So laßt die Kinder zu mir kommen

Der Unschuld Rettung

Helles, feierliches Singen hörte man aus dem Schulhaus her durch den sonnigen, stillen Nachmittag klingen. Es waren Erstkommunikanten; sie übten das Lied ein: „Laßt die Kinder zu mir kommen.“

„… Ach, bewahre ihre Seelen,
Ihre Herzen fromm und rein!
In der Stunde der Versuchung
Decke sie mit deinem Schild,
Daß sie nur die Tugend üben,
Die allein im Himmel gilt!“

sangen sie. Jedes Wörtchen drang herein in das ärmliche Stübchen, wo vor einem großen, starken Mann ein armes Weiblein händeringend stand.
„O habt Erbarmen“, flehte es, „habt Erbarmen mit seiner unschuldigen Seele, schickt das Kind lieber wo anders hin!“

Welche Gefahr für die unschuldige Marie bevorsteht

„Nein, gerade behalten will ich`s für mich“, war die Antwort des Mannes. „Meine Wirtschaft braucht auch Leute, und die Marie paßt mir trefflich. Sie ist groß und geschickt für ihr Alter, und hübsch wird sie auch – ganz recht für ein Haus wie das meinige. Ich habe lange genug den Vormund umsonst machen müssen, jetzt, wo ich einen Nutzen von dem Mädchen haben kann, will ich auch mein Recht behaupten.“
Das alte Weib fing an zu schluchzen.
„Um Gottes und seiner Barmherzigkeit willen, lasset Euch erweichen!“ bat sie. „Ist Eure Stube nicht jeden Abend voll von Unteroffizieren? Mussten nicht schon mehr als ein halbes Dutzend Mädchen in den letzten Jahren mit Schande und Schmach von Eurer Wirtschaft fort, die brav und gut in dieselbe gekommen war? Soll es der unschuldigen Marie, dem besten Kind im ganzen Ort, auch so ergehen in ein paar Jahren? Fürchtet Ihr die Sünde und Verantwortung als Pfleger und Vormund denn gar nicht?“
„Was Verantwortung und Sünde!“ brauste der Wirt zornig auf. „Jetzt ist`s genug mit Eurem dummen Geschwätz! Mein Haus ist ein ehrliches Haus; ich lebe auch darin und kenne meine Pflichten. Die Soldaten haben noch keine gefressen, und am Montag nach dem Weißen Sonntag kommt die Marie in mein Haus als Kellnermädchen, basta!“
Damit schlug er die Türe zu und ging.

Drüben im Schulhaus aber sangen die Erstkommunikanten:

„… Halte sie auf rechtem Pfade,
Führe sie zum wahren Heil!
Laß ihr Herz in Unschuld schlagen,
Bis es einst im Tode bricht.
Sie sind dein, o Herr bewahre
Sie vor deinem Angesicht!“

In entsetzlichem Schmerz aber streckte in diesem Augenblick das Weib beide Arme zum Himmel auf und sagte: „O Herr Gott, laß sie lieber sterben als in dieses Haus kommen, in ihrer Mutter Namen bitt` ich drum!“

