Zwölfte Betrachtung
Der Heilige Geist der Geist der Liebe
Die Liebe wird uns durch den Heiligen Geist mitgeteilt
Aus der himmlischen Feder des hl. Paulus ist ein großes Wort geflossen, ein tiefes, bedeutsames Wort, welches die fromme Seele nicht zu oft wiederholen könnte, indem sie sich bemüht, in den hochwichtigen Sinn einzudringen, welcher in demselben liegt. „Die Liebe – sagt der große Apostel – ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Geist, der uns gegeben ist!“ (1) Wie nun nichts über die Liebe geht, welche die Königin der Tugenden ist, und die das Vorrecht hat, den Glauben und die Hoffnung zu überleben, um ewig zu dauern, so ist es höchst einleuchtend, daß für unsere Seele das einzig Notwendige in der Liebe besteht, und folglich in der Aufnahme des Heiligen Geistes, dessen Amt es ist, die Glieder Jesu Christi durch die Liebe zu heiligen. Der Heilige Geist begründet die Herrschaft der Liebe in unserm Herzen, wie der große Apostel klar sagt.
Daß die Liebe uns durch den heiligen Geist mitgeteilt wird, lehrt uns der Glaube in der ausdrücklichsten Weise. Der hl. Paulus hat das große Wort geschrieben: „Die Frucht des Heiligen Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Langmut, Sanftmut, Glaube, Bescheidenheit, Enthaltsamkeit und Keuschheit.“ (2) Alle Güter welche der Apostel nach der Liebe aufzählt, müssen als die Früchte, die Wirkungen, die Folgen der Liebe angesehen werden. So glauben der hl. Augustinus, der hl. Anselm, der hl. Franz von Sales und sehr viele andere Erklärer. Die wahre Frucht des Heiligen Geistes, die, welche Alles umfaßt, welche alles hervor bringt, ist also die Liebe.
Der Lieblingsjünger Jesu sagt: „Gott ist Liebe: und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott, und Gott in ihm.“ (3) Nun wissen wir, daß in der allerheiligsten Dreifaltigkeit der Heilige Geist die Liebe ist; das lehrt die Kirche ausdrücklich, in ihren Hymnen nennt sie den Heiligen Geist „Feuer“, „Liebe“ – „ignis“, „caritas“. Es ist also gewiß, daß die Gegenwart des Heiligen Geistes in mir notwendig ist, damit ich die Liebe besitzen kann, wie auch die in meinem Herzen herrschende Liebe die Gegenwart des heiligen Geistes unterstellt, von der sie unzertrennlich ist, gleich wie die Frucht unzertrennlich ist von dem Baum, welcher sie hervor zu bringen bestimmt ist.
Anmutung
Diese vorläufigen Betrachtungen sollen dazu dienen, mich in die Prüfung mehrerer Wahrheiten einzuführen, deren Wichtigkeit für`s Leben ich bald einsehen werde. O, mögen doch diese Wahrheiten mich lebendig von dem Wunsch durchdringen können, den Heiligen Geist zu empfangen, und meine Seele durch die Sammlung und das Stillschweigen zum Empfang der kostbaren Gnaden vorzubereiten, welche der Heilige Geist so gerne in das Herz der Gläubigen ausgießt.
