Heiligenkalender
20. April
Heilige Hildegund, vermeintlicher Jüngling Josef
(Führung Gottes)
Zwei Stunden von Heidelberg liegt in einem Tal von Waldgebirg umgeben der Ort Schönau; dort war einmal ein Zisterzienser-Kloster, welches aber schon lange von den Calvinisten aufgehoben und zerstört worden ist. In diesem Kloster lebte und starb vor 700 Jahren die hl. Hildegund, deren seltsamster Lebenslauf hier erzählt werden soll. Der Geistliche, von welchem ihr Leben beschrieben ist, hat sie persönlich gekannt und nimmt Gott zum Zeugen, daß er nur die Wahrheit erzähle.
Nicht weil von Köln wohnte ein reicher Edelmann, der aber den Kummer hatte, daß seine Ehe mit keinen Kindern gesegnet war. Jahre lang beteten, wallfahrteten und opferten die Ehegatten deshalb und machten endlich das Gelübde, wenn Gott ihnen ein Kind schenke, so wollten sie es Gott weihen, wie einst Anna, die Mutter des Propheten Samuel. Dieses Gelübde schien von Gott angenommen worden zu sein; denn nach einiger Zeit wurde das Ehepaar nicht mit einem Nachkommen, sondern mit Zwillingen erfreut, und zwar mit zwei Mädchen, welche in der heiligen Taufe die Namen Agnes und Hildegund erhielten.
Als die Kinder nicht mehr der mütterlichen Pflege benötigt waren, tat sie der Vater in ein Kloster, damit sie dort gut unterrichtet und erzogen würden. Er selbst aber faßte in späterer den Entschluss, er wolle, um Gott seinen Dank für so große Wohltaten zu erzeigen, nach Jerusalem ins heilige Land wallfahren. Seine Frau war unterdessen gestorben, und er beschloss, eine Tochter, die Agnes, im Kloster zu lassen, Hildegund aber mit sich zu nehmen. Damit nun dieses mit mehr Sicherheit geschehen könne, so scherte er dem Mädchen die Haare ab, ließ es Knabenkleider anlegen, und gab ihm den Namen Josef. Er nahm noch einen Diener mit, welcher den nötigen Vorrat tragen musste, und machte sich mit dem nächsten größeren Zug auf die Reise. Allein da sie schon einige Zeit auf dem Meer waren, wurde der Vater auf dem Schiff schwer krank und fühlte, daß er sterben müsse. Er übergab dem Diener all` sein Geld, empfahl ihm auf das Teuerste sein Kind und starb dann. Der Leichnam wurde, wie es auf dem Meer üblich ist, in das Meer versenkt unter unendlichem Weinen und Jammern des verlassenen Waisenkindes.
Zurück konnte man nicht mehr, und so kam Hildegund mit ihrem Beistand nach Jerusalem, besuchte das Grab des Erlösers und andere heilige Orte; sodann traten sie wieder die Rückreise in die Heimat an. Allein hier kam ein neues Unglück über Hildegund. Der Diener war ein schlechter Mensch; als sie am Seehafen zu Akkon die Abfahrt eines Schiffes erwarteten, ging der Diener mit allem Geld heimlich davon, und ließ das Mädchen arm und verlassen tausend Stunden weit von der Heimat sitzen. Doch Gott verläßt keinen Menschen, der ihm selbst treu ist; ein rechtschaffener Mann erbarmte sich über den betrogenen jungen Fremdling – Hildegund schien ihm nämlich wegen der Kleidung männlichen Geschlechtes zu sein – tröstete ihn und nahm sich seiner an. Hildegund kam dann durch ihren Beschützer wieder nach Jerusalem zurück, wurde in der Fremdenherberge der Tempelheeren untergebracht, und brachte hier ein ganzes Jahr zu, wo sie allmählich alle merkwürdigen Stellen in Jerusalem genau kennen lernte. –
Da kam nun einmal ein Pilger aus Köln und zwar ein Verwandter der Hildegund. Derselbe erkundigte sich angelegentlich nach ihrem Vater und erfuhr nun, daß er gestorben, sie aber sein Kind sei. – Nachdem er ihr Schicksal umständlich (=ausführlich) erfahren hatte, entschloss er sich gern, sie mit sich zu nehmen und in ihr Vaterland zurück zu führen. Die Reise ging ohne allen Unfall vonstatten, bis sie Köln bald erreicht hatten, da wurde der Begleiter der Hildegund plötzlich krank und starb auch. Er hinterließ alles Geld, das er bei sich hatte, seiner jungen Verwandten. Und nun sah die junge Waise nach so großer Wanderschaft, nach so vielen großen Gefahren, nach so schweren Schicksalen das Heimatland wieder; und der Herr hatte sie beschützt und behütet bis zur Stunde. Sie gedachte nun einige Zeit in Köln zu verweilen, um sich von den Mühseligkeiten der Reise zu erholen, und wurde durch Fügung Gottes von einem Stiftsherrn, der ein großes Haus hatte, eingeladen einige Zeit bei ihm zuzubringen; er hatte ein Interesse daran, von dem Pilger aus Jerusalem, für welchen er Hildegund ansah, sich erzählen zu lassen. Hildegund nahm die Einladung an.
