Elfte Betrachtung
Der Heilige Geist ist der Geist der Wahrheit
Die Einwirkung des Heiligen Geistes auf die Kirche
Das letzte Abendmahl war zu Ende, und der göttliche Meister lag noch mit Seinen Jüngern zu Tische. Da verkündigte Er ihnen die unaussprechlichsten Geheimnisse der Liebe. „Wenn ihr Mich liebet“ – sprach Er zu ihnen – „so haltet Meine Gebote! Und Ich werde den Vater bitten, und einen andern Tröster wird Er euch geben, damit Er bei euch bleibe in Ewigkeit, den Geist de Wahrheit, den die Welt nicht empfangen kann, weil sie Ihn nicht sieht und Ihn nicht kennt; ihr aber werdet Ihn kennen, denn bei euch wird Er bleiben und in euch wird Er sein!“ (1)
Hier sehe ich klar die ewig dauernde Einwirkung des Heiligen Geistes auf die Kirche, zu deren Gründern die Apostel bestellt wurden. Diese ganz göttliche Einwirkung wird die Kirche in der Wahrheit erhalten, wird sie stark und unbesiegbar ihren Feinden gegenüber machen, und wird sie führen und leiten, bis sie ihre ewige Bestimmung erreicht hat. Aber die Tätigkeit des Heiligen Geistes darf man nicht allein in Seinen Beziehungen zur Kirche, insofern dieselbe eine Gemeinschaft bildet, betrachten; jedes der Glieder der Kirche, jeder Gläubige für sich besonders kann durch dieselbe Einwirkung geleitet, unterstützt und geheiligt werden, und es ist mir heute darum zu tun, eben dieses recht zu begreifen. Nein, es unterliegt gar keinem Zweifel, die Verheißung Jesu Christi gilt auch mir, und wenn ich will, so wird der Heilige Geist mir gegeben werden, Er wird in mir herrschen, Er wird mein Licht und meine Stärke sein, Er wird mich heiligen für die glückselige Ewigkeit.
Die Welt kann den Heiligen Geist nicht empfangen
Bevor ich indes die Größe des Gutes betrachte, welches Jesus Christus mir verspricht, will ich einen Augenblick bei dem Worte des anbetungswürdigen Meisters verweilen: „Die Welt kann Ihn nicht empfangen.“ Warum nicht? „Weil sie Ihn nicht sieht und Ihn nicht kennt.“ (2) Unter der Welt sind nach einem gelehrten Ausleger die Weltmenschen zu verstehen, jene „bösen Tiere“, wie der hl. Paulus sie geradezu nennt (3); die sinnlichen Menschen, die dem Bösen anhangen durch ganz irdische Gesinnungen, durch die Liebe zum Reichtum, zu Ehrenstellen, zu Vergnügungen, zu eitlem Ruhm, zu Weichlichkeit, zu allen Genüssen, die das gegenwärtige Leben bietet: diese Menschen sind die tatsächlichen „Feinde des Kreuzes Christi“, weil sie – wie der Weltapostel sagt (4) – „nur nach dem Irdischen trachten“. Diese Menschen bilden die Gesellschaft, welche der göttliche Heiland „die Welt“ nennt, und das ist die Gesellschaft, welche Jesus Christus für unfähig erklärt, den heiligen Geist zu empfangen. Ich darf nicht darüber erstaunt sein, daß es der Welt unmöglich ist, den Geist Gottes zu empfangen, da dieser Geist himmlisch, übernatürlich, göttlich ist, und darum Seine Herrschaft nur über jene Seelen ausdehnen kann, welche durch die Gnade übernatürlich, himmlisch, göttlich gemacht, und eben dadurch Feinde von Allem sind, was einen Weltmenschen ausmacht.
Der große heilige Kirchenlehrer Basilius sagt: „Ebenso wie ein mit dichtem Staub bedecktes Spiegelglas das Bild eines Menschen oder das Licht der Sonne nicht zurück strahlen könnte, so wird auch die Klarheit, das Licht des Heiligen Geistes, zurück gehalten vor einer Seele, die gleichsam mit einer Erdschicht von irdischen Gedanken und Gesinnungen bedeckt ist.
