Hoheit des Rosenkranzgebetes in Rücksicht auf dessen Urheber
Auszug aus einer Marienpredigt von Antonio Vieira SJ
Ein Beispiel
Es predigte in Rom der heilige Dominikus, und der Hauptgegenstand seiner Predigten – mochte es auch sein an welchem Tag es wollte – (denn so predigen die Heiligen) es war die Rosenkranz-Andacht. Und obschon der Gegenstand nicht bloß von dem Volke und dem Adel, sondern auch von den Kirchenfürsten und weltlichen Fürsten mit gleichem frommen Sinn und mit gleichem Beifall aufgenommen ward; – so fand sich doch in Rom eine angesehene Frau, welche schon im Alter vorgeschritten war und einen musterhaften Lebenswandel pflog: die war für andere Andachtsübungen so eingenommen, daß es der Heilige nicht dahin bringen konnte, daß diese Frau zur Rosenkranz-Andacht Zuneigung bekam.
Sogar in Betreff der Tugend gibt es eigensinnige Geister, die bloß auf ihrem Wege in den Himmel kommen und den Himmel Gottes nur nach ihrem Gutachten und nach ihrem Willen tun wollen. Und weil jene Frau ein so großes Ansehen hatte, daß sie bei Personen ihres Standes sich in Rücksicht auf die Richtigkeit ihres Urteils Glauben verschaffen konnte: – bei wem mochte wohl der der Heilige, traurig darüber, daß er sie nicht zu gewinnen vermochte, bei wem mochte er sich beklagen? Er sank vor einem Muttergottesbild nieder, und sprach, das Auge von tränen umschwommen, also: Wenn auch noch jetzt dein Rosenkranz wenig beachtet wird, so ist, o heiligste Jungfrau, die Schuld ganz und gar mein; denn ich besitze keine Geistesgaben und keine Kraft, um meine Zuhörer dafür gewinnen zu können, und er konnte keinen glücklichen Fortgang haben, da du einen Mann von so wenig Geist zum Prediger desselben erwählt hast.
Es schmerzt mich sehr, daß ich darin, was du mir aufgetragen, so schlecht und so erfolglos diene; vermittle es, o Jungfrau! Denn du – nur vermagst dieses. So betete Dominikus, betrübt und traurig; doch der Trost und das Heilmittel blieben nicht lange aus. Der Heilige, nachdem er gebetet, ging hin, die heilige Messe zu lesen, und zur selben Zeit, da ward die römische Matrone, welche hier zugegen war, – in einer Verzückung zum Richterstuhl Gottes entrückt. Sie sah Gott mit einem zürnenden Antlitz; er tadelte sie streng wegen ihrer hartnäckigen Abgeneigtheit gegen den Rosenkranz, und befahl den bösen Geistern, sie sollten sie sogleich bestrafen, wie sie es verdiene. Wahrhaftig – man hätte wohl keinen so strengen Urteilsspruch befürchten sollen gegen ein Weib, das nicht bloß einen guten, sondern auch musterhaften Wandel gepflogen, wie ich bereits bemerkte, und wie wir jetzt sehen werden.
Daß sie den Rosenkranz nicht bete, dafür schützte die Matrone dieses vor: sie faste viele Tage, trage auf dem bloßen Leibe ein Kleid von rauher Wolle und einen eisernen Gürtel, besuche oft sieben Kirchen und die heiligen Stationen, um Ablässe zu gewinnen, und die vielen und langen Gebete, die sie bete, seien, wären es auch andere Gebete fromme und heilige Andachtsübungen , und sie glaube, mit denselben Gott nicht weniger zu gefallen. – Da mögen jetzt diejenigen, die den Rosenkranz nicht beten, erwägen, ob sie ähnliche Gründe haben werden, um sich damit zu entschuldigen. Wenn aber diese Matrone, – mochte sie auch eine Frau von hohem Stand sein, – so ferne war von aller Eitelkeit und allen weltlichen Belustigungen, so bußfertig und strenge lebte, so sehr sich allen Werken der Barmherzigkeit und Andacht weihte, warum ward sie im göttlichenGericht so sehr getadelt und den bösen Geistern zur Züchtigung übergeben? Weil der Teufel nicht bloß versucht mittelst der Sünden und Laster, sondern auch mittelst der Tugenden; denn manchmal ist das Gute unterlassen – um des Bösen willen, keine geringere Versuchung, als das Bessere verschmähen, um das gute nicht zu unterlassen. Beeifert euch, sagt daher der Apostel, um die vorzüglicheren Gaben (1. Kor. 12,31).
Gut waren alle jene Buß- und Andachtsübungen; aber es war eine ungemein tadelnswerte und höchst strafwürdige Hartnäckigkeit, sie dem Rosenkranz vorzuziehen und das Rosenkranz-Gebet um ihretwillen zu unterlassen. Weil das unglückliche Weib sich in so großer Not erblickte, und sich den bösen Geistern zur Züchtigung übergeben sah, – da tat sie, enttäuscht, einen lauten Schrei und rief: Hilf mir, o unsere liebe Frau vom Rosenkranz!“ Die bösen Geister, als sie den heiligen Namen hörten, hielten inne, und was mochte wohl Maria, als die Mutter der Barmherzigkeit, beginnen? Obgleich sie so sehr beleidigt worden, sie erschien alsbald bei diesem Ausspruch – und zwar nicht mit einem Anblick der Strenge, nein, des Wohlwollens, der Milde und des Wohlgefallens: und sie erlangte dem Weibe nicht bloß Erlassung der Schuld, sondern auch dieses, daß die Reuige vollkommen einsah, welcher Unterschied zwischen dem Rosenkranz (wenn er, verbunden mit der geziemenden Betrachtung seiner Geheimnisse, gebetet wird) und allen andern Andachtsübungen obwaltet. Und sie kam von diesem grauenvollen Ort an einen andern, voll Licht, Freude und Glorie, – es war das Paradies.
Da zeigte ihr Maria zwei Chöre seliger Geister, die, bekränzt mit Rosen, – mit freudenvollen und gar lieblichen Stimmen – den Rosenkranz sangen. Und als nun die Glückliche darüber erstaunt, was sie sah, und was sie nie geahnt hätte, und sie noch mehr umgewandelt war, und noch größere Reue empfand, als zuvor: da sprach Maria zu derselben diese Worte: Siegst du, o Tochter! Alle diese, die, geschmückt mit Kronen von solcher Schönheit und Glorie, die allerheiligste Dreifaltigkeit, meinen Sohn und mich lobpreisen? Wohlan, diese sind es, die während ihres Lebens auf Erden Verehrer meines Rosenkranzes waren. Und um vollkommen zu erkennen, welche Verdienste sie sich auf Erden sammelten und was für einen Platz sie im Himmel einnehmen, – so wisse: gleichwie ich alle Heiligen an Glorie überrage, so überragt die Rosenkranz-Andacht alle anderen Andachtsübungen. Das sprach Maria, und das habe ich nachgesprochen. Nehmet die Worte der Königin der Engel in euren Ohren und euren Herzen mit euch, Hochverehrte! Kann es doch keine Worte geben, die für die Verehrer des Rosenkranzes größeren Trost, noch für Jene, die es nicht sind, eine bessere Ermahnung enthielte und Ermunterung. Amen.
aus: Antonio Vieira SJ, Sämmtliche Marienpredigten, Zweiter Teil, 1860, S. 300-302
Die gesamte Predigt findet sich hier: Hoheit des Rosenkranzgebetes in Rücksicht auf dessen Urheber.
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- the-rosary-1766404_640: pixabay