Unschuld ist das köstlichste Gut

Die Marie, um die es sich eben gehandelt hat, saß unterdessen drüben in der Schule und lauschte den Worten des Geistlichen, welcher die letzten Tage über in besonderen Stunden mit der Erstkommunikanten eigene Übungen zur Vorbereitung hielt. Das Lied war beendigt, und er hatte seinen Vortrag begonnen. Lautlos und andächtig horchten die Kinder ihm zu, die in wenigen Tagen das Glück haben sollten, zur ersten heiligen Kommunion zu gehen.
„Unschuld ist das köstlichste Gut und die Quelle jeder Tugend und Freude“, sprach er herzlich und innig. „Bewahret die kindliche Unschuld, dann wird es euch an Liebe und Hoffnung und Heiterkeit niemals fehlen. Dem reinen Menschen lächelt das Glück immer, Gott ist mit ihm, und der Himmel ist sein Erbteil. – Die Reinheit ist das schönste und kostbarste Kleinod, welches den Menschen ziert. Diese Tugend hat Jesus Christus jeder andern vorgezogen, sie ist die Lilie im Garten der Kirche. Ihr kennt die Lilie mit ihren sechs schneeweißen Blättern im Kelch: so zeigt sich auf sechsfache Weise der reine, keusche Sinn des unschuldigen Kindes. Rein und keusch ist sein Auge: es erlaubt sich keinen gefährlichen und vorwitzigen Blick; rein und keusch ist sein Ohr: es wendet sich mit Abscheu von allen unziemenden und wüsten Reden; es flieht augenblicklich davor. Rein und keusch ist seine Zunge und sein Mund, welche durch die Kommunion geheiligt sind. Rein und keusch ist sein Gefühl und sind seine Hände; rein und sittsam ist sein Umgang; rein und keusch ist vor allem seine Seele, sein herz, indem es dasWort bewahrt: Selig sind, die ein reines Herz haben, denn sie werden Gott anschauen. – O Kinder! Bleibt rein und brav und unschuldig und gelobt es, lieber zu sterben als an einer Unschamhaftigkeit teil zu nehmen.“ So ermahnte der Geistliche die Kinder. Und deren lautlos auf ihn gerichtetes Angesicht, ihre dunklen, tief ausdrucksvollen Augen bekundeten, daß der Same, den er ausgestreut, in gutes Erdreich gefallen war.
Vor allem war es Marie, welche von seinen Worten bis ins Innerste durchdrungen war. Es war die lieblichste Gestalt in der freundlichen Kinderschar. Größer als die andern, körperlich blühend entwickelt, das weiße, zartrosig angehauchte Gesicht mit den tiefen blauen Augen von reichen, blonden Flechten umrahmt, glich sie fast einer Engelsgestalt, wie man sie zuweilen abgebildet sieht. Und doch war sie weitaus das bedauernswerteste von allen diesen Kindern.

Warum Marie sich in Gefahr befindet

Sie hatte weder Vater noch Mutter je in ihrem Leben gesehen. Eines Tages hatte man sie dem alten Weiblein, ihrer Pflegerin, übergeben; bei ihr war sie aufgewachsen, und deren unermüdlicher Sorgfalt war es zu verdanken, daß der leicht angelegte Sinn mit den zwei Hauptneigungen derartiger Kinder zu hochmütigem Eigensinn und zu sinnlicher Selbstsucht gänzlich unterdrückt worden, und Marie jetzt geistig und leiblich die vorzüglichste Schülerin war. Aber in wenigen Tagen sollte sie in des Kannenwirts Haus übersiedeln und der mütterlichen Pflegerin genommen werden. Was das für das Mädchen bedeutete, das wußte jeder, der das Städtchen kannte. Die „Kanne“ war eine Soldatenwirtschaft gewöhnlichsten Ranges, und der Wirt ein geistig und leiblich verkommener Mensch. Auf Anstiften seiner gleich gesinnten Frau, welche längst gesehen hatte, daß das blühende Mädchen, wenn es erst einige Jahre älter wäre, für die Soldaten und Unteroffiziere der Garnison eine Angel würde, welche die Wirtsstube mit Gästen und die Geldlade mit Silber füllen würde, hatte er den Gewaltstreich gemacht und erklärt, als Vormund das Mädchen zu sich nehmen zu wollen. An das Böse, welches das Kind sehen und hören musste, und an die Gefahr, die demselben drohte, dachte der gewinnsüchtige, rohe Wirt nicht; dafür hatte er das Gefühl längst verloren, ähnlich wie die meisten seiner Gäste.