Erster Punkt
Die Natur der göttlichen Liebe oder die wahre Liebe
Wenn ich die Natur der göttlichen Liebe zu erkennen suche, so ist es ganz klar, daß es sich um diese Liebe handelt, wenn man sie betrachtet in einer Seele, welcher der Heilige Geist sie mitzuteilen Sich gewürdigt hat. Denn wenn man die Liebe in Gott, in ihrem Urquell, in ihrer unendlichen Vollkommenheit betrachtet – kann sie da wohl recht bestimmt und klar erkannt werden von einem armseligen Menschenverstand? Ich möchte versucht sein, auf diese ewige, unendliche, unbegreifliche Liebe jenen Satz anzuwenden, welchen der Prophet Isaias vom ewigen Wort sagt: „Wer wird Seinem Geschlecht auseinander setzen?“ (4) O mein Gott, Du bist die Macht, die Weisheit, die Liebe, ich weiß es, ich werfe mich nieder, ich bete an! Aber wenn es sich darum handelt, mit meinem Verstand in das Innere dieser Macht, dieser Weisheit und dieser Liebe einzudringen, bleibe ich erstaunt, geblendet und beschämt stehen und bekenne meine Nichtigkeit. Ich füge indes etwas hinzu, nämlich eine Wahrheit, auf die ich stolz sein darf, ich füge hinzu, daß ich durch das Licht des Glaubens Wunderbares über Deine unendlichen Vollkommenheiten begreifen kann, dadurch daß ich mich von der Kenntnis der Wirkungen zu der Ursache erhebe, welche dieselben hervor bringt, daß ich mich Deiner Werke als Stützpunkt bediene, um mich bis zu Dir hinauf zu schwingen, mich zu erheben zur Betrachtung einiger Strahlen Deiner ewigen Klarheit! –
Was in meinem Herzen jene Liebe ist
Doch ich komme auf mich selbst zurück, und frage mich, was in meinem Herzen jene Liebe ist, welche der Heilige Geist ihm mitteilt, wenn er kommt, darin zu wohnen. Und hier begegne ich dem hl. Augustinus, der mir seine Erleuchtungen anbietet und mir sagt: „Ich nenne Liebe eine Bewegung meiner Seele nach dem Genuss Gottes wegen Seiner Selbst, nach dem Genuss meiner selbst und meines Nächsten Gottes wegen. Wenn diese Bewegung in mir ist, so bringt sie die Vereinigung meiner selbst mit Gott und mit meinem Nächsten hervor; wenn sie auch in der Seele der anderen ist, so geht sie darauf aus, die Vereinigung meiner Seele mit Gott und mit meinem Nächsten hervor zu rufen.“ –
Wie klar ist diese Lehre, und wie süß für die gläubige Seele! Indem der Heilige Geist in mein Herz einzieht, teilt Er ihm jene Bewegung mit, vermittelst deren eben dieses Herz nach Gott hinstrebt und in Ihm Ruhe findet, um sich an Ihm zu nähren, in Ihm seinen Genuss zu finden. Diese vom heiligen Geist meiner Seele eingedrückte Bewegung fesselt mich an meine Seele selbst, weil diese Seele, mit Gott vereinigt, im Besitz Gottes, im Genuss Gottes, notwendig dem lieben Gott angenehm ist; wie sollte ich also diese Seele nicht lieben, von welcher der Heilige Geist Selbst versichert, daß „Gott Sein Wohlgefallen an ihr hat“? (5) Endlich zieht mich diese meinem Herzen durch den Heiligen Geist eingedrückte Bewegung zu meinem Nächsten hin, weil mein Nächster, nach der Erklärung des hl. Augustinus, nur ein Wesen ist, welches im Besitz Gottes ist, oder ein Wesen, dem ich dieses unschätzbare Gut verschaffen kann, ein Wesen, das noch der Freund Gottes werden und Ihn ewig verherrlichen kann.
Anmutung
O göttliche Liebe, wie schön sind deine Wirkungen, wie reich und kostbar sind sie für mich! Ich staune nicht mehr bei der Betrachtung jenes Lichtes, welches aus dem Wort des Hohenliedes hervor strahlt:
„Und wollt` ein Mann auch all` die Habe
seines Hauses für die Liebe geben,
Man würde jene doch gleich einem Nichts erachten!“ (6)
Was sind in der Tat alle Schätze, was bin ich selbst im Vergleich zur Liebe, vermittelst deren ich bis zu Gott empor steige und mich versenke in den Ozean Seines ewigen Lichtes? –
Wenn die Liebe ein wahres Feuer genannt wird
