Das Leben des Menschen – ein Kriegsdienst
2. September
Militia est vita hominis super terram.
„Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde.“ (Job. VII. 1)
Erwäge: die eben angeführten Worte des frommen Job sind allen Menschen wohlbekannt; aber nicht eben so bekannt sind allen auch die höchst bedeutsamen und nützlichen Folgerungen, welche denselben entnommen werden müssen. Dringe also tiefer mit deinem Geiste in jene Worte ein, um diese Folgerungen hervorzuholen.
Welcher Art ist dieser Kriegsdienst
Denn du sollst es nicht machen wie so Manche, welche sich der Betrachtung der heiligen Schrift mit jenen Erwägungen begnügen, die dem schon zur Münze verarbeiteten Golde gleichen. Du musst weiter eingehen und auch jene suchen, welche man mit dem Golde vergleichen kann, das noch im dunklen Schachte vergraben liegt. „Wenn du die Weisheit suchest wie Geld“, was bei der Betrachtung der ersten Art geschieht, „und dieselbe wie Schätze ausgräbst“, wie dies jene tun, welche der zweiten Art der Betrachtung sich befleißen; „dann wirst du die Furcht des Herrn verstehen“, welche hinreicht, um den Willen ernst bei seiner Pflicht zu erhalten, „und die Wissenschaft Gottes finden“ (Prov. 2, 4,5), welche den Verstand bereichert – auch wieder zum größten Nutzen des Willens, der von jenem abhängig ist.
Das Leben des Menschen also (um zu unserm Hauptsatz zurückzukehren) ist ein Kriegsdienst, wobei, wenn du nach dem Kriegsherrn fragst, Gott der Oberfeldherr ist. Die untergeordneten Hauptleute sind jene Höhergestellten, welche Gottes Statt hier auf Erden vertreten. Die gemeinen Krieger aber sind die Menschen alle, die ihr ganzes Leben lang im Dienste zu stehen verpflichtet sind; weshalb es auch nicht heißt: Ein Kriegsdienst ist im Leben des Menschen, sondern mit gewichtigen Worten: Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben. Der Kampfplatz ist diese Erde, auf welcher alle Menschen je nach ihren Ständen und Verhältnissen in verschiedenen Reihen aufgestellt sind. Das Feldzeichen ist der schöne Name Christ. Die Waffen sind die Gebete, deren die Krieger im Kampfe sich bedienen, die heilige Schrift, die heiligen Sakramente, die frommen Bußwerke, und die übrigen geistlichen Hilfsmittel dieser Art. Die Feinde sind die verdorbenen Begierden und Neigungen, unterstützt von den höllischen Geistern, welche im engen Bunde mit denselben stehen. Die Löhnung oder der Sold besteht in der Stärkung und freudigen Tröstung, welche man von der Gnade des Herrn empfängt: die Verluste sind die unglücklichen Fälle in die Sünde: die Eroberungen sind die schönen und edlen Taten der Tugend: die Niederlage ist die Verdammnis: der Siegeslohn ist die Herrlichkeit des Himmels, die zuletzt den krönt, der siegreich seinen Kriegsdienst vollendet hat.
Diese Dinge jedoch sind allen schon bekannt; du denke jetzt an die heilsamen Folgerungen, welche du aus jenen Wahrheit zum Besten deiner Seele zu entnehmen hast.
In diesem Dienst keine Freizeit
Erwäge: ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt fürs Erste daraus, daß dasselbe eine Zeit immerwährender Arbeit und keiner Ruhe ist; weshalb auch die Gesetze sagen, daß es im Kriegsdienst keinerlei Freizeit gebe: „Im Kriegsdienst wird keine Freizeit gestattet.“
Denn wenn man in diesem Dienste je aufhört zu kämpfen, was im geistlichen Kriegsdienst, von welchem wir hier sprechen, äußerst selten der Fall ist; so hört man doch nie auf zu arbeiten. Wann man auch nicht wirklich im Kampfe begriffen ist, weil die Feinde gerade keine Beschwerde verursachen; so muss doch jeder allezeit zum Kampfe bereit stehen: „So stehet denn, die Lenden umgürtet“ (Eph. 6, 14); er muss sein Waffenzeug reinigen und putzen: er darf nicht da- oder dorthin nach Gefallen sich begeben, wie dies Leute zu tun pflegen; sondern muss in seinem Quartiere, auf seinem Posten, auf der Wache stehen: „Auf meiner Wache will ich stehen“ (Hab. 2, 1); wenn er auch dabei den schlimmen Einflüssen der Witterung ausgesetzt bleiben, vor Frost zittern, vor Hunger verschmachten, jeder schweren Anstrengung sich unterziehen müsste.