Der Weltmensch sieht den Heiligen Geist nicht
Nein, der Weltmensch empfängt nicht den Heiligen Geist, und zwar darum nicht, weil er Ihn nicht sieht; seine Augen sind verschlossen für dieses bewunderungswürdige Licht, oder sie sind vielmehr voll Staub, der sie am Sehen hindert. O, wie viele Seelen sind in diesem schrecklichen Zustand! Indem man den Heiligen Geist nicht sieht, weiß man nicht, was Er ist; wie könnte man Ihn also schätzen, wünschen und erbitten, wie könnte man Ihn vor Allem lieben, Geschmack an Ihm finden, mit Freude Ihn umfangen als einen Tröster mitten in den Betrübnissen dieses Lebens? –
Ich will den Heiligen Geist kennen lernen
Doch ich will die weltlich-gesinnte Seele lassen, um mich mit mir selbst zu beschäftigen, da ich durch die Wirkung der unendlichen Barmherzigkeit meines Gottes den Willen habe, den heiligen Geist kennen zu lernen und zu empfangen. Ja, Herr, mit Deinem Geist will ich mich heute beschäftigen; Du Selbst wirst mich über diesen Gegenstand belehren; Du wirst mich mit dem Gegenstand jener bewunderungswürdigen Verheißung bekannt machen, welche an alle Jünger erging: „Ich werde den Vater bitten, und einen andern Tröster wird Er euch geben, den Geist der Wahrheit!“ –
Anmutung
Gieße über mich diesen Geist aus, und mache mich fähig, Ihn zu schätzen, Ihn zu lieben und nach Ihm mich zu sehnen mit solcher Herzensglut, daß ich, wie die Apostel, voll von Ihm sein kann während meines Lebens und in der Stunde meines Todes! –
Anmerkungen zu: Die Einwirkung des Heiligen Geistes
(1) Joh. 14, 16-17.
(2) Joh. 14, 17.
(3) Vgl. Tit. 1, 12-13.
(4) Phil. 3, 18-19.
Erster Punkt
Der Heilige Geist zerstreut die Unwissenheit
Jesus Christus ist die Wahrheit
Ich hörte den göttlichen Meister sprechen: „Mein Vater wurde euch den Geist der Wahrheit senden!“ (1) Welch` ein Schatz für den Menschen, welch` ein unendliches Gut verheißt ihm Jesus Christus mit diesem göttlichen Wort! Zweifelsohne ist der Sohn Gottes, das fleischgewordene Wort Selbst die Wahrheit. Er hat es wiederholt gesagt: „Ich bin die Wahrheit!“ (2) Und das ist der Grund, warum außer Jesu Christo und seiner Unterweisung, Seiner Lehre, der Mensch sich vergebens bemüht und überall sucht, um die Wahrheit zu finden, das wahre Licht, welches den Verstand befriedigt und bis auf den Grund des Herzens hinab steigt, um es mit Seiner süßen und lieblichen Klarheit zu überfluten.
Der Heilige Geist befähigt Jesum Christum kennen zu lernen
Es war dem Heiligen Geist vorbehalten, Selbst den Geist und das Herz der Menschen zu öffnen, um sie zu befähigen, Jesum Christum zu sehen, kennen zu lernen, Geschmack an ihm zu finden und sich an Ihn anzuklammern als an das einzige Gut, das ihre ganze Seele zu sättigen um Standen ist. Ohne den heiligen Geist tappt die Seele in der Ungewissheit umher und fragt beständig wie jener unglückliche römische Landpfleger: „Quid est veritas?“ – „Was ist Wahrheit?“ (3) Mit dem Heiligen Geist sind alle Zweifel, alle Irrtümer, alle Lügen zerstreut, und die gläubige Seele ruht wonniglich im Schoß der Wahrheit.