Wenn ich in der Heiligen Schrift lese, daß die Liebe ein Feuer ist, so muss ich bei diesem Worte verweilen und dasselbe dazu benutzen, die unaussprechlichen Schätze der Liebe besser begreifen zu lernen. Wenn die Liebe ein wahres „Feuer“ genannt wird , so heißt das, sie bringe auf dem Gebiet der Moral, dem übernatürlichen Gebiet, alle Wirkungen hervor, welche das wirkliche Feuer auf natürlichem Gebiet hervor bringt. Die Liebe erleuchtet die gläubige Seele, könnte sie daran zweifeln? O, wie sieht sie so klar, wenn sie viel liebt? Die Liebe wäscht, reinigt, säubert; was bleibt noch Unreines in einer Seele, deren sie sich bemächtigt? Selbst wenn diese Seele sich mit den schrecklichsten Sünden beladen sieht, sagt Jesus zu ihr: „Viele Sünden sind dir vergeben, weil du viel geliebt hast!“ (7) Die Liebe brennt -: welche Wärme in der Seele der Heiligen! Die Liebe teilt sich mit und pflanzt sich fort. Schaue hin auf die Apostel und sage an, ob dieselben, voll Feuer, mit welchem der Heilige Geist ihre Seele entzündet hatte, lange zögerten, dieses Feuer auf der ganzen Erde zu verbreiten? –
Es ist möglich, daß manche Seelen diese Wahrheit nicht begreifen; es ist möglich, daß eben diese Seelen einen entsetzlichen Widerwillen gegen dergleichen Betrachtungen haben. Wer sollte darüber staunen? „Der sinnliche Mensch – sagt der hl. Paulus – begreift nichts von den Dingen Gottes!“ (8) Aber, ruft der hl. Augustinus aus, gib mir ein Herz, welches liebt: Dieses fühlt, was ich sage! – O christliche Seele, wenn du noch nicht liebst, verspürst du nicht wenigstens einen Anfang von Wunsch, zu lieben? Verliere denn nicht diese erste Gnade! Bete, flehe um den Heiligen Geist, und der Gott der Barmherzigkeit wird auf dich die göttlichen Gaben herab senden, und du wirst die Liebe Gottes besitzen! –
Zweiter Punkt
Die Güter, welche die göttliche Liebe in unsere Seele mitbringt
Es ist etwas Großes, in Gott zu wohnen, und die Gewissheit zu haben, daß auch der liebe Gott in uns wohnt. Nun macht, wie wir bereits gesehen, der Heilige Geist dieses Versprechen jener Seele, welche Er heimsucht, und die sich nicht weigert, Ihn aufzunehmen. Aber verstehe es wohl, christliche Seele: diese Gegenwart der göttlichen Liebe mitten in dir zieht notwendig unermeßliche Güter nach sich, wofern du dieselben nur nicht hartnäckig zurück weisest! –
Das größte aller Güter ist der Besitz Jesu Christi
Das größte aller Güter, welche die Liebe verschafft und welche nur die Liebe uns geben kann, ist der Besitz Jesu Christi. Der göttliche Heiland hat Sich in nachdrücklichen und eindringlichen Worten ausgesprochen über die Notwendigkeit, mit Ihm vereinigt zu sein, um zum Vater zu gelangen. Er vergleicht Sich mit einem Weinstock, und Er nennt uns die Rebzweige dieses Weinstockes. Wie nun der vom Weinstock abgeschnittene Rebzweig abstirbt, verdorrt und nur mehr zum Verbrennen sich eignet, ebenso ist auch eine von Jesus Christus getrennte Seele eine tote Seele, die unfähig ist, die geringste Frucht für das ewige Leben zu tragen, und zum ewigen Feuer bestimmt ist. Darum sagt der göttliche Heiland zu uns: „Bleibet in Mir, und ich bleibe in euch!“ (9) Wodurch bleibt nun aber ein Baumzweig, ein Rebzweig grün, voll Leben und Frucht bringend? Dies geschieht durch den Saft. Welches ist nun der Saft, welcher die menschliche Seele mit Christus vereinigt hält? Sag an: ist er etwas Anderes als die Liebe? Nein, tausendmal nein! Wenn die Liebe nicht aus dem Herzen Jesu Christi in unser eigenes Herz hernieder steigt, und wenn nicht von unserem Herzen diese reine, übernatürliche, göttliche Liebe zum Herzen Jesu Christi sich hinbewegt, dann ist kein Saft mehr in uns, wir sind vom Stamm abgehauene Äste, vom Weinstock weg geschnittene Zweige. Was wird dann aus uns werden? Jesus Christus antwortet hierauf: „Nihil potestis facere“ – „Nichts könnt ihr tun!“ – –
O, wer kann das Unglück einer Seele begreifen, welche Jesu Christo nicht anhängt, welche von Ihm getrennt ist? Was ist sie in den Augen Gottes, der all` Sein Wohlgefallen an Jesu Christo, Seinem Sohne hat? O unglückliche Seele! Der göttliche Heiland ist für sie gar nicht vorhanden; ich sehe sie in einer schrecklichen Öde! Doch woher kommt diese Öde? Von der Abwesenheit, von der Entfernung des Heiligen Geistes; denn der Heilige Geist allein nimmt von Jesus Christus, um es uns mitzuteilen. Was nimmt Er? Seine Liebe. Wenn also diese Liebe nicht mehr in uns wohnt, leben wir fern von Jesus Christus, wir sind getrennt von Ihm.
