Verhalten der Vorherbestimmten gegen Maria

Maria, die Gottesmutter, sitzt als Himmelskönigin auf einem Thron, das Jesuskind auf ihrem Schoß; sie hält in der Hand einen Rosenkranz; zwei Engel rechts und links umschweben sie; ein Mann und eine Frau mit Kind rechts und links im Vordergrund knien vor ihr

Das Verhalten der Vorherbestimmten gegen Maria

191. 1. Jakob, der jüngere Bruder, war körperlich schwach und von sanftem, friedliebendem Charakter. Gewöhnlich hielt er sich zu Hause auf, um die Gunst Rebekkas, seiner innigst geliebten Mutter, zu gewinnen. Wenn er ausging, geschah es nicht aus Eigenwillen oder im Vertrauen auf seine Kraft und Fähigkeit, sondern im Gehorsam gegen seine Mutter.

192. 2. Er liebte und ehrte seine Mutter. Deshalb blieb er bei ihr daheim. Nie war er glücklicher, als wenn er sie sah; alles vermied er, was ihr hätte mißfallen können; alles tat er, wovon er meinte, daß es ihr angenehm sein könnte; und dies alles steigerte und vermehrte nur noch die Liebe Rebekkas zu ihm.

193. 3. Er war seiner teuren Mutter in allem untertänig, gehorchte ihr in allem rasch und unverzüglich, freudig ohne Klage; wenn sie auch nur durch das kleinste Zeichen ihren Willen kund gab, lief und arbeitete der kleine Jakob. Er glaubte ohne Bedenken alles, was sie ihm sagte. Als sie ihm z. B. Auftrug, zwei Zicklein zu holen, damit sie seinem Vater Isaak ein Gericht daraus bereite, wendete er nicht ein, ein einziges reiche hin, um einem Manne eine einmalige Mahlzeit zu bereiten, sondern vollzog ohne Widerrede, was sie ihm aufgetragen hatte.

194. 4. Er setzte großes Vertrauen auf seine liebe Mutter. Da er sich in keiner Weise auf seine eigene Fähigkeit verließ, stützte er sich einzig und allein auf die Sorge um den Schutz seiner Mutter. In allen Nöten rief er ihre Hilfe an und fragte sie in allen Zweifeln um Rat. Als er sie z. B. Fragte, ob er sich nicht statt des Segens den Fluch des Vaters zuziehen würde, glaubte er ihr und verließ sich ganz auf sie, als sie ihm versicherte, sie selber würde jenen Fluch auf sich nehmen.

195. 5. Endlich ahmte er nach Kräften die Tugenden nach, die er an seiner Mutter wahrnahm. Das scheint auch einer der Gründe zu sein, warum er sich fast immer zu Hause aufhielt, um es nämlich seiner tugendhaften Mutter gleich zu machen und sich von den schlechten Gesellschaften fern zu halten, welche die guten Sitten verderben. Auf diese Weise machte er sich würdig, den doppelten Segen seines lieben Vaters zu empfangen.

196. Betrachten wir nun das tägliche Verhalten der Vorherbestimmten:

1. Sie halten sich daheim bei der Mutter auf, d. h. sie lieben die Zurückgezogenheit, führen ein inneres Leben, widmen sich dem Gebet und der Betrachtung, aber nach dem Vorbild und in der Gesellschaft ihrer Mutter Maria, deren ganze Herrlichkeit im Innern besteht und die ihr ganzes Leben lang die Zurückgezogenheit, das Gebet und die Betrachtung so sehr liebte. Zwar erscheinen sie auch manchmal in der Welt draußen, aber nur aus Gehorsam gegen den Willen Gottes und ihrer lieben Mutter zur Erfüllung der Standespflichten. Mögen die Werke, die sie äußerlich vollbringen, noch so groß erscheinen, so schätzen sie doch jene Arbeiten viel höher ein, die sie in ihrem innern im Verein mit Maria verrichten, denn sie arbeiten da an dem großen Werk ihrer Vollkommenheit, vor dem alle andern Werke nur ein Kinderspiel sind. Während manchmal ihre Brüder und Schwestern nach außen hin mit großer Kraft und Tüchtigkeit, mit großem Erfolg und unter dem Lob und Beifall der Welt arbeiten, erkennen sie im Lichte des Heiligen Geistes, daß es viel ehrenvoller, vorteilhafter und angenehmer ist, mit Jesus Christus, ihrem Vorbild, verborgen zu bleiben und zurückgezogen zu leben in gänzlicher und vollkommener Unterwürfigkeit unter ihre Mutter, als selbständig Wunder der Natur und der Gnade in der Welt zu wirken, wie so viele Esau und Verworfene es tun. Gloriae et divitiae in dono eius. (Ps. 111, 3. Ehre und Reichtum ist in ihrem Hause) Die Ehre für Gott und die Reichtümer für den menschen finden sich im Hause Mariä.