Die erste Wirkung des heiligen Geistes
Die erste Wirkung aber, welche der Heilige Geist hervor bringt in einer Seele, deren Er Sich bemächtigt, besteht darin, daß Er aus dieser Seele die Nacht und die Finsternis verscheucht, welche die Unwissenheit hervor bringt. Da habe ich ein großes Wort ausgesprochen – die Unwissenheit! Was ist verdemütigender für uns, was ist gefährlicher? Und nichts desto weniger, wenn es sich um die notwendigen Dinge handelt, glaube ich nicht, daß man beim Menschen einem gewöhnlicheren Übel, als der Unwissenheit, begegnet.
Verscheuchung der Finsternis
Nicht wissen heißt nicht sehen, nicht kennen. Das Entbehren des Lichts, der Klarheit, der Wahrheit, macht den Zustand der Unwissenheit aus. Nun besteht im christlichen Leben, im geistlichen Leben, die Unwissenheit darin, daß man den lieben Gott, daß man Jesum Christum nicht sieht, darin, daß man sich selbst nicht sieht. O, eine wie dichte Finsternis wird den lieben Gott, Jesum Christum und die menschliche Seele einhüllen, wenn der Verstand nicht erleuchtet ist durch den Heiligen Geist, den „Geist der Wahrheit!“ Dieser Zustand ist schrecklich, und nichts desto weniger ist er sehr verbreitet. Von den Lehrstühlen der Universitäten bis hin in die Bergwerke, wo ein mit wenigen schmutzigen Lumpen bedeckter Unglücklicher arbeitet, magst du diejenigen Menschen zu zählen versuchen, für die der liebe Gott nur ein Wort, Jesus Christus ein unbekanntes Wesen, die menschliche Seele ein reines Nichts ist! Welch` eine entsetzliche Herabwürdigung! –
Ist der Zustand der Unwissenheit ein sträflicher Zustand?
Ist aber dieser Zustand der Unwissenheit ein sträflicher Zustand? Das ist eine Frage, die ernst genug ist, um eine aufmerksame Prüfung zu verdienen.
Wenn der Zustand der Unwissenheit freiwillig ist, so ist er offenbar sträflich; denn schließlich wird doch Niemand leugnen, daß der Wille, zu leben, ohne Gott zu kennen, ohne sich mit allem vertraut zu machen, was Jesus Christus angeht, ohne die Lage und den Zustand der menschlichen Seele, ihr Verhältnis zum lieben Gott, zu Jesus, prüfen, – ich sage, schließlich wird Niemand leugnen, daß dies ein Verbrechen für den getauften Menschen ist! Wo hat man aber die Ursache, wo den Grund für diese Unwissenheit zu suchen? Leider findet man den Grund fast immer in dem verdorbenen Willen. Dieser fürchtet das Licht, die Wahrheit, weil, wie der Heilige Geist sagt, „er sich fürchtet und sich weigert, Gutes zu tun“. (4) Wie viele Herzen sind ungeduldig über das Licht! Sie werden über dasselbe aufgebracht, sie stoßen es zurück, es ist ihnen unerträglich, weil es den Stachel des Gewissens erregt, welcher jener falschen Sicherheit, die da für viele Menschen den wahren Reiz des Lebens ausmacht, geradezu entgegen gesetzt ist. Wie vielen Vorwänden begegneten wir schon, warum man gewisse Dinge nicht lesen, nicht hören will! Wie weit mehr ist man eingenommen für Bücher und Redner, welche diese behagliche Ruhe nicht stören!
Nun höre ich einen Gerechten des alten Testamentes ausrufen:
„O sende doch Dein Licht und Deine Wahrheit!
