazu und Er hat in Wirklichkeit die Ehe von dem schrecklichen Aussatz gereinigt und mit übernatürlicher Schönheit wieder ausgestattet…
Es ist eine bedeutsame Tatsache, daß Jesus schon in den ersten Wochen seines öffentlichen Missionsarbeit mit seiner Mutter Maria und den Aposteln der Hochzeitsfeier armer Brautleute zu Kana in Galiläa beiwohnte und die Freude dieses Festes durch sein erstes Wunder erhöhte (Joh. 2, 1f.) Der Evangelist Matthäus berichtet (19,1f.), daß Jesus die Würde der Ehe gegen das Ungestüm der Leidenschaften wieder durch die Macht seines Gesetzes geschützt, sowie die Einheit, Unauflösbarkeit und Heiligkeit derselben für alle Menschen und alle Zeiten angeordnet hat. Diese drei Eigenschaften, welche eine kurze Betrachtung verdienen, erheben die christliche Ehe weit über alle anderen ehelichen Verbindungen.
1. Die Einheit der christlichen Ehe
Die Einheit der christlichen Ehe verlangt, daß der Mann gleichzeitig nur Eine und nicht mehrere Frauen haben dürfe. Diese Einheit, welche von der Leidenschaft so gerne geleugnet wird, und deren Nichtbeachtung das Gesetz der Juden wegen der Herzenshärte derselben duldete, hat Jesus wieder zum absoluten Gesetz erhoben, indem Er die ursprüngliche Bestimmung: „Der, welcher im Anfang den Menschen schuf, hat ihn als Mann und Weib geschaffen und gesagt: um deswillen wird ein Mann Vater und Mutter verlassen und seinem Weibe anhangen, und sie werden Zwei in einem Fleische sein“ (Matth. 19, 4u.5) neu bekräftigte und jede Nebenehe für immer verbot. Gott selbst hat also die ursprüngliche Ehe eingesetzt und deren Einheit dreifach befestigt; a) durch die Einheit des Ursprungs (Eva und Adam genommen), b) durch die Einheit der Fortpflanzung (1. Mos. 2, 21 u.23), c) durch die Einheit in dem Naturtrieb, welchen Adam selbst als den Willen Gottes bezeichnet (2. Mos. 2,24). Mit den ganz klaren Worten: „Sie werden Zwei in einem Fleische sein“, verordnete Jesus, daß die Eheleute nur zu Zweien in so inniger Einheit leben sollen, wie zwei in Einem Körper, oder vielmehr so einig, daß sie nur Ein Wesen, Eine Seele, Ein Leben seien; nicht nur ihr Tun und Lassen, ihre Freuden und Leiden, ihre Hoffnungen und Kümmernisse, sondern auch ihre Naturen sollen sich zu einer harmonischen Einheit verschmelzen.
Die Kirche sieht deshalb eine zweite Ehe (nach dem Tod des ersten Gatten) ungern, jedoch ohne dieselbe für unerlaubt zu erklären. Auch die Familiengeschichte ist arm an Zeugnissen und Beispielen, daß die zweite Ehe an Liebe, Frieden und Freude reich gewesen sei, daß es Stief-Vätern oder -Müttern oft geglückt habe, den angetroffenen Kindern ihren Vater oder ihre Mutter ganz zu ersetzen. Die Vernunft erkennt schon in ihrem natürlichen Licht, daß jeder Mensch auch der verwitwete, nur Ein Herz hat und dasselbe nur an Eine, nicht an zwei oder drei Ehehälften hingeben kann. Dazu kommt noch der Umstand, daß die im Jenseits lebende Ehehälfte meistens für liebenswürdiger geschätzt wird, als die im Diesseits noch lebende… –
aus: Otto Bitschnau, Christliche Standesunterweisungen, 1896, S. 8; S. S. 13 – S. 14