Herr Jesus, wie lieblich sind deine Wohnungen! Der Sperling hat eine Wohnstätte gefunden und die Turteltaube ein Nest für ihre Jungen. O wie glücklich ist der Mensch, der im Hause Mariä wohnt, wo Du zuerst deine Wohnstätte aufgeschlagen hast. In diesem Hause der Vorherbestimmten empfängt er seine Hilfe von Dir allein, da hat er sich in seinem herzen aufsteigende Wege und Stufen zu allen Tugenden gebahnt (Ascensiones in corde suo disposuit. Ps. 83, 6), um sich in diesem Tal der Tränen zur Vollkommenheit zu erheben. Quam dilecta tabernacula, etc. (Ps. 83, 1. Wie lieblich sind deine Wohnungen, o Herr der Heerscharen!)

197. 2. Sie lieben Maria zärtlich und ehren sie wahrhaft als ihre liebe Mutter und Herrin. Sie lieben Maria nicht nur in Worten, sondern in Wahrheit; sie ehren Sie nicht nur äußerlich, sondern im Grunde des Herzens. Wie Jakob vermeiden sie alles, was Ihr mißfallen könnte, und tun mit Eifer alles, womit sie meinen, ihre Huld erwerben zu können. Nicht zwei Ziegenböcklein bringen und schenken sie Ihr, wie Jakob seiner Mutter Rebekka, sondern was in den beiden Zicklein vorgebildet war, nämlich ihren Leib und ihre Seele samt allem, was dazu gehört: damit Sie

1. dieselben zu ihrem Eigentum annehmen;

2. dieselben töte und der Sünde und der Natur absterben mache, damit Sie die Haut und Eigenliebe davon entferne, um sie dadurch ihrem Sohn Jesus wohlgefällig zu machen, der nur solche zu Freunden und Jüngern haben will, die sich selbst abgestorben sind;

3. damit Sie dieselben zubereite nach dem Geschmack des himmlischen Vaters und zu seiner größeren Ehre, welche Sie besser kennt als irgend ein andres Geschöpf;

4. damit dieser Leib und diese Seele, durch ihre Sorgfalt und Vermittlung von aller Makel wohl gereinigt, ganz erstorben, von allem los geschält und sorgfältig zubereitet, ein köstliches Mahl werde, würdig des Mundes und des Segens des himmlischen Vaters. Tun das nicht gerade jene vorherbestimmten Personen, welche die von uns gelehrte vollkommene Hingabe an Jesus Christus durch die Hände Mariä verstehen und üben, um unserem Herrn und Heiland und seiner Mutter ihre tatkräftige und mutige Liebe zu beweisen?

Die Verworfenen behaupten zwar immer, sie lieben Jesus, sie lieben und ehren Maria; aber sie lieben und ehren Sie nicht mit ihrer Habe (Prov. 3, 9. Honora Dominum de tua substantia. Ehre den Herrn von deiner Habe.), nicht bis zu dem Grade, daß sie Jesus und Maria ihren Leib mit allen seinen Sinnen, ihre Seele mit ihren Leidenschaften hinopfern, wie die Vorherbestimmten es tun.

198. 3. Sie sind Maria, als ihrer guten Mutter, untertänig und gehorsam nach dem Beispiel Jesu Christi, der von den dreiunddreißig Jahren, die Er auf Erden zubrachte, dreißig Jahre darauf verwendete, Gott seinen Vater durch vollkommene und gänzliche Unterwürfigkeit gegen seine heilige Mutter zu verherrlichen. Sie gehorchen Ihr, indem sie genau ihre Ratschläge befolgen, wie der junge Jakob die seiner Mutter Rebekka befolgte, als sie zu ihm sagte: „Acquiesce consiliis meis, mein Sohn, folge meinem Rate“ (Gen. 27, 8), oder wie die Gäste auf der Hochzeit zu Kana, als Maria sprach: „Quodcumque dixerit vobis facite. Tut alles, was mein Sohn euch sagen wird.“ (Joh. 2, 5) Weil Jakob seiner Mutter gefolgt hatte, empfing er den Segen wie durch ein Wunder, obgleich er ihn natürlicher Weise nicht hätte empfangen sollen. Weil die Gäste auf der Hochzeit zu Kana dem Rat Mariä gefolgt hatten, wurden sie durch das erste Wunder Jesu Christi ausgezeichnet, der auf die Bitte seiner heiligen Mutter Wasser in Wein verwandelte. Ebenso werden alle, die bis ans Ende der Zeiten den Segen des himmlischen Vaters empfangen und der Wundertaten Gottes gewürdigt werden, diese Gnaden nur infolge ihres vollkommenen Gehorsams gegen Maria empfangen. Die Verworfenen hingegen gehen des Segens verlustig infolge ihres Mangels an Unterwürfigkeit gegen die Allerseligste Jungfrau.