Was sagst nun du, der du in diesem Leben jedem Genuss dich hingeben, jede Lust befriedigen möchtest? Scheint es dir, daß dies für einen Kriegsdienst sich gezieme? „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde“, – kein Zeitvertreib.
In diesem Dienst keine Belohnung
Erwäge: ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt daraus zweitens, daß dasselbe keine Zeit der Belohnung ist, wie einige so gerne möchten, sondern des Verdienens.
Was Wunder also, wenn so viele Gerechte auf dieser Welt es übel haben? Der verständige Feldherr hat nicht den Grundsatz, daß er seine tüchtigen Soldaten außer Schussweite halten will; sondern pflegt im Gegenteil gerade die besten in die ersten Reihen zu stellen, und gibt gerade dadurch zu erkennen, daß er sie am meisten liebt und am meisten schätzt. Es reicht hin, daß er nach vollständig erfochtenem Siege sie auch besser als die anderen belohnt.
Was sagst nun du, der du so leicht dich tadelnd über die Vorsehung aussprichst, weil sie auf dieser Welt den Gerechten oft so viel zu leiden auferlegt? „In der Welt werdet ihr Bedrängnis haben.“ (Joh. 16, 33) So behandelt man eben die Tapferen: „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde.“
Warte bis zum Ende, und du wirft sehen, daß Gott jene, welche mehr als die anderen erduldet und gearbeitet haben, auch besser als die Übrigen belohnen wird. Hier ist nichts weiter notwendig, als daß er ihnen eine Löhnung reiche, die zu den Anstrengungen, welche er ihnen auferlegt, im rechten Verhältnis steht: „Denn wer tut je um eigenen Sold Kriegsdienst?“ (1. Kor. 9, 7) und daß er ihnen deshalb auch größere Gnadenstärkungen zukommen lasse, als den anderen.
Im Kriegsdienst Gehorsam
Erwäge: ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt daraus drittens, daß dasselbe eine Zeit des demütigen Gehorsames und nicht des eigenwilligen Handelns ist.
Oder wer wüßte nicht, wie genau und pünktlich der Gehorsam ist, den man allezeit im Kriegsdienste forderte und noch fordert? Es gibt auf der Welt keinen strengeren Gehorsam als diesen. Und darum hat der Soldat die Befehle, welche er von seinem Hauptmann empfängt, nicht einmal zu prüfen, sondern sie ohne Weiteres mit geschlossenen Augen auszuführen: „Ich habe Soldaten unter mir, und sage zu diesem: gehe; und er geht: und zu einem anderen: komme; und er kommt.“ (Matth. 8,9)
Dieser Gehorsam muss sich ferner nicht bloß in leichten Dingen zeigen, wie zum Beispiele im Gehen und Kommen; sondern auch in den schwierigsten und schmerzlichsten. Deshalb sind stets die Strafen sehr hart, welche über jene Soldaten verhängt werden, welche die Keckheit haben, sich gegen ihren Vorgesetzten in dem Augenblicke aufzulehnen, da er den Stock über sie schwingt und sie schlägt.
Was sagst nun du, der du hier auf Erden kein anderes Gesetz haben möchtest als deine eigene Laune? „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde.“ Ist das Leben eine Zeit des Kriegsdienstes, so ist es also auch eine Zeit, wo man vollkommenen Gehorsam üben muss, und keine Klagen laut werden dürfen, nicht einmal unter den Streichen, welche von der Hand des Feldherrn oder seines Stellvertreters geschlagen werden.
In diesem Dienst keine Zeit der Sicherheit
Erwäge: ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt daraus viertens, daß dasselbe eine Zeit der größten Gefahr, und keineswegs eine Zeit der Sicherheit ist.