Der Chorherr hatte aber damals eine Angelegenheit, welche ihm sehr viele Sorgen machte. In einem Frauenkloster zu Köln war nämlich eine Schwester, eine sehr religiöse Person, zur Äbtissin gewählt worden; einige wenige hatten aber der Nichte des damaligen Erzbischofs von Köln ihre Stimmen gegeben und es dahin gebracht, daß der Erzbischof ungerechter Weise die Einsetzung der rechtmäßigen Gewählten verhinderte. Der Chorherr wußte nun kein anderes Mittel zur Abhilfe, als sich persönlich an den Papst zu wenden. Dazu kam noch ein anderer Beweggrund; der Kaiser Friedrich hatte, als für den wichtigen Bischofssitz in Trier gewählt wurde, den rechtmäßig gewählten Volmar durch einen andern, Namens Rudolf, gewaltsam und widerrechtlich verdrängt und unter schwerer Strafe verboten, daß sich irgend Jemand in dieser Sache an den Papst wende. Auch diese Angelegenheit wollte der Stiftsherr in Rom betreiben, und die nötigen Schriften dem Papst überbringen. Da nun Hildegund, die er in ihren Manneskleidern und ihrem männlichen Namen Josef für einen Jüngling hielt, die italienische Sprache verstand und den Weg nach Italien von ihrer früheren Reise her kannte, so bat er so lange und so inständig seinen Gast ihn nach Rom zu begleiten, bis Hildegund nach langem Weigern endlich einwilligte.
Der Stiftsherr und der vermeintliche Josef machten sich nun auf die Reise. Sie waren in einem Ort zwei Stunden von Augsburg entfernt über Nacht geblieben. Der Stiftsherr hatte die wichtigsten Schriften in seinem hohlen Reisestab verborgen und denselben dem Josef übergeben, welcher zu Fuß ging, während der Geistliche etwas voraus ritt, damit, wenn sie nach Augsburg kämen, bei den Spähern des Kaisers kein Verdacht erweckt würde. Da kam im Wald ein Mensch mit einem Sack zu Josef und bat ihn, er möge ihm den Sack halten bis er zurück käme, er müsse einen Augenblick abseits. Es war nämlich ein Dieb, welcher gestohlen hatte und nun von den Bestohlenen verfolgt wurde. Während nun der Sieb im Wald sich versteckte und Josef gutmütig und an nichts Böses denkend sich auf den Sack setzte und wartete, bis jener zurück käme, kamen die bestohlenen, ergriffen den Josef, rissen an ihm herum, schlugen ihn und führten ihn als den eingefangenen Dieb in die Stadt. Alles Leugnen nützte nichts; weil man den Sack bei Josef gefunden hatte, so sollte er nach dem damaligen Gebrauch kurzweg gehenkt werden. Josef bat nur noch um einen Priester, damit er beichten könne und den Leib des Herrn empfangen, was ihm nur mit Mühe bewilligt wurde. Josef erzählte dem Priester Alles umständlich, sagte ihm auch von dem hohlen Stab mit den Schriften, beschrieb das Aussehen dessen, der ihm den Sack gegeben, so daß der Priester von der Unschuld des Josef überzeugt wurde, nachdem er den Stab untersucht hatte und in der Beschreibung des Diebes einen berüchtigten Menschen, der sein Vermögen durchgebracht, erkannt hatte. Es wurde alsbald im Wald auf`s Neue nachgesucht und der wahre Dieb gefunden. Allein dieser leugnete ebenso standhaft, wie Josef, und so wurde, um die Wahrheit heraus zu bringen, dasselbe Gottesgericht angewandt, wie bei der hl. Kunigunde, wovon im vorigen Monat (3. März) erzählt wurde. Josef ging unbeschädigt über das glühende Eisen und wurde frei gesprochen; der Dieb verbrannte sich die Füße und wurde alsbald gehenkt.