Diese durch den heiligen Geist in unsere Herzen ausgegossene Liebe ist also ein unschätzbar großes Gut; ja ohne Zweifel, weil wir ja durch diese Liebe nur Einen und denselben Leib mit Jesus Christus ausmachen. Ebenso – sagt der hl. Augustinus – wie man beim Auspressen mehrerer Weintrauben nur Einen und denselben Wein hat, wie man beim Mahlen vieler Weizenkörner Ein und dasselbe Brot erhält, ebenso machen alle Christen, die in der Liebe verschmolzen werden, zusammen nur Einen und den nämlichen Leib Jesus Christus aus.
Wird Jemand diesen Schatz, die göttliche Liebe, deren ewiger Ursprung der Heilige Geist ist, vernachlässigen? –
Die Wirkungen dieser Liebe im Herzen
Doch ich habe kaum einige Wirkungen dieser Liebe im Herzen des Gläubigen erwähnt. Um sie alle anzugeben, müsste man die Gaben und die Früchte des Heiligen Geistes aufzählen, von welchen die hl. Schriftsteller reden; und dieses wunderbare Gemälde könnte man nicht in wenigen Zeilen ausmalen. Die christliche Seele wird nach dem Mittel suchen, diesen erhabenen Gegenstand der tiefsten Betrachtungen zu studieren. Ich will indessen noch einmal auf diese Frage antworten: Welches Gut verschafft der Seele die Gegenwart des Heiligen Geistes und somit auch die Gegenwart der göttlichen Liebe in ihr?
Ich sage, der Heilige Geist stärkt die Seele und trägt sie gewissermaßen auf den Weg, welcher sie vom Himmel trennt. Dieses ist eine Erfahrungs-Wahrheit. Wer findet das Joch des Herrn süß und leicht? Wer findet den Frieden, die Ruhe und die Freude in der Demut, welche das Evangelium vorschreibt? Wer ist stark und ausharrend im geistigen Kampf? Wer entgeht der Entmutigung und dem Falle? Die Antwort ist leicht -: Derjenige, welcher Gott liebt! Die Liebe ist stark wie der Tod; die Liebe trägt uns. Von der Gottesliebe getragen – sagt einer der größten Geisteslehrer – eilt die Seele, fliegt sie dahin, erhebt sie sich bis zur erhabensten Vollkommenheit. Man muss doch wenigstens ganz offen bekennen, nichts ist der Liebe unmöglich, ja, nichts erscheint der Liebe schwer.
Warum kommt also so Vieles nicht zu Stande? Woher kommen die Unschlüssigkeiten, die plötzlichen Veränderungen in den Vorsätzen, die Rückfälle in alte Gewohnheiten? Woher kommt die ewige Unbeständigkeit auf den Wegen des Heils? Man beklagt sich heutzutage mehr als je über die Härte des göttlichen Gesetzes, über die Strenge des Evangeliums: das Joch, welches dasselbe auflegt, sei erdrückend. Man gibt sich Mühe, man sucht viel, ein Buch, einen Seelenführer zu finden, welcher die Härte der Worte Jesu lindert. Nun, dieses Buch ist gefunden, diesen Führer will ich nennen, er heißt – Liebe. „Liebet“, ruft der hl. Augustinus aus, „und tut Alles, was ihr wollt!“ Das will sagen: Liebet Gott, und durch eure Unterwerfung unter das Joch des Evangeliums werdet ihr so glücklich, so getröstet sein in eurem Herzen, daß ihr Alles mit Freuden tut, wie wenn ihr bloß euren Willen tätet! –
Anmutung
O himmlische Liebe, ich fühle, daß deine Gegenwart mir notwendig ist! Was würde aus mir werden ohne dich? Heiliger Geist, komm, steige nieder in mein armes Herz und entzünde darin für immer jenes göttliche Feuer, das Du ewig schöpfst im Schoße des Vaters und des Sohnes, damit ich dereinst in die Gemeinschaft ihrer Herrlichkeit erhoben werde! –
Dritter Punkt
Worin die Güter, welche der Heilige Geist der gläubigen Seele mitteilt, sich kurz zusammen fassen lassen
Es existiert für die heiligen Seelen ein Gefühl, das man vergleichen kann mit dem Geschmackssinn und das, wie dieser Sinn, welchen der liebe Gott unserm Körper gegeben hat, um ihm das Essen und Trinken angenehm und leicht zu machen, uns die anbetungswürdige Person des göttlichen Heilandes, Seine Geheimnisse, Seine Taten, Seine Gedanken, Seine Gefühle und Seine Sprache süß und angenehm macht. Ich nenne diesen innern Sinn „Geschmack an Jesus Christus“. Geschmack an Jesus Christus haben heißt also so viel als eine Anziehungskraft, eine Hinneigung, eine Vorliebe verspüren, welche den Wunsch nach Jesus Christus erregt, welche uns bestimmt, Alles zu lieben, was Ihm angehört, Alles was Ihn angeht, Alles, was sich auf eben diese göttliche Person bezieht.