199. 4. Sie besitzen ein großes Vertrauen auf die Güte und Macht Mariä, ihrer guten Mutter. Unaufhörlich rufen sie ihre Hilfe an. Sie schauen auf zu Maria als zu ihrem Polarstern, um glücklich im Hafen zu landen. Ganz offenherzig vertrauen sie Ihr alle Leiden und Nöten an. Sie schmiegen sich an die Brüste ihrer Barmherzigkeit und Milde, entweder um durch ihre Fürbitte die Verzeihung der Sünden zu erlangen oder um in Leiden und Trübsalen ihre mütterliche Süßigkeit zu verkosten. Ja, sie versenken, verbergen und verlieren sich auf wunderbare Weise in ihrem liebevollen, jungfräulichen Schoß, um darin mit der reinen Liebe entzündet und auch von den kleinsten Makeln gereinigt zu werden, um vollkommen Jesus zu finden, der daselbst als auf seinem herrlichsten Throne ruht. O welch ein Glück! „Glaube nicht, sagt Abt Guerrikus, daß es ein größeres Glück sei, im Schoß Abrahams zu wohnen, als im Schoße Mariä, da der Herr seinen Thron darin aufgeschlagen hat…“ (Sermo 1 in Assumptione, n. 4)

Die Verworfenen hingegen setzen ihr Vertrauen nur auf sich selbst, genießen, wie der verlorene Sohn, nur die Speise der Schweine, nähren sich, wie die Kröten, nur mit Erde und lieben, wie die Kinder dieser Welt, nur die sichtbaren und äußeren Dinge. Deshalb finden sie keinen Geschmack an der Süßigkeit der Mutterbrust Mariä. Das Gefühl eines gewissen Sichverlassens und Vertrauens, wie es die Vorherbestimmten gegen ihre gute Mutter Maria empfinden, ist ihnen fremd. Arm und elend, lieben sie noch den Hunger, den sie draußen leiden, wie der hl. Gregor sagt (Amamus foris miseri famem nostram. Hom. 36 in Evang.), weil sie die Süßigkeit nicht kosten wollen, die ihnen im eigenen Innern und im Inneren Jesu und Mariä zum Genuss bereit steht.

200. 5. Endlich wandeln die Vorherbestimmten auf den Wegen Mariä, ihrer guten Mutter, s. h. sie ahmen Ihr nach, und gerade hierin sind sie wahrhaft glücklich und fromm und tragen sie das unfehlbare Merkmal ihrer Vorherbestimmung. Maria sagt es ihnen selbst mit den Worten: Beati qui custodiunt vias meas (Prov. 8, 32. Selig sind, die meineWege inne halten.), d. h. selig, die meine Tugenden üben und mit Hilfe der göttlichen Gnade in den Fußstapfen wandeln, die ich ihnen in meinem Leben hinterlassen habe. Glücklich sind sie während ihres Erdenlebens wegen der überreichen Gnade und Süßigkeit, die ich ihnen aus meiner Fülle mitteile, und zwar viel reichlicher als jenen, die mir nicht so getreulich nachfolgen. Glücklich sind sie im Tod, der sanft und friedlich ist und bei dem ich gewöhnlich gegenwärtig bin, um sie selbst in die Freuden der Ewigkeit einzuführen. Glücklich sind sie in der Ewigkeit, denn noch niemals ist einer meiner wahren Diener, der im Leben meine Tugenden nachgeahmt hat, verloren gegangen.

Die Verworfenen hingegen sind unglücklich im Leben, beim Sterben und in der Ewigkeit, weil sie der Allerseligsten Jungfrau nicht in ihren Tugenden nachfolgen, sondern sich damit begnügen, mitunter in eine ihrer Bruderschaften einzutreten, einige Gebete zu ihrer Ehre herzusagen oder irgend eine andere äußere Andachtsübung zu verrichten.

O Maria, meine liebe Mutter, wie glücklich sind jene, ich wiederhole es in der Wonne meines herzens, wie glücklich sind jene, die sich nicht von einer falschen Andacht zu Dir täuschen lassen, sondern treu auf Deinen Wegen und nach Deinen Ratschlägen und Befehlen wandeln! Aber wie unglücklich und verflucht sind jene, welche die Andacht zu Dir mißbrauchen und die Gebote Deines Sohnes nicht halten. Maledicti (omnes) qui declinant a mandatis tuis. (Ps. 118, 21. Verflucht sind, die von deinen Geboten abweichen!)

aus: Ludwig Maria Grignion de Montfort, Bd. I, Abhandlung über die vollkommene Andacht zu Maria, 1925, S. 146 – S. 153

siehe auch den Beitrag: Verhalten der Verworfenen gegen Maria

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