Das Wunderblut in der Kirche zu Bingen

Eine alte Darstellung der Ruine Rupertsberg, die eine Rolle spielt bei dem Wunderblut eines Marienbildes

Das Marienbild auf dem Rupertsberg und das Wunderblut in der Kirche zu Bingen

Im Krieg gegen den deutschen König Albrecht mit den rheinischen Erzbischöfen wurde die Stadt Bingen mit ihrer festen Burg Klopp von den königlichen Kriegsmannen belagert. Bei dieser Belagerung erlitten großes Unheil die Nonnen des vor der Stadt auf dem linken Ufer der Nahe gelegenen Klosters Rupertsberg, einer Stiftung der heiligen Hildegard. Bei der Nachricht von dem Anzug des Heeres setzten die erschreckten Nonnen in eiligster Flucht über den Rhein; kaum hatten sie Zeit, ihre Urkunden, Reliquien und Kirchenschätze mitzunehmen. Sie fanden Zuflucht bei den Nonnen von Eibingen, von wo aus die sehen konnten, wie es drüben auf dem Rupertsberg zuging. Dort ließ der König seine Wurfmaschinen (Bleiden) aufstellen und die Klostergebäude mussten als Pferdeställe dienen.

Nach einer zweimonatlichen Belagerung ergab sich die Stadt und Burg Bingen. Da geschah es, daß nach dem Abzug der Besatzung auf dem Rupertsberg zwei Frevler, die aller Habe entblößt, dem Heer des Königs, wie es zu geschehen pflegt, des Raubes nicht des Kampfes wegen folgend, in das Rupertskloster kamen, während in der Stadt der König mit dem Erzbischof Erhard die Friedensverhandlungen eröffnete. –

Mit Emsigkeit durchforschten sie alle Stellen, um etwas zum Raub, zur Tilgung ihrer Notdurft zu finden. Vergeblich war ihr Bemühen, mit der sie sämtliche Winkel des Klosters durchforschten, denn schon früher war Alles durch die Nonnen oder Andere fort gebracht worden. Ebenso fruchtlos durchstöberten sie die Kirche. Der Chor der Nonnen war zu damaligen Zeit nicht empor gebaut, sondern auf dem Boden befindlich. Vor dem Chor in einem südlichen Winkel der Kirche befand sich ein zu Ehren der heiligen Jungfrau und Märtyrerin Katharina geweihter Altar, über dem sich in einer bogenförmigen Mauernische von Künstlerhand ein schönes und zierlich gefertigtes Marienbild befand, eine Krone auf dem Haupt, worin rings vier Kristallsteine eingefügt und befestigt, ein fünfter Kristallstein, größer als die übrigen, auf der Brust des heiligen Bildes angebracht war.

Nachdem nun jene Diebe, ohne irgend einen Fund zum Raub, Chor und Kirche genau durchforscht hatten, bestieg einer von ihnen, um nicht leer auszugehen, befleckten und unreinen Herzens vorbenannten Altar und mit gezogenem Dolch begann er aus des heiligen Bildes Krone die Steine auszugraben.

„Was machst du, Nichtswürdiger, was machst du?“ schalt ihn sein Mitgesell: „Halt ein, zu berauben die Mutter der Barmherzigkeit, durch die allein nächst Gott, und nicht anders, uns Heil widerfährt, sollte es uns zu Teil werden?“ – Doch taub gegen solche Ermahnungen, riss der Tempelräuber sämtliche vier Steine, wie er begonnen, aus der Krone heraus. Nach vollbrachter Tat begann er auch den fünften aus der Brust des heiligen Bildes mit verruchter Verwegenheit heraus zu bohren. Doch siehe! Eine wunderbare Begebenheit ereignete sich! Denn sobald er die heilige Brust mit dem Dolch zu berühren und zu verletzen wagt, fängt das Bild allenthalben zu schwitzen an. –

Obgleich beim Anblick des Wunders etwas erschrocken, ließ dennoch der Frevler von dem begonnenen Verbrechen nicht ab. Wirklich brach er, die große Schuld seiner Missetat nicht beachtend, den Stein aus des Bildes Geweihter Brust. Und siehe, aus der Wunde strömt plötzlich Blut mit Milch vermischt in großer Fülle. –