Sie leiten mich und führen mich hinan zu Deinem heil`gen Berg`, zu Deinen Zelten!“ (5)
Das ist so recht der Ruf einer Seele, welche die Unwissenheit fürchtet und sie verabscheut als ein großes Übel. Kommt dieser Ruf auch aus meinem Herzen? Spreche ich immer so, in allen Lagen des Lebens? –
Die Wissenschaft ist eine Gabe des heiligen Geistes
Das Gegenteil der Unwissenheit ist die Wissenschaft, und diese ist eine Gabe des Heiligen Geistes. Man nennt sie die Wissenschaft Gottes, die Wissenschaft der Heiligen; sie kommt uns zu durch den heiligen Geist, welchen Jesus Christus „den Geist der Wahrheit“ nennt. Diese Wissenschaft ist das Brot des Verstandes, der dieselbe empfängt, um sich damit zu nähren. Gott, Jesus Christus, das Evangelium, die christlichen Tugenden – welch` ein weites Feld für den menschlichen Geist, der immer nach Wissen begehrt! Und wie glücklich ist eine Seele, wenn man auf sie das Wort der Schrift anwenden kann: „Er speist sie mit dem Brot des Lebens und des Verstandes!“ (6) Ich werde diese Seele sein, wenn ich nur will. Ist nicht der Heilige Geist mir verheißen worden? Und bringt Er bei Seiner Ankunft nicht die Klarheit, das Licht, den hellen Tag mit? Wenn ich also den edlen Ehrgeiz besitze, im Lichte zu wandeln, zu sehen wie die Nacht der Unwissenheit sich für mich zerstreut und einer himmlischen Klarheit Platz macht, so muss ich den Heiligen Geist anrufen, mit Inbrunst, mit Beharrlichkeit um Ihn bitten, und der göttliche Heiland wird Sich beeilen, mir zu sagen: „Du wirst empfangen die Kraft des Heiligen Geistes!“ (7)
Anmerkungen zu: Der Heilige Geist zerstreut die Unwissenheit
(1) Joh. 14, 6.
(2) Joh. 14, 6. Dicit ei Jesus: Ego sum via et veritas et vita: nemo venit ad Patrem, nisi per me.
(3) Joh. 18, 38.
(4) Ps. 35, 4.
(5) Ps. 42, 3.
(6) Ekkl. 15, 3.
(7) Act. 1, 8.
Zweiter Punkt
Der Heilige Geist berichtigt die Irrtümer
Die zweite Wirkung des Heiligen Geistes
Der Lieblingsjünger Jesu schrieb folgende Worte, welche man nicht zu viel betrachten kann: „Wir sind aus Gott. Wer Gott kennt, hört auf uns; wer nicht aus Gott ist, hört nicht auf uns: daran erkennen wir den Geist der Wahrheit und des Irrtums.“ (1) Dieser doppelte Geist muss also wohl existieren, da diejenigen, welche aus Gott sind, ihn kennen und eben dadurch zu unterscheiden wissen.
Ist der Irrtum sträflich?
Ich darf den Irrtum nicht mit der Unwissenheit verwechseln. Die Unwissenheit sieht nicht, sie weiß nicht, sie gleicht der Finsternis, der Nacht. Was jedoch den Irrtum betrifft, so weiß er, sieht er, aber weiß schlecht, und sieht in einem falschen Licht; das Licht, welches er sieht, ist nicht das wahre Licht. Nun aber ist Jesus Christus die Wahrheit. (2)
Ein schreckliches Unglück ist jener Zustand, in welchem eine Seele zu wissen glaubt, und sich einredet, sie besitze das Licht, wenn der Geist des Irrtums, von welchem der hl. Johannes spricht, allein es ist, der sie leitet! Hören wir Jesum Christum; Er richtet folgende tiefe Worte an uns: „Sieh` zu, daß das Licht, so in dir ist, nicht Finsternis sei!“ (3) und an einer andern Stelle: „Wenn das Licht, welches in Dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann erst die Finsternis sein!“ (4)
Ist nun aber der Irrtum sträflich? Leider ist er gewöhnlich und in tausend Fällen sehr sträflich! Das Wahre, besonders in der Sittenlehre, ist der durch die Sünde verdorbenen Natur geradezu entgegen. Man macht Einwendungen gegen dasselbe, man erfindet Trugschlüsse, es zu bekämpfen; weil man wünscht, daß etwas gut oder erlaubt sei, redet man sich schließlich ein, es sei wirklich so. Das Herz verführt den Geist und reißt ihn mit sich fort; und indem dieser sich von den bösen Begierden mißbrauchen läßt, beeilt er sich sehr, in die Gemütsruhe, in den schrecklichen Frieden zu gelangen, welcher ein falsches Gewissen ausmacht. Dieser Zustand ist weiter verbreitet, als man gewöhnlich glaubt. Viele träge Seelen haben ihn freiwillig gewollt; das Licht, das sie zu besitzen glauben, nennt Jesus Christus Finsternis.