Nachdem Josef auf`s Neue durch die Diebesgenossen des Gehenkten im Wald beinahe um das Lebens gekommen, aber durch Fügung Gottes wieder gerettet wurde, fand er endlich, durch seinen Schutzengel gleichsam geführt, den Stiftsherrn in Verona; dieser hielt seine Arme gegen Himmel und dankte Gott, daß er den schon verloren geglaubten Begleiter wieder gefunden hatte.
Sie kamen nun Beide ohne weiteres Missgeschick glücklich nach Rom und brachten ihre Angelegenheit in Ordnung. Ich will nun übergehen, was dazwischen liegt, und zeigen, wie Hildegund nach einem so bewegten Leben zuletzt in den Ruheort ihrer Bestimmung gelangte.
Nach der Rückkehr aus Rom hielt sich der vermeintliche Jüngling Josef in Speyer auf und besuchte dort die geistlichen Schulen. Hier wurde Josef von einem ehemaligen Soldaten, Namens Berthold, der sich zu Gott bekehrt hatte, inständig gebeten mit ihm nach Schönau zu gehen und sich in das Kloster aufnehmen zu lassen. Hildegund hatte aber schon früher durch ihren Schutzengel eine Offenbarung bekommen, daß sie in den Zisterzienser-Orden zu Schönau treten und, bevor ein Jahr vorüber gehe, ein glückseliges Lebensende dort finden werde. Sie sah daher die Aufforderung des Soldaten für einen Ruf der Vorsehung an und wanderte dort hin. Auf ihr Ansuchen wurde sie ohne weitere Schwierigkeiten als Novize im Kloster angenommen, da man auch hier nicht anders wußte, als sie sei männlichen Geschlechtes. Sie wurde demselben Mönch, von welchem ihre Lebensbeschreibung herrührt, zum Unterricht zugewiesen; derselbe spricht darin auch von dem großen Eifer des Zöglings im Wachen, Fasten, Lernen, beten und Arbeiten. Gott aber fügte es, daß ihr Geschlecht bis zum Tod verborgen blieb.
Allein Hildegund musste auch hier noch einen schweren inneren Kampf bestehen. Sie wurde so heftig und anhaltend vom Teufel versucht, auszutreten und wieder in die Welt zurück zu kehren, daß sie wirklich schon an der Klosterpforte stand um auszutreten. Da kam ihr Gott gleichsam gewaltsam zu Hilfe, damit ihr nicht verloren gehe, was sie bisher an Verdiensten erworben hatte. Sie bekam plötzlich einen heftigen Blutsturz und dann grimmige Leibschmerzen, daß man sie in das Krankenzimmer tragen musste; hier lag sie die ganze Fastenzeit hindurch, und ihre Krankheit wurde von Tag zu Tag schlimmer; in der Woche nach Ostern starb sie auf den heutigen Tag, welchen sie schon früher als ihren Todestag bezeichnet hatte. Erst als sie tot war, entdeckte man, daß sie weiblichen Geschlechtes war.
Ich habe von dem religiösen Leben der Hildegund hier wenig erzählt und wie sie zur Heiligkeit gelangt ist; ich wollte mehr nur ihr äußeres Schicksal darstellen, denn auch darin ist Gott verherrlicht.
Wir sehen die Hildegund in mannigfachen großen Gefahren, wie sie nicht leicht einem Mädchen vorkommen, und jedesmal wurde sie durch die Fügung Gottes gerettet und ihrer Bestimmung zugeführt; und als sie zuletzt ihre Seele selbst noch in die Gefahr gestürzt wurde, ihrem eigentümlichen Beruf untreu zu werden, so hat Gott sie mit starker Hand ergriffen und durch eine tödliche Leibeskrankheit das Leben der Seele errettet. Am Ende ihres Lebens konnte sie auch den schönen Spruch sagen: „Du hast mich stets geführt, und deine Hand war über mir.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 2 April bis Juni, 1872, S. 87 – S. 91