Sorge für den Leib und für die Seele!
1. Der hl. Gottfried übte das edle Werk der Liebe zu den Kranken; er sorgte aber nicht nur für den Leib, sondern auch für die Seele.
Christlicher Leser! Christliche Leserin! Hast du Gelegenheit hierzu, benütze sie. Viele und große Verdienste kannst du dir dadurch erwerben. Ermuntere, abgesehen von der leiblichen Pflege, auch den Kranken zur Geduld. Lies ihm aus einem geistlichen Buch, z.B. aus dieser Legende vor; bete mit ihm und sprich ihm eifrig zu, daß er seine Krankheit sich zu Nutzen mache. Ist die Krankheit bedenklich, so mache ihn selbst oder durch jemand andern darauf aufmerksam, daß er sich für die nahe Ewigkeit vorbereite.
Weit gefehlt, ja sündhaft wäre es, dem Kranken die Gefahr nicht zu melden – oder ihm sogar falsche Hoffnung einzuflößen, noch länger leben zu können. Dadurch wurde schon manche Seele betrogen, um die hl. Sterbesakramente gebracht und, weil mit Todsünden belastet, beim Gericht Gottes auf ewig verurteilt zur Hölle! Hätte man sie rechtzeitig gemahnt, wäre dies wohl nicht geschehen. Welche Verantwortung! Man sagt, aus Liebe wollte man die kranke Person nicht aufregen, nicht beängstigen; das wäre ja unbillig. Ach, welche Torheit! Sollte das Liebe sein, den armen Kranken in Todsünden sterben und ewig unglücklich werden lassen? Kann denn der Tod aufgehalten werden? Wird nicht gerade durch den würdigen Empfang der hl. Sterbesakramente die Seele mit Gott versöhnt, beruhigt, getröstet, gestärkt? Wirst du selbst krank, o säume nicht, wenn du bemerkst, daß die Krankheit gefährlich ist, zu bitten, daß der Seelsorger gerufen werde und dir die hl. Sakramente spende. Ersuche auch, daß man dir die Gefahr sofort anzeige, wenn du sie nicht selbst erkennen solltest.
2. Der hl. Gottfried mahnte, warnte, drohte, kündigte die göttlichen Strafgerichte den Unbußfertigen an. – Gott ist zwar barmherzig, geduldig und langmütig; aber wenn der törichte Sünder sich gar nicht bessern will, und das Maß seiner Missetaten voll ist, dann tritt die göttliche Strafgerechtigkeit an die Stelle der Barmherzigkeit. Wieviel Zeit gibt Gott so manchem Sünder, um sich zu bessern! Wieviele Gnaden, wieviele Mahnungen durch die Priester, die Prediger und Beichtväter und durch Einwirkung auf das Gewissen! Wieviele Drohungen mit dem Tode, dem Gericht, der ewigen Pein läßt Gott vernehmen! St. Chrysostomus spricht: „Deswegen hat Gott uns die Hölle angedroht, damit er uns nicht in dieselbe stürzen müsse! – Jene, welche viel sündigen, haben mehr Ursache zu fürchten, wenn sie nicht (zeitlich) gestraft werden; denn ihre Strafe wird eben deshalb größer, weil der langmütige Gott sie nicht straft.“ – Der hl. Augustin sagt: „Wenn Gott uns verdammen wollte, so würde er stillschweigen. Niemand, wer einen anderen schlagen will, ruft ihm zu: Gib acht! Wenn unser Gott uns strafen wollte, so würde er uns nicht so oft ermahnen. Wider seinen Willen gleichsam straft uns derjenige, der uns lange zuvor zeigt, wie wir der Strafe entgehen sollen.“ – „Daß Gott die Sünder nicht auf der Stelle straft, ist eine Wirkung seiner Geduld, nicht aber ein Zeichen seiner Nachlässigkeit, oder weil er die Sünde nicht achtet. Er wartet auf uns, daß wir Buße wirken. Daher ist sehr zu fürchten, daß er, je länger wer auf unsere Besserung wartet, uns desto schwerer strafe, wenn wir uns nicht bessern wollen.“ –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 899 – S. 900