Geschmack an Jesus Christus haben
Als der liebe Heiland die ersten Apostel zu Seiner Nachfolge berief, teilte Er ihnen ein wenig mit von diesem Geschmack, von dieser Anziehungskraft, welche dieselben an Ihn anhänglich machte. Doch dies war nur ein wenig im Vergleich zu Jenem, was sich später ereignen sollte, und der göttliche Heiland erklärte vor Seinem Tode, es sei gut für die Apostel, Seine leibliche Gegenwart zu verlieren, damit der Heilige Geist in sie komme und ihnen jenes große Licht mitteile, welches sie über die Größe, die Vollkommenheiten und die liebenswürdigen Eigenschaften ihres Meisters aufklären, und dadurch ein lebendiges Gefühl der Liebe erwecken und eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf sie ausüben, endlich den kräftigsten Geschmack an Seiner anbetungswürdigen Person ihnen mitteilen sollte. Sieh hin auf die Apostel, sieh hin auf den hl. Paulus, auf alle Christen der jungen Kirche, und sage, welchen Geschmack Alle an Jesus Christus hatten, der ihr Leben, ihr ganzes Glück und ihr einziger Ruhm geworden war!
Der Geschmack an Jesus Christus ist eine Seelenstimmung, welche dem Heiligen Geist zu verdanken ist; nur der Heilige Geist teilt diesen Geschmack mit: derselbe ist somit übernatürlich. Wenn eine Seele ihn besitzt, so liebt sie Jesum Christum, ohne einen Unterschied zu machen, ohne etwas in Ihm auszunehmen. Sie liebt Jesum Christum so, wie Er ist, sie liebt Sein Leben und Seinen Tod, Seine Erniedrigungen und Seinen Ruhm; sie liebt Sein Kreuz, Seinen Altar, Sein Leben im hl. Sakrament; sie liebt Alles, was Jesu Christo angehört, weil sie zu Ihm hingezogen wird durch den Geschmack, der in ihr herrscht.
Der Widerwille gegen Jesus Christus
Der Geschmack an Jesus Christus hat die Heiligen hervor gebracht, wie auch andererseits die Abneigung, der Widerwille sehr vieler Christen gegen Jesus Christus die Hölle bevölkert. Der Widerwille gegen Christus wird dadurch hervor gerufen, daß man sich angezogen fühlt von Allem, was Jesus Christus durch Sein Beispiel und Seine Lehre verurteilt hat. Wie vermöchte man diesen Widerwillen zu vereinigen mit der Liebe, welche Jesus Christus fordert? – Daß die Abneigung gegen Jesus Christus heutzutage sehr verbreitet ist, braucht wohl nicht bewiesen zu werden. Die Unterhaltungen einer sehr großen Zahl von Leuten, welche gewissen religiösen Übungen zugetan sind und verschiedene gute Werke sich vorgenommen haben, bezeugen, daß die Grundsätze Jesu Christi viele Beschwerden verursachen, und daß man sie verwirft mit einer Verachtung, die nur zu offenkundig ist. Ach, leider muss man gestehen, Jesus Christus ermüdet und belästigt manche frommen Personen; sie haben gegen Seine wahre Lehre denselben Widerwillen, dieselbe Abneigung, welche die gottlosen Schriftsteller in Bezug auf Seine unendlich heilige Person öffentlich bekunden. Der Heilige Geist wohnt nicht in diesen Seelen.