Die Religionsstunde war zu Ende; die Kinder sangen noch einen Vers des schönen Liedes zusammen, und wunderbar, fast wehmütig schön klang es herüber, wie sie für sich selber sangen:

„… Daß kein Stachel, keine Reue
Sie in letzter Stunde quält,
Daß der Tod als Friedensbote
Sie zu deinen Engeln zählt!
Laß sie nicht verloren gehen,
Gott und Vater! sie sind dein,
Vater, laß uns eins auf Erden,
Eins in deinem Himmel sein! …“

Wenige Augenblicke später trat Marie in das Stübchen der Alten. Sie hatte keine Ahnung von dem furchtbaren Los, das sie getroffen hatte und das sie zu der rechtlosen Sklavin eines schlechten und unchristlichen Hauses bestimmte; und ihre Pflegerin hatte bei sich beschlossen, um keinen Preis dem Mädchen etwas von der Gefahr, die ihr drohte, zu sagen vor dem heiligen Kommuniontage. Sie sollte denselben in aller Freude ungestört begehen, am Tage darauf erste wollte sie ihr die schlimme Botschaft mitteilen. Unterdessen wollte sie aus aller Kraft beten, daß die Sache eine andere Wendung nehme.
Schmeichelnd umarmte das Mädchen die Alte.
„Darf ich nicht noch ein wenig zur Kirche gehen?“ bat sie liebkosend. „Ich möchte jetzt so gerne noch beten und morgen ist die Generalbeichte.“
„Ja, Kind, geh und bete nur recht für dich.“

Ein Gewitter im März und Marie muss helfen

Der Nachmittag des folgenden Tages war gekommen. Die Erstkommunikanten hatten gebeichtet, morgen früh, am Weißen Sonntag, sollten sie dem Heiland im Gewand ihrer Unschuld entgegen geführt werden.
Es war ein eigentümlich warmer Märztag, dieser Samstag. Die Sonne schien heiß, die Luft war so drückend schwül, fast wie in einem Gewächshaus. Drüben aber türmten sich Wolken zusammen, als sollte es im März schon ein Gewitter geben.
Marie war heim gekommen.
„O welche Freude, o wie leicht ist mir`s, fast als sollt` ich fliegen!“ rief sie aus.
Die Wolken waren herauf gezogen, der Tag verdunkelte sich. Ein greller Blitz fuhr herab, ein schwerer Donnerschlag folgte rasch. Es war wirklich ein Gewitter im März.
Die Türe öffnete sich, die Kannenwirtin trat rasch herein, einen großen Regenschirm in der Hand.
„Marie, schnell lauf hinaus zum Oeschbühl, der Wirt ist hinaus gegangen und hat keinen Schirm! Lauf doch recht, der Wirt ist so stark und dick, er ist gewiß in Schweiß gekommen, und wenn er sich von dem Regen erkältet, dann kann`s schlimm gehen!“
Einen Blick auf die Ahne, und Marie hatte schon den Schirm im Arm samt dem eigenen. Kaum war sie draußen, so kam der Gewitterregen stromweise herab. Wie ein Reh sprang das Mädchen auf der Straße dahin, dem Oeschbühl zu.
Ein furchtbarer Blitz- und Donnerschlag durchzitterte die Luft, zahllose andere Blitze folgten nach, es fielen sogar Schloßen: ein schweres Gewitter so kurz nach Frühlings-Anfang!
Marie zitterte nicht. Mit leuchtenden Augen schaute sie zum Himmel, während sie mit eiligen Füßen dahin rannte. Es war wohl eine halbe Stunde nach dem Oeschbühl hinaus. Der Schweiß perlte ihr über Schläfen und Wangen herab.
Endlich war sie zur Stelle, der Wirt hatte sie schon gesehen; er war die Zeit über in niedrigem Gesträuch gestanden, um sich so gut als möglich vor dem Gewitter zu decken.
„Gottlob, daß du kommst, gute Marie!“ rief er ihr schon von weitem zu, und ein Freudenstrahl verklärte sein Gesicht.
„Du bist wohl hergesprungen, aber heimwärts geht`s langsamer, ich kann nicht so schnell gehen“, sagte er.
Und so gingen sie langsam dahin. Der schwerfällige Wirt ging so langsam, daß Marie in dieser Zeit zweimal hätte hin- und herlaufen können. Das Gewitter begann nachzulassen, der Regen aber goß heftig herunter und die Luft, welche noch vor einer Viertelstunde schwül und warm gewesen war, hatte sich sehr abgekühlt. Es ward geradezu empfindlich kalt. Marie schauderte bei dem schneidenden Wind und zog ihr Tuch fester um sich.
In diesem Augenblick riß ein Windstoß dem Wirt die warme Mütze weg feldein und dem Bach zu. Marie sah es und rannte in hurtigen Sätzen dem Flüchtling nach – umsonst: schon hatte der Sturm die Kopfbedeckung des Wirtes in das Wasser geweht.
Der Wirt mit seinem dünn behaarten, entblößten Haupt jammerte: „Nun muss ich am Ende noch krank werden, der Wind pfeift mir entsetzlich kalt in den Nacken.“
Marie aber wußte Rat. Behende nahm sie das warme Tuch, das ihren Hals und Oberleib geschützt hatte, und bot es dem Wirt an: er solle es sich um den Kopf binden, es sehe ihn ja niemand, und vor dem Dorf könne er es ja wieder abnehmen.
„Du bist ein gescheites und gutes Kind“, sagte der Wirt erfreut, nahm das Tuch und legte es sich über den Kopf.
Die Abkühlung ward immer ärger, schon begann der fallende Regen sich in Schneeflocken zu verwandeln.
Marie war bleich geworden und zitterte; es fror sie im Innersten. Vorher hatte sie sich erhitzt; jetzt musste sie Schritt für Schritt, ohne Schutz, neben dem langsamen Begleiter im schneidend kalten Wind hergehen. Ein über das andere Mal schauderte sie zusammen.