Grauenhafter Schauer überfällt bei dessen Anblick den Unglücklichen; vom Altar herab springend holt er Staub vom Boden und versucht des Bildes Wunde zu verstopfen. Vergebens! Die Blutquelle strömt immer stärker. Da faßt den Frevler Höllenangst! Unverweilt flieht er aus der Kirche. Entsetzen, Verzweiflung jagt ihn an den Nahefluss, er stürzt sich hinab in die Flut und ertrinkt! –
Ein Priester, der an diesem Altar Messe zu lesen pflegte, kam zufällig vorüber und das vorgefallene Under schauend, legte er ein Korporale unter und sammelt darauf das aus des Bildes Wunde fließende Blut, das man zu ewiger Erinnerung, in ein Glas gefaßt, mit Reliquien der Heiligen in demselben Kloster zur Verehrung ausstellte.

„Und ich (schreibt der gottselige und gelehrte Abt Trithemius von Spanheim) habe diese schon seit langer Zeit getrocknete Flüssigkeit von Blut und Milch, aus des verwundeten Bildes Brust geflossen, mit Augen gesehen, mit Händen berührt und auf Bitte der Meisterin des Klosters aus dem alten zerbrochenen Gefäß in ein neues Glas gebracht, im Jahre 1498, im fünfzehnten unserer Abtei Spanheim, als wir die Gebeine der heiligen Hildegardis erhoben.“

Als das Wunder durch den Priester, der die aus der Wunde des Bildes rinnende Flüssigkeit gesammelt hatte, öffentlich verkündet worden, strömten Scharen von Gläubigen herbei, nicht nur aus der nächsten Stadt Bingen, sondern auch aus Kreuznach und dem Mainzischen und den vielen Ortschaften der Umgegend. Auch König Albrecht, der samt einem großen Teil der Fürsten seines Heeres während dieses Vorganges mit den Friedensverhandlungen mit dem Erzbischof, wie erwähnt, beschäftigt, noch in Bingen verweilte, kam auf die Nachricht von diesem großen Wunder zugleich mit dem erwähnten Oberhirten und den Fürsten in das Rupertskloster, sah das mit Milch vermischte Blut aus des Bildes durchbohrter Brust hervor rinnen, erschrak und pries mit mächtigem Glauben den Herrn. Zum Andenken dieses Wunders ward daselbst zu Ehren der allezeit unbefleckten Gottesmutter Maria mit Bewilligung des Erzbischofs Gerhard von Mainz im Jahre 1303 eine Kapelle erbaut, darin ein Altar errichtet und zur ehre der Lieben Frau eingeweiht. Das in der Wandnische über dem Altar stehende Bild der seligsten Jungfrau aber, aus dem das Blut geflossen, behielt die Wunde. –

Jetzt steht das Rupertsberger Kloster mit der Kapelle nicht mehr; die Revolutionsstürme haben es vernichtet. Das Wunderblut aber ward nach Bingen in die Pfarrkirche gebracht. Unter dem am 17. Juli 1850 zu Bingen verstorbenen Pfarrer und Dekan, Peter Joseph Castello, zerbrach bei Gelegenheit einer Vorzeigung der Reliquien des Rupertsklosters durch ein unversehenes Zufallen des Schrankes das alte vom Abt Trithemius herrührendes Glasgefäß, worin das wunderbare Blut enthalten war, und wurde unter dem jetzigen Pfarre und Dekan, Herrn Joseph Gard, durch ein neues mit dem Pfarrsiegel versehenes im Jahre 1858 ersetzt. Auch die Scherben der zwei alten Gefäße, in deren älterem noch die Blutspuren auf dem Boden zu sehen, hat man, jedes besonders verpackt, ehrfurchtsvollst aufbewahrt. Über die Echtheit dieser Reliquien herrscht kein Zweifel und noch werden sie auf dem Rochusberg bei Bingen verehrt. – (Jos. Caspari, schriftl. Mitteilungen.) –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Zweiter Teil, 1869, Sp. 2176 – Sp. 2179

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