Liberalismus und seine Missgeburt

Der Liberalismus und seine Missgeburt

Ehrenvoll und geachtet lebten die wohlhabenden Meister mit ihren Arbeitern in den Zünften und erhielten sich auf der Höhe ihrer Aufgaben, solange die christliche Liebe in diesen Körperschaften waltete. Als aber infolge der Reformation die herzlose Selbstsucht mit wildem Hasse die christliche Liebe anfeindete und in weiten Kreisen besiegte, wurden die Zünfte zu einem Leibe ohne Seele und gingen allmählich, aber unaufhaltsam der Auflösung entgegen…

… Das Gesetz der absoluten Gewerbefreiheit und der freien Konkurrenz gab dem goldmächtigen Großbetrieb das tyrannische Recht, ungezählten Kleingewerben Arbeit und Verdienst wegzunehmen und die ruinierten Meister spöttisch einzuladen: „Ihr tut mir leid, kommet nur in mein Geschäft, ich will euch als Gesellen anstellen. Die Bestimmung der Lohnhöhe und der Arbeitszeit müsset ihr mir überlassen, indem gerade jetzt das Angebot von Arbeitern weit größer als die Nachfrage.“ Eine weitere unberechenbare Schädigung des Volkswohles durch die Kapitalmacht bestand darin, daß die brotlosen Arbeiter in den entfernten Ortschaften sich gezwungen sahen, ihre Familie, ihre Heimat zu verlassen und an den Ort, wo ihr Großbetrieb stand, zusammen zu strömen, an den Wahltagen sich den selbstmörderischen Stimmzettel vom despotischen Arbeitgeber aufzwingen zu lassen und am Leibe, noch mehr an der Seele zu verelenden. Die Sittlichkeit an solchen Arbeiter-Zentren ist eine unglaubliche, aber eine begreifliche für den, welcher die Wohnungen der Arbeiter-Armee, die sogenannte „Sündentempel“ und den Verbrauch an Schnaps kennt; welcher genau weiß, daß die Hohenpriester des goldenen Kalbes gerade in einer gott- und sittenlosen Menge die tauglichen Hände für den Dienst des Kapitals finden und besitzen.

Mit Hilfe der absoluten Gewerbefreiheit, der freien Konkurrenz und der Maschine ist die satanische Selbstsucht des geldmächtigen Liberalismus in ihrer Arbeit, den gewerblichen Mittelstand in sich aufzusaugen, schon weit fortgeschritten und bald fertig; auch sein über Land und Meer austrompetetes Glück ist nahezu fertig, nämlich der gähnende Abgrund zwischen dem Überfluss sehr Weniger und der Armut unzähliger Vieler, sowie die allgemeine Klage der Gesellschaft über die fabrikmäßige, meistens schlechte Ware des Großbetriebes und den zu hohen Preis derselben.

Während der Erntearbeit hat der makellose Liberalismus einen natürlichen Sohn erzeugt, eine arge Missgeburt mit kurzen Beinen, ungeheurem Unterleib, sehr vielen und langen Fingern und gewaltigen Fleischlippen im mehr breiten als hohen Gesicht – er heißt Sozialdemokratie. So lange dieser Sohn klein war, hatte der Herr Papa großes Wohlgefallen an ihm, gab ihm aufgeklärte Lehrer, damit sie ihn konfessionslos ausbilden und feindlich gegen jede geoffenbarte, vorzüglich gegen die katholische Religion und deren Priester erziehen. Seitdem aber dieser Sohn gewachsen und und geschult ist, seitdem er unartig gegen den Herrn Vater sich benimmt und mit trotzigem Gesicht schreit: „Alter, Geld her, ich hab` Hunger, großen Hunger, ich will nicht bloß täglich 14,16 und 18 Stunden für dich arbeiten und dann bei einem Unfall, in einer Krankheit oder doch im Greisenalter verelenden, sondern ich will auch genießen in Freude und Lust. Deine Religion ist auch die meine; wir beide überlassen den Himmel den Engeln, den Spatzen und den dummen Pfaffen, welche nur von Ewigkeit, von Glück und Freude in einer andern Welt schwätzen. Nein – jetzt will ich in Lust und Freude genießen, darum Geld her.“

In der ganzen Welt muss Gleichheit sein,
Unerlaubt ist Reichtum, Mein und Dein,
An den Weibern, Häusern, Gut und Gaben
Soll ein jeder gleichen Anteil haben.

Freilich leugnet der Liberalismus auf Tod und Leben, daß er der Vater dieses häßlichen, großmauligen Sohnes sei und belastet mit seiner Sünde den Ultramontanismus, den Papst in Rom!!

Selbstverständlich vermag der tobende Streit zwischen Selbstsucht des Liberalismus und der Genusssucht der Sozialdemokratie den Niedergang des Handwerker-Standes nicht aufzuhalten, noch weniger den Abgrund zwischen dem luxuriösen Reichtum und der trostlosen Armut auszufüllen. Solches vermag einzig und allein die christliche Gerechtigkeit und Liebe, wie solche der Goldschmied Eligius in seinem Gewerbe praktiziert hat. Denn die christliche Gerechtigkeit verbietet nicht das Reichwerden, sondern sie gebietet: „Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist:“ Die christliche Liebe, erhöht am Kreuze auf Golgatha, ruft hin über das Morgen- und Abendland: „Dies ist mein Gebot, daß ihr euch einander liebet, wie Ich euch geliebt habe.“ (cf. Joh. 15,12). Dazu bemerkt so schön der hl. Paulus: „Ihr kennt die Gnade unseres Herrn Jesu Christi, daß er um euretwillen arm geworden ist, daß Er reich war, damit ihr durch seine Armut reich würdet“ (2. Kor. 8,9). Jesus, der Gekreuzigte, welcher den Juden aller Orte ein Ärgernis und den Heiden aller Zeiten eine Torheit ist, hat schon mehr als einmal die Sklaven von dem Joche der Geldmächtigen befreit, schon mehr als einmal die Halbtoten aus den Klauen der Wucherer gerettet und den Pforten der Hölle bewiesen, daß sie Ihn und die Seinigen nicht zu überwältigen vermögen. Darum, christliches Volk, Handwerker und Gewerbsleute, die ihr jetzt entehrt im Elend schmachtet, seufzet nicht: „Wo ist ein Weiser, wie ein Schriftsteller, wie ein Forscher dieser Welt, der uns zu unserem Recht, zu unserer Ehre und unserem Wohlsein wieder verhilft; sondern gehet vertrauensvoll zum Gekreuzigten, in seiner Kirche fortlebenden Jesus, Er ist uns von Gott zur Weisheit geworden, Zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung“ (vgl. 1. Kor. 1,30). –
aus: Otto Bitschnau, Christliche Standesunterweisungen, 1896, S. 383 – S. 387

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