Niemand fällt in Irrtum, wenn er den Heiligen Geist besitzt
Das Herrschergebiet des Irrtums ist sehr groß; es dehnt sich täglich noch weiter aus. Wie viele Frömmler gefallen sich in diesem Gebiet! Hier finden sie den breiten Weg, auf welchem es einen Platz gibt für die Sakramente und alle guten Werke, und einen andern für den Stolz, die Habsucht, den Ehrgeiz, die Weltlichkeit und alle Verirrungen, über welche der wahre Gläubige seufzen muss.
Nun ist aber hier der große Lehrmeister, der Lehrer der Wahrheit, welcher den Irrtum verscheucht und das wahre Licht erglänzen läßt. Jesus Christus verheißt Ihn Seinen Jüngern. „Der Heilige Geist, sagt der Heiland – wird euch die ganze Wahrheit lehren.“ (5) „Der Heilige Geist wird euch Alles lehren und euch Alles in Erinnerung bringen, was Ich euch gesagt habe!“ (6) – Welch` eine herrliche Verheißung! –
Nein, Niemand fällt in den Irrtum, wenn er den Heiligen Geist besitzt, wenn er Ihn zu Rate zieht, auf Ihn hört, sich Ihm niemals widersetzt. Das ist der Grund, weshalb die Freunde Gottes immer im Lichte, in der Wahrheit sind: sie „wandeln als Kinder des Lichtes.“ (7) Welch` ein Vorrecht, meines Ehrgeizes würdig: ein „Sohn des Lichtes“ zu sein! O, wenn doch stets das Licht, die Wahrheit meine Mutter wäre! O wenn doch die Wahrheit alle meine Gedanken, alle meine Urteile, alle meine Wertschätzungen, alle meine Wünsche, meine Handlungen hervor brächte! Wer kennt hienieden einen wertvolleren Schatz? Ist man ein Sohn des Lichtes, so sieht man Jesum Christum, wie Er ist; man irrt sich weder in Betreff Seiner Geheimnisse, noch Seiner Werke, noch in Betreff des Sinnes Seiner Worte. Das ist der Zustand, gar würdig des Ehrgeizes jeder rechtschaffenen Seele, die aufrichtig das Gute, das schöne und Wahre will. Bin ich eine von diesen Seelen? –
Habe ich den Heiligen Geist empfangen?
Ich habe schon oft das Pfingstfest gefeiert; ich bin gefirmt worden -: habe ich auch den Heiligen Geist empfangen, den Geist der Wahrheit, der alle Irrtümer entfernt und zerstört? Das ist Etwas, was wichtig genug ist, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und zu fesseln!
Die um die Wahrheit wenig bekümmerte Seele vernachlässigt den Heiligen Geist, widersetzt sich Ihm und löscht Sein göttliches Licht in sich aus. Ist sie einmal in diesem beklagenswerten Zustand angelangt, dann gibt es auf dem Gebiet des Irrtums keine Verkehrtheit, keine Abgeschmacktheit mehr, welche diese arme Verirrte nicht mit Entzücken als die wahre Königin der Einsicht, als die Wahrheit zu begrüßen im Stande wäre.
Wie viele arme Seelen, die ehedem Töchter des Lichtes, Tempel des Heiligen Geistes waren, sind heute nur mehr Ruinen gleich! Alles ward in diesem Tempel umgestürzt, Alles ward zerstört! Ach, der Heilige Geist hat bei Seinem Abzug den Wind des Irrtums durch alle Öffnungen desselben eindringen lassen, und dieser Wind hat Alles umgestürzt! – auch möge man sich nicht wundern, wenn in dieser Seele das Falsche sich wahr nennt, das Häßliche den Namen des Schönen, das Böse den des Guten angenommen hat.