Der Geschmack der Frommen an Jesus Christus
Schau dagegen hin auf die wahrhaft frommen Seelen, welche der Heilige Geist heimgesucht, welche Er geheiligt hat. Welch` süßen Geschmack haben sie an Jesus Christus, eine wie lebendige und mächtige Anziehungskraft übt Er auf sie aus! Diese Seelen eilen beständig Jesu Christo voran! Alles, was Er ist, macht die Wonne ihres Herzens aus; Alles, was Er getan, entzückt sie, erfüllt sie mit Bewunderung und Liebe; jedes Seiner Worte macht ihre Brust aufwallen! Diese Seelen laufen dem Heiland, Seinen Befehlen, den Kundgebungen Seines Willens voran. Es gibt Seelen, die einen solchen Geschmack an diesem göttlichen Meister haben, daß sie sich nicht damit begnügen, Seinen Befehlen zu folgen; eine süße und beglückende Kraft zieht sie hin zu Dem, was Jesus Christus geliebt, was Er geraten hat. Daher die evangelische Vollkommenheit, welche der ausgebildetste Geschmack an Jesus Christus, Seinem Geist und Seinem Herzen ist.
Und nun, gläubige Seele, wie ist es mit dir bestellt in Bezug auf dieses unschätzbare Gut, welches „Geschmack an Jesus Christus“ heißt? Es handelt sich für dich um einen Schatz, der Alles übersteigt; denn wenn du Geschmack an Jesus gefunden hast, wenn Er unaufhörlich Anziehungskraft auf dich ausübt, wie wirst du da schließlich nicht große Fortschritte in der Tugend machen? Wenn du also diese Dinge verstehst, so wirst du mit großen Seufzern um den heiligen Geist fehlen, weil Er allein den Geschmack an Jesus Christus gibt. Mit dem Geist der Welt kommt der Geschmack an der Welt; nun besteht der Geschmack an der Welt in dem Geschmack an den Dingen der Erde, und der hl. Paulus versichert, daß diejenigen, welche Geschmack an den irdischen Dingen haben, welche an ihnen Freude finden, die Feinde des Kreuzes Christi sind. (10) O, wie gut wäre es, dieses große Wort des Weltapostels öfters zu betrachten! –
Anmerkungen zu: Der Heilige Geist der Geist der Liebe
(1) Röm. 5,5.
(2) Gal. 5, 22-23.
(3) 1. Joh. 4, 16.
(4) Is. 53, 8.
(5) Vgl. Sap. 4, 13-14: „Früh vollendet, hat er ausgefüllt ein langes Zeitmaß. Denn seine Seele war Gott wohlgefällig, darum nahm Er ihn früh hinweg aus der Mitte der Laster.“
(6) Cant. 8, 7.
(7) Vgl. Luk. 7, 47: „Darum sage Ich dir: Es werden ihr (der Magdalena) viele Sünden vergeben, weil sie viel geliebt hat. Wem aber weniger vergeben wird, der liebt weniger.“
(8) Vgl. 1. Kor. 2, 14-15: „Der sinnliche Mensch nimmt nicht auf, was des Geistes Gottes ist; denn Torheit ist es ihm, und er kann es nicht erkennen, weil es geistig beurteilt wird. Der Geistige aber beurteilt Alles.“
(9) Vgl. Joh. 15, 1-6: „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Weingärtner. Jeden Rebzweig an Mir, der keine Frucht bringt, wird Er weg nehmen und jeden, der Frucht bringt, wird Er reinigen, daß er mehr Frucht bringe. Ihr seid schon rein wegen des Wortes, das Ich zu euch geredet habe. Bleibet in Mir, und Ich in euch. Wie der Rebzweig keine Frucht bringen kann von sich selbst, wenn er nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht in Mir bleibet! Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in Mir bleibt, und Ich in ihm, Der bringt viele Frucht: denn ohne Mich könnt ihr nichts tun! Wer nicht in Mir bleibt, Der wird hinaus geworfen werden, wie ein Rebzweig, und wird verdorren. Und man sammelt ihn, und wirft ihn ins Feuer, und er verbrennt.“
(10) Phil. 3, 18-19. –
aus: F. X. Coulin, Apostol. Missionar und Ehrendomherr von Marseille, Der Heilige Geist Betrachtungen, 1881, S. 201 – S. 217
Bildquellen
- spain-4318659_640: pixabay