Das Mädchen wird krank

Endlich, endlich, nach fast dreiviertel Stunden waren sie am Dorf angelangt, und Marie säumte nicht, so schnell als möglich heim zu kommen.
Bleich und zitternd trat sie bei der Ahne ein, so daß diese heftig erschrak. „Nur rasch zu Bett“, sagte sie, „damit du dich wieder erwärmst“; dann machte sie Tee und gab dem Kinde zu trinken.
Am andern Morgen, dem des Weißen Sonntags, schimmerte die Sonne golden hell ins Zimmer. Marie war schon aufgestanden. Das unaussprechliche Glück, das sie heute erwartete, die erste heilige Kommunion, hatte sie früh heraus getrieben; den ganzen Morgen hatte sie gebetet, und nur den einen Gedanken: die erste heilige Kommunion.
„Kind, wie siehst du so bleich aus!“ sagte die Ahne sorglich, indem sie Marie ankleidete und schmückte.
„O es ist mir so leicht und freudig zu Mute, als ging`s in den Himmel“, sagte Marie, und ihre Arme schlangen sich um den Hals der Frau.
Man ging zur Kirche. Es fiel allen Leuten auf, daß das blühende und sonst so gesund aussehende Mädchen heute so blaß war und fast blaue Lippen hatte. Als aber Marie an der Kommunionbank kniete und der Priester nahte, um ihr den Leib des Herrn zu reichen, da sah er, wie plötzlich ihr blasses Gesicht sich rötete und mit heller, freudiger Glut übergoß. So ging sie auch wieder zurück in ihren Stuhl.
Aber des Nachmittags kam sie schon nicht mehr in die Kirche. Ein furchtbares Fieber hatte sie ergriffen. Der Arzt machte eine bedenkliche Miene. Am folgenden Tage erklärte er der Ahne, er halte die arme Marie für verloren.

