Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Waldenser
Waldenser, auch Waldesier, mittelalterliche Sekte, benannt nach ihrem Stifter Waldes (Valdus, Valdesius) – der Vorname Petrus wird erst 1368 erwähnt – aus Lyon. Nach den sich ergänzenden Berichten im Chronicon universale anonymi Laudunensis (MGSkript XXVI 444ff) und bei Stephan von Bourbon (Tractatus de VII donis Spiritus Sancti c. 342 f u. 349 ff) wurde der reiche Kaufmann Waldes durch das Lesen der Evangelien, die er sich von 2 Priestern in die Landessprache übertragen ließ, und durch die Legende vom hl. Alexius für ein Leben evangelischer Vollkommenheit nach Art der Apostel begeistert.
Er überließ seiner Frau den Grundbesitz, versorgte seine 2 Töchter im Kloster, entschädigte die von ihm etwa Benachteiligten, verschenkte sein übriges Vermögen im Hungerjahr 1176 an die Armen und trat als Bußprediger auf. Gleichgesinnte Männer und Frauen schlossen sich ihm an und wanderten nach der Weisung Jesu an die Jünger (Mt. 10,5ff; Lk. 10,ff) zu 2 u. 2 in apostolischer Armut und Tracht durch das Land, das Volk auf Straßen und Plätzen, in Häusern und auch in Kirchen zur Buße mahnend. Es war ein aszetischer Laienprediger-Verein, der einen gesunden Kern hatte und den Anfängen des Ordens des heiligen Franz von Assisi gleicht.
Seine Mitglieder nannten sich Arme von Lyon (Pauperes de Lugduno) oder Arme Christi (Pauperes Christi); andere bezeichneten sie als Societas Valdesii, Waldenses, Leonistae (d. i. von Lyon Kommende), Sabbatati oder Insabbatati (von sabot = Holzschuh; nach anderen von savate = Pantoffel, oder = die den Sabbat Beobachtenden). Da indessen Irrtümer und Ärgernisse vorkamen, so untersagte ihnen der Erzbischof von Lyon die Predigt. Waldes wandte sich an Alexander III. und erschien selbst auf dem Laterankonzil von 1179.
Der Papst billigte das Armutsgelübde, erlaubte aber nur die Sittenpredigt unter kirchlicher Aufsicht. Waldes und seine Genossen fügten sich dem Gebot nur kurze Zeit. Als sie, auf Apg. 5,29 sich berufend, wie bisher auch die Glaubenspredigt übten und sich als Sittenrichter des Klerus gaben, wurden sie auf der Synode von Verona 1184 von Papst Lucius III. zugleich mit den Humiliaten, den Arnoldisten (Arnold von Brescia) und den Gruppen der Katharer exkommuniziert.
Die Entwicklung zur Sekte
Aus Lyon vertrieben, verbreiteten sich die Waldenser, die jetzt zur Sekte wurden, über die Lombardei, Südfrankreich und Spanien. Unter dem Einfluss der Katharer schärfer werdend, verwarfen sie das Fegefeuer, das Gebet für die Verstorbenen und die Totenmessen, die Geldwirtschaft der Kirche, den Ablass, Eid, Kriegsdienst und die Todesstrafe und erkannten nur Taufe, Abendmahl und Buße als Sakramente an. Sie beriefen sich für ihre Anschauungen und Bräuche auf die Hl. Schrift, die sie den Laien eifrig zur Lesung empfahlen und in die Volkssprache übersetzten.
Von eigentlich reformatorischen Anschauungen (Rechtfertigung durch den Glauben allein, allgemeines Priestertum) ist bei ihnen aber nicht zu reden. Die Waldenser zerfielen in 2 Klassen: die Masse der „Freunde“ (amici) oder „Gläubigen“ (credentes) und die „Vollkommenen“ (perfecti, auch fratres, sorores, apostoli, magistri, magistrae). Letztere widmeten sich ausschließlich der Wanderpredigt und der seelsorgerlichen Leitung ihrer Anhänger; es gab Bischöfe (maiores, maiorales), Priester (presbyteri) und Diakonen (iuniores, minores), die von Waldes, dem „praelatus et pontifex omnium“ ordiniert wurden. Sie legten die Gelübde der Armut, Ehelosigkeit und des Gehorsams gegen ihre Oberen ab und versammelten sich 1-2 mal jährlich zu einem Generalkapitel; da die körperliche Arbeit ihnen verboten war, bezogen sie den Unterhalt von ihren Gesinnungs-Genossen unter den Weltleuten.
