Die Päpste in Avignon
Das Pontifikat von Papst Innozenz VI. (regierte von 1352-1362)
Schon zwölf Tage nach dem Ableben des Papstes, am 18. Dezember des Jahres 1352, wählten die Kardinäle den Kardinalbischof Stephan Aubert von Ostia zum Papst. Dieser nahm den Namen Innozenz VI. an. Er stammte, wie Clemens VI., aus der Diözese Limoges und war ein Sohn armer Eltern. Als Professor der Rechte zu Toulouse hatte er sich einen großen Ruf erworben. Daher wurde er zuerst Bischof von Noyon, im Jahre 1340 Bischof von Clermont und im folgenden Jahr französischer Gesandter bie Papst Benedikt XII. Von Papst Clemens VI. erhielt er den Kardinaltitel und das Bistum Ostia bei Rom. Er war ein großer Rechtsgelehrter, energisch, rechtschaffen und fromm. Kaum hatte er die Regierung der Kirche Jesu Christi in die Hand genommen, als er, selbst einfach und sittenrein, die Prunksucht der Kardinäle beschränkte, die Zahl der päpstlichen Beamten verminderte und die geistlichen Stellen nur an würdige Personen zu vergeben begann. Er hob viele Missbräuche auf und zog die tüchtigsten Männer an seinen Hof; es gelang ihm so, das päpstliche Ansehen auch in Italien wieder herzustellen. Die am Hof in Avignon weilenden Bischöfe schickte er in ihre Diözesen zurück und verbat ihnen unter der schwersten Strafe, sie wieder zu verlassen. Die zu große Milde seines Vorgängers hatte Avignon zu einem Sammelpunkt Stellen suchender Priester gemacht. Das änderte Innozenz; er schrieb darum an den hervorragenden Kirchenfürsten, den Kardinal Ägidius von Viterbo, die goldenen Worte: „Man sehe nie auf Adel und Reichtum, sondern auf Tugend und Weisheit; man berücksichtige die Enthaltsamen, nicht die Genusssüchtigen. Man weise die dem Luxus und der Bequemlichkeit ergebenen Geistlichen von ihren Stellen.“ Der heilige Vater erhöhte den Gehalt der Richter an seinem Hof, damit sie nicht gezwungen wären, ihren Urteilsspruch zu verkaufen. „Die Priester, die Kardinäle und der Papst müssen dem Volk zur Erbauung dienen; ihr Vermögen gehört den Armen“, pflegte der edle Hirte der Christenheit zu sagen.
Im ersten Jahr der Regierung unseres Papstes brach in Rom ein Aufstand aus. (siehe den Beitrag: Cola di Rienzo) Ehrgeizige Männer stellten sich an dessen Spitze, besonders ein gewisser, der die Revolution eifrig schürte, so daß die Verwirrung in hohem Grade zunahm. Um Italien zu beruhigen und es dem Papst wieder möglich zu machen, nach Rom zu gehen, schickte Innozenz den Kardinal Albornoz dahin. Dieser umsichtige Mann, die rechte Hand des heiligen Vaters, war ein Spanier von vornehmer Geburt und dabei ein ausgezeichneter Gottesgelehrter, General und Minister. Albornoz führte mehrere Städte wieder zum Gehorsam gegen den Papst zurück und stellte durch Ausdauer und Besonnenheit, Tapferkeit und Milde im Verlauf von vier Jahren die Ordnung in Italien, besonders im Kirchenstaat wieder her. Im Jahre 1354 kam der König Karl IV. von Deutschland nach Italien und ließ sich am Ostertag des Jahres 1355 vom Bischof von Ostia zum Kaiser krönen. Um Streitigkeiten und Blutvergießen zwischen den Deutschen und Römern zu verhüten, zog er am Tage der Krönung wieder ab. So traurig sah es noch in der Stadt der Märtyrer aus. Doch verbesserten sich die Verhältnisse durch die Klugheit des päpstlichen Gesandten, der es verstand, auch die ärgsten Feinde zu gewinnen.
Wie Clemens VI. so gab auch dieser Papst viele Mühe, den Frieden zwischen Frankreich und England zu bewirken. Ebenso suchte er die Bewohner der beiden italienischen Städte Genua und Venedig auszusöhnen, dafür aber einen Krieg gegen die Feinde der Christenheit, die Türken, zustande zu bringen.
Papst Innozenz schützte die Stadt Avignon durch eine hohe Mauer; er gründete zu Toulouse, einer Stadt in Südfrankreich, eine Schule für arme Studierende und schenkte der Universität dort selbst viele wertvolle Bücher. Auch linderte er nach Kräften die Not, die durch den neuen Ausbruch der Pest entstanden war.
Dabei vergaß der heilige Vater die schon von vielen seiner Vorgänger versuchte Vereinigung des Morgenlandes mit der römischen Kirche nicht. Er trat darum mit dem Kaiser Johannes von Konstantinopel in Unterhandlungen und sandte zu diesem zweck den durch Heiligkeit des Lebens wie durch Gelehrsamkeit berühmten Karmeliten Peter Thomas nach Konstantinopel. Aber die Bemühungen dieses edlen Mannes hatten keinen Erfolg.
Auf die Bitte des deutschen Kaisers Karl IV. ordnete Papst Innozenz im Jahre 1354 für Deutschland und Böhmen das Fest der heiligen Lanze an, das jährlich am ersten Freitag nach der Osterwoche gefeiert werden sollte. Am 12. September des Jahres 1362 starb der verdienstreiche Nachfolger des heiligen Petrus ruhig im Herrn, nachdem er neun Jahre und fast neun Monate das Schifflein Petri geleitet hatte. –
aus: Chrysostomus Stangl, kath. Weltpriester, Die Statthalter Jesu Christi auf Erden, 1907, S. 551 – S. 552