Wie Gott Marie zu sich kommen läßt

Die Ahne wendete ihr vor Schmerz tränenlosen Augen zum Himmel. „Mein Gott, wenn du sie so retten willst vor den Gefahren des Wirtshauses“, murmelte sie, „dein Wille geschehe!“
Marie hatte meistens im Fieber phantasiert. Plötzlich wachte sie auf, schaute die Ahne an und fragte:
„Ahne, muss ich sterben?“
„Warum, Kind?“
„Weil ich`s glaube“, war die Antwort. Das Kind richtete sich auf im Bett. „Sieh, liebe Ahne“, sagte sie, „ich hätte jetzt gar keine Angst vor dem Sterben. Wenn der Herr Pfarrer zu mir käme und sagte: heute noch musst du sterben, o ich würde antworten: gerne, ganz gerne, wenn es der liebe Gott will. Es ging mir so leicht, so leicht, ich fürchte mich gar nicht. Der leibe Heiland steht ja drüben in der Ewigkeit, in seine Hände kommt man ja gleich, wenn man gestorben ist: den fürchte ich nicht, nein, o ich würde mich freuen, wenn ich ihn bald sehen dürfte, und er müsste mich in seinen Himmel führen. O wie will ich ihn dann lieben immerdar!“
„Nun wohlan, Kind, so höre: du musst sterben.“
„Ist`s wahr?“ sagte sie, und ein blühendes Rot überzog wieder das Angesicht, wie in jenem Augenblick, da sie die erste heilige Kommunion empfangen hatte, „ist`s wirklich wahr?“
„O Kind, freilich ist`s wahr“ – das Schluchzen erstickte die weiteren Worte der alten Frau.
Marie faltete die Hände, dann sagte sie rasch: „O, dann geht gleich zum Herrn Pfarrer, daß er mich recht versehe!“
„Ja, Kind, das soll geschehen.“
Maria empfing die heilige Ölung und die Wegzehrung mit derjenigen Ruhe und furchtlosen Andacht, welche nur die Unschuld im Angesicht des Todes hat. Der ganze Ausdruck ihres lieblichen Angesichts bezeugte, daß sie keine Angst hatte vor dem Sterben, ja daß sie sich darauf freute.
Bald phantasierte sie wieder und betete im Fieber laut. Unausgesetzt strömten Gebet aus dem Mund der Sterbenden; sie wußte es nicht.
Die Ahne wachte bei dem Kind, bis ihr endlich die Augen zufielen. Da erwachte sie plötzlich mitten in der Nacht an einem Gesang. Sie schaute auf das Bett Mariens. Diese lag da, die Augen hatte sie geschlossen, das Angesicht lächelte in süßem Frieden, und leise sang sie die zweite Strophe des Liedes der Erstkommunikanten:

„Nimm sie all` an deine Brust
Laß sie ruhn an deinem Herzen,
Liebster Jesu, sie sind dein!
Gib den Segen, sprich zu Himmel:
Vater, Vater, sie sind mein!“

Das Weinen der armen, verlassenen Ahne weckte Marie auf.
„Ahne!“
„Was, mein Kind?“
„Sag, daß sie das Lied singen sollen, wenn man mich begräbt!“
„Ja, Kind, das soll geschehen.“
„Und der Herr Pfarrer soll davon predigen; ich will`s vom Himmel herab anhören, was er sagt.“
Marie legte sich auf die Seite.
Nach einiger Zeit erwachte die halb schlummernde Ahne wieder an einem Ausruf.
Marie hatte sich halb aufgerichtet und blickte mit einem Angesicht, auf dem bereits der Widerschein des Glanzes der ewigen Seligkeit strahlte, aufwärts. Die Arme hatte sie ausgestreckt; ihr Angesicht war wieder von mattem Rot übergossen.
„O Ahne, wie schön, wie schön!“ rief sie mit brechender Stimme.
Ihre Arme fielen herab, das Haupt sank zurück und legte sich zur Seite – das Kind war tot.
Zwei Tage darauf trug man sie zu Grabe. Die Sonne schien herrlich herab vom Himmel, die Lerchen jubelten, die Finken schlugen und die Veilchen dufteten, und in mehr als einem harten Herzen ist die Eisrinde geschmolzen, wie die sechs weiß gekleideten Schülerinnen den Sarg mit Mariens Leiche, den sie auf ihren Schultern getragen hatten, auf dem schmalen Brett nieder setzten, von wo er in das Grab gelassen wurde, und wie mehr denn hundert Kinderstimmen sangen:

„Laßt die Kinder zu mir kommen,
Ihrer ist das Himmelreich;
Wer den Himmel will erwerben,
Werde diesen Kleinen gleich!“

aus: Konrad Kümmel, An Gottes Hand, Viertes Bändchen: Osterbilder, 1912, S. 215 – S. 224

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