Zerfall der Waldenser in eine französische und eine italienische Gruppe
Schon bald zerfielen die Waldenser in eine französische (die sogenannte Stammes-Genossenschaft) und eine italienische (lombardische) Gruppe. Die französischen „Armen“, hauptsächlich in Dauphiné, Provence und im Languedoc verbreitet, suchten die Verbindung mit der katholischen Kirche aufrecht zu erhalten, empfingen ihre Sakramente und besuchten ihren Gottesdienst. Der radikalere lombardische Zweig, mit dem Mittelpunkt Mailand, strebte nach Unabhängigkeit von Waldes, beanspruchte für sich die Wahl und Weihe eigener lebenslänglicher Vorsteher (rectores, praepositi) und hielt gegen die Einsprache des Waldes an den alten Handwerker-Genossenschaften fest.
Um 1210 kam es zum Bruch. Nach dem Tod des Waldes (um 1217) wurde auf dem Konvent zu Bergamo 1218 eine Wiedervereinigung versucht, doch umsonst. Die Lombarden verwarfen die ganze sakramentale und hierarchische Ordnung der Kirche, erklärten die Sakraments-Spendung ihrer Priester für ungültig und richteten ihren eigenen Gottesdienst ein. Doch schon seit Ende des 13. Jahrhunderts nahmen auch sie, um der Verfolgung zu entgehen, wieder am katholischen Kult teil; nur die Beichte legten sie womöglich bei ihren Brüdern (magistri, confessores, bihter, Barbe) ab.
Die italienischen Waldenser bewiesen die stärkste Lebenskraft und erlangten durch eine rege, im geheimen schleichende Propaganda (danach werden sie in Deutschland auch Winkeler) genannt) die weiteste Verbreitung: in den Alpentäler Piemonts und Savoyens, in Unteritalien, Süddeutschland, Böhmen, Mähren, Brandenburg, Polen und Ungarn. Im Bistum Passau gab es um 1260 in mehr als 40 Pfarreien Waldenser; ihr Bischof hatte in Anzbach (N.-Österreich) seinen Sitz. –
Die Verfolgung der Waldenser
Bereits seit Ende des 12. Jahrhunderts gingen die geistlichen (Inquisition) und weltlichen Behörden scharf gegen die Waldenser vor; viele von ihnen wurden verbrannt, 1211 in Straßburg allein 80 Männer und Frauen. Andere gewann man durch friedliche Belehrung und Religions-Gespräche. Innozenz III. gründete als Gegenstück die Genossenschaften der „Katholischen Armen“ (1208) und der „Rekonziliierten Lombarden“ (1210), indessen ohne größeren Erfolg. Als eifrige Bekämpfer der Waldenser traten der Abt Bernhard von Fontcaude OPraem und die Franziskaner David von Augsburg und Berthold von Regensburg hervor.
Im Laufe des 14. Jahrhunderts flaute die Bewegung ab. In Böhmen verschmolzen sich die Waldenser mit den Husiten und Böhmischen Brüdern. In der Provence, Dauphiné und in Piemont nahmen sie auf der Synode von Chanforans 1532 großenteils die calvinistische Lehre an, wurden aber bald heftig verfolgt. Als der Herzog Viktor Amadeus II von Savoyen im Einverständnis mit König Ludwig XIV von Frankreich 1686 die Ausübung der reformierten Religion verbot und die Prediger verbannte, wanderten nach Niederwerfung ihres bewaffneten Aufstandes mehrere tausend Waldenser nach Baden, Hessen, Brandenburg (700) und Württemberg (2000 unter Führung des Henri Arnaud) aus und gründeten dort eigene Kolonien.
Diese traten jedoch 1821-1823 zu den deutschen Landeskirchen über. In Peimont erlangten sie 1848 Religionsfreiheit. Seitdem warben sie in ganz Italien rege und gründeten vielerorts neu Gemeinden… Die oberste Kirchenleitung hat die sog. „Tafel“, d. h. die jährlich zu Torre Pellice zusammen tretende Synode von 5 Mitgliedern (Geistlichen und Laien) unter dem Vorsitz eines „Moderatore“. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. X, 1938, Sp. 728 – Sp. 730
Zur Eingliederung der Sekte in die lutherische Landeskirche siehe: 200. Jahrestag der Eingliederung der Reformierten- und der Waldensergemeinden in die Landeskirche
Bildquellen
- Worms_Lutherdenkmal_Petrus_Waldus_2012-02-21-18-24-52: wikimedia | CC BY 3.0 Unported