Anmutung
O Heiliger Geist, der Du mir versprochen worden bist durch meinen anbetungswürdigsten Erlöser! Komm, komm in meine Seele, zögere nicht! Mit Dir und mit Hilfe Deines anbetungswürdigen Lichtes werde ich meinen Jesus, Sein Leben und seine Taten in rechtem Licht sehen; werde gut sehen den Sinn seiner göttlichen Worte, werde vor Glück aufjubeln wie Johannes der Täufer im Schoß seiner frommen Mutter, weil ich alsdann vom Meer des reinsten Lichtes umgeben bin. –
Anmerkungen zu: Der Heilige Geist berichtigt die Irrtümer
(1) 1. Joh. 4, 6.
(2) Joh. 14, 6: Dicit ei (Thomae) Jesus: Ego sum via et veritas et vita.
(3) Luk. 11, 35.
(4) Matth. 6, 23.
(5) Joh. 16, 13.
(6) Joh. 14, 26.
(7) Vgl. Eph. 5, 8: „Ihr waret einst Finsternis, jetzt aber (seid ihr) Licht im Herrn: wandelt als Kinder des Lichtes!“
(7) Act. 1, 8.
Dritter Punkt
Der Heilige Geist heilt die Verstellung in den Seelen
Der Heilige Geist ist ein Feind der Unwissenheit, des Irrtums und der Falschheit
Der Geist der Wahrheit ist der Feind der Unwissenheit und es Irrtums; Er ist aber auch in hohem Grade der Feind der Falschheit, der Doppelzüngigkeit und der Verstellung.
Die Wahrheit ist einfach; man nennt sie in der lateinischen Sprache „nuda veritas“ – „nackte Wahrheit“. Alles, womit man sie bemäntelt, um ihre wahre Natur zu umhüllen, steht ihr schlecht, weil es sie entstellt. O, sie ist so schön, so anmutig – die Wahrheit! Warum bemüht man sich, sie unkenntlich zu machen und ihr allen Reiz zu nehmen? –
Der wahre Mensch ist einfach, gerade, ohne Verstellung
Die Wahrheit hat zu ihrem Charakter die Einfachheit und die Geradheit. Der Heilige Geist sagt uns: „Machet gerade ihre Pfade!“ (1) „Die Einfachheit der Gerechten leitet sie“, sagt die Heilige Schrift. (2) welch` ein weiser und geschickter Führer! Aber wie viele Seelen fürchten ihn! Sie brauchen Umwege, – Verstellungen, Lügen, sei es in Taten, sei es in Worten. Diese armen Seelen haben jene schrecklichen Aussprüche vergessen:
„Lügnerische Lippen sind dem Herrn ein Gräuel.“ (3)
„Du wirst vertilgen Alle, welche Lügen reden!“ (4)
Unser Heiland Jesus Christus ist zu uns gekommen als ein wahres Kind, mit der ganzen Einfachheit des Kindesalters. Er hat uns diese wichtige Wahrheit erklärt: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht eingehen in das Himmelreich!“ (5)
Der wahre Mensch ist einfach, gerade, ohne Verstellung. Sein Mund ist das Echo seines Geistes und seines Herzens; ebenso verhält es sich mit seinem ganzen Benehmen, es ist wahr, weil es dasjenige darstellt, was im Herzen vorgeht: es ist also der Spiegel des Herzens.
Wo findet man den aufrichtigen Menschen?
Doch wo findet man den wahren, einfachen, immer geraden und aufrichtigen Menschen? Da, wo der Heilige Geist wohnt. Die Gedanken des Menschen selbst sind verkehrt; der Heilige Geist sagt es Selbst:
„Ein jeder Mensch ist Lügner!“ (6)
Ja, die menschliche Seele ist verdorben und sie neigt zur Falschheit und zur Lüge; die Doppelzüngigkeit scheint ihr eine Kunst, die der Pflege wert sei. Auch wenn die Macht des Glaubens in einem Menschen sich verringert, sieht man nur mehr Verstellung, Doppelzüngigkeit und Lüge. Wie viel fromme Weiber wissen das aus Erfahrung! Zu ihrem Nutzen Andere zu täuschen, das ist leider eine sehr alte Gewohnheit, das ist ein Bedürfnis für sie. Ihr Seelenführer wird unschuldiger Weise der Mitschuldige ihres Hochmutes: so sehr gleichen die Reden, welche sie führen, der Wahrheit, deren Ton sie nachahmen. Wer wird diese armen Seelen bessern? Der Heilige Geist, indem Er sie aufklärt über die Gefahren dieses Stolzes, der sie beherrscht, und der, fast ohne ihr Wissen, sie zu niedrigen Sklaven der Hinterlist und der Lüge macht.