Und wer könnte darüber einen Zweifel erheben? „Wisse, daß der Tod das gemeinsame Los ist“ (Ekkl.9, 20): dies ist die offene Erklärung, welche der weise Mann einem jeden macht, der, sobald er geboren ist, sich sogleich, ob er wolle oder nicht, der großen Kriegsschar eingereiht findet, von welcher wir hier sprechen. „Wisse, daß der Tod das gemeinsame Los ist.“ Jeder soll da wissen, daß er, so lange sein Leben dauert, stets gleich allen Übrigen in Gefahr schwebt, ewig verworfen zu werden.
Und warum dies? – „Weil du mitten unter Schlingen wandeln, und auf der Trauernden Waffen einhergehen wirst.“ Der Grund ist: weil dir fortwährend tausend Nachstellungen bevorstehen und tausend Angriffe dich bedrohen. Die Nachstellungen sind die Gefahren zu sündigen, in welche du unerwartet gerätst; die Angriffe aber sind jene Gefahren, welche du erwartest, ohne dich jedoch bereit zu halten, sie mit männlicher Kraft zurückzuschlagen. Die Gefahren der ersten Art sind fürchterlich ob ihrer erstaunlichen Zahl, die Gefahren der zweiten Art aber wegen ihrer Größe. Und darum heißt es von den ersteren: „In Mitte der Schlingen wirst du wandeln“; von den letzteren aber: „Auf der Trauernden Waffen wirst du einhergehen.“
O könntest du von oben herab mit einem Blicke die Erde überschauen, welche gleichsam ein großes, weites Schlachtfeld bildet, auf welchem auch du dich befindest! Du würdest sehen, daß dieselbe ganz, so zu sagen, mit Waffen übersät ist, welche am Ende schmählich den Händen jener Elenden entfallen sind, welche gegenwärtig ihren Verlust vergebens in der Hölle beweinen. Oder was anderes sind denn diese „Waffen der Trauernden“, als eben so viele Beweise der Niederlagen, welche die Sünder tagtäglich bei jenen Angriffen erleiden?
Und du hältst dich dennoch für sicher, gleich als hättest du dein ewiges Heil schon fest in der Hand? Du täuschest dich sehr: „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde“; und darum sei behutsam und vorsichtig, weil dabei auch du zu Grunde gehen kannst: „Wechselnd ist des Krieges Erfolg; bald diesen und bald jenen frisst das Schwert.“ (2. Kg.11, 25):
Zeit der Prüfung
… ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt daraus fünftens, daß dasselbe auch eine Zeit der Prüfung ist, und nicht eine zum Voraus angenommene günstige Meinung über des Menschen Wert entscheidet.
O welch großen Tugendschatz denkst du vielleicht in deinem Herzen zu besitzen! Aber bist du wirklich so reich, so muss man es eben auf die Probe ankommen lassen. Und dies ist auch ganz besonders ein Zweck, wozu der Kriegsdienst bestimmt ist; weshalb die siebenzig Übersetzer an unserer Stelle statt des Wortes Kriegsdienst den Ausdruck Prüfung gebraucht haben: „Eine Prüfung ist des Menschen Leben auf der Erde.“ Er hat zum Zwecke, die Tapferkeit und Ausdauer des einen, oder die Feigheit des anderen auf die Probe zu stellen; was an keinem Orte besser geschieht, als mitten im Kampfgewühl eines bewaffneten Heeres.
Daher sehen wir auch, daß im vierten Buche der Könige, wo es heißt: „Sopher, der oberste Heerführer, versuchte die neuen Kriegsleute aus dem Volke des Landes“ (4. Kg. 25, 19); in der hebräischen Urschrift statt versuchte der Ausdruck steht: er ließ sie Kriegsdienst tun. Jedoch ist dabei der Unterschied zu bemerken, daß man bei jener Kriegsübung nur die Neulinge versuchte: „Die neuen Kriegsleute aus dem Volke des Landes“; während bei der geistigen Kriegsübung sogar die alten Streiter immer wieder versucht werden: „Gott versuchte den Abraham“ (Gen. 22, 1); indem die Prüfungen, welche Gott mit den Menschen, die als seine Kriegsleute gelten, vorzunehmen pflegt, bis zum letzten Augenblicke nicht aufhören.