Der Heilige Geist ist die Wahrheit
Der Heilige Geist ist die Wahrheit; Jesus Christus nennt Ihn den Geist der Wahrheit. Er ist also der unversöhnliche Feind der Falschheit, der Verstellung und der Gleißnerei. Nur „mit dem Einfältigen verkehrt Er“, sagt die Heilige Schrift. (7) Er liebt die Offenheit und die Geradheit. Als Er auf Erden erschien, nahm Er die Gestalt einer weißen und einfachen Taube an. (8) Mit ihm möge man nicht sprechen von Ausreden und Ränken: sie sind Ihm ein Abscheu. Der hl. Paulus wußte das wohl, als er den Gläubigen von Korinth schrieb: „Ich fürchte, daß eure Sinne verderbt werden und abfallen von der Einfalt, die in Christo ist!“ (9) Die gläubige Seele betrachtet gerne das Wort der Heiligen Schrift:
„Wer einfältig wandelt, der wandelt sicher.“ (10)
Sie begreift, daß in der Verstellung wandeln, krumme Wege wandeln, so viel heißt, als auf die vernünftigen Gründe eines wahren Vertrauens auf Gott verzichten. Für nichts in der Welt wollte sie sich in dieses Unglück stürzen.
Der Heilige Geist macht uns aufrichtig
Das scheinen zu wollen, was man nicht ist, das ist heutzutage fast allgemeines Gesetz. Gut, geistig, tugendhaft zu sein: darum ist Niemand bekümmert -: wenn er nur so scheint. Der äußere Schein ist Alles, die Wirklichkeit ist nichts mehr. Daher jene gemeine Komödie, die überall gespielt wird vom Palast der Könige und Fürsten bis hin in die Dachstube des ärmsten Handwerkers. – O mein Gott, wer wird uns wahr, gerade und aufrichtig machen? Der Heilige Geist, wenn wir um Ihn bitten, wenn wir Ihn in unser Herz ziehen. Was den Geist des Menschen betrifft, welcher sich selbst überlassen bleibt, so ist derselbe falsch, trügerisch und gleisnerisch.
Anmutung
Nein, mein Gott, ich will nicht falsch und trügerisch sein! Ich weiß, daß, wenn man auch die Geschöpfe täuschen kann, man nie im Stande ist, Dein unendlich klares Auge zu täuschen! Du, Herr, Du bist die Wahrheit, und indem ich die Wahrheit liebe, liebe ich Dich Selbst. Sende mir diesen Geist, den Du Deinen ersten Jüngern versprachest, damit Er die Unwissenheit von mir entferne, meine Irrtümer verbessere, daß Er alle meine Wege wieder gerade mache: und ich werde wahr, gerade und aufrichtig werden, wie alle Kinder des himmlischen Vaters sind! –
Anmerkungen zu: Der Heilige Geist heilt die Verstellung in den Seelen
(1) Matth. 3, 3.
(2) Prov. 11, 3.
(3) Prov. 12, 22.
(4) Ps. 5, 7.
(5) Matth. 18, 3.
(6) Ps. 115, 11 (2).
(7) Prov. 3, 32.
(8) Vgl. Matth. 3, 16.
(9) 2. Kor. 11, 3.
(10) Prov. 10, 9.
aus: F. X. Coulin, Apostol. Missionar und Ehrendomherr von Marseille, Der Heilige Geist Betrachtungen, 1881, S. 182 – S. 200
Bildquellen
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