Was treibst du also, der du so schnell deinem Hochmut Glauben schenkst, wenn er dir sagt, daß du fast schon zur Höhe der Heiligkeit gelangt bist? Nein, nein! die Prüfungen sind noch nicht zu Ende: „Ein Kriegsdienst (das heißt eine Prüfung) ist des Menschen Leben auf der Erde“; und am Schluß dieser Probe wird man sehen, wer du bist.
Kriegsdienst – eine genau bestimmte Dauer
Erwäge: ist das Leben des Menschen ein Kriegsdienst, so folgt daraus sechstens endlich, daß dessen Dauer keine willkürliche, sondern eine genau bestimmte ist.
Was will ich dadurch bezeichnen? Es gab unter den Lehrern menschlicher Weisheit einige kecke Sprecher, welche, um mit dem schönen Namen der Geistesstärke eine aufs Höchste gestiegene Verzweiflung zu umkleiden, die Ansicht verteidigten: um sich eines gewaltigen Unglückes, bestehe es in Schmach oder Krankheit, oder rühre es von einem anderen all zu schwer zu ertragenden Übel her, endlich zu entledigen, könne der Mensch erlaubter Weise sich selbst ums Leben bringen.
Aber wo gibt es einen größeren Irrtum? „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde“; wie kann es also je einem Kriegsmann gestattet sein, ohne Erlaubnis von Seite des Heerführers demselben flüchtig zu entlaufen? Im Gegenteil: eine solche Tat wurde stets von allen als ein sehr schweres und arges Verbrechen betrachtet, und wird als solches auch heute zu Tage noch von allen Völkern strengstens bestraft. Und ist dies wahr, wie kann also die Fahnenflucht je erlaubt und lobenswert sein?
Wohl darf der Kriegsmann, namentlich wenn er schon lange Zeit von der Last der Anstrengungen ermüdet ist, den Feldherrn mit dringenden Bitten angehen, daß es demselben endlich gefallen möge, ihn aus dem Kriegsdienst zu entlassen; aber nie darf er aus freien Stücken den Dienst verlassen. Das Nämliche darf auch der Mensch Gott gegenüber tun: „Es ist mir genug, o Herr! nimm meine Seele hinweg, denn ich bin nicht besser als meine Väter.“ (3. Kg. 14, 4)
Dies ist auch der Grund, weshalb der fromme Job, als er sah, daß seine Freunde schweres Ärgernis genommen hatten, da sie vernahmen, wie er so inständig sich den Tod wünschte. Gleich als wollte er, von Ungeduld übermannt, sein furchtbar großes Elend nicht mehr länger tragen, – endlich in die Worte ausbrach: „Ein Kriegsdienst ist des Menschen Leben auf der Erde.“
Und was wollte er damit ausgesprochen haben? Nichts anderes, als daß er seine Pflicht auf Erden sehr wohl kannte, und nicht vergaß, daß er hier Kriegsdienste tun, und folglich auch viel leiden müsse; daß aber dies keineswegs mit seinem Verlangen, bald sterben zu dürfen, im Widerspruch stand, indem es einem Kriegsmann nie verboten war, nach dem Ende seines harten Dienstes zu seufzen und dasselbe dringend zu begehren. Dies hat er auch selbst anderswo deutlich ausgesprochen, da er sagte: „Alle Tage, seit ich jetzt Kriegsdienst tue, harre ich, bis meine Umwandlung kommt.“ (Job 14)
Wer daher den Wunsch hat, recht lange auf der Erde zu leben, wie ihn die Weltmenschen zu hegen gewohnt sind, – was gibt dieser zu erkennen? Er gibt zu erkennen, daß er ein Kriegsmann sei, der von den Mühen und Beschwerden seines Dienstes sich sehr wenig angegriffen fühlt: – so sehr war er dieselben zu vermeiden bedacht! –
aus: Paul Segneri S.J., Manna oder Himmlsbrod der Seele, 1853, Bd. III, S. 443 – S. 450