Heilige Messe im Abendmahlssaal 1860

Heilige Messe im Abendmahlssaal in Jerusalem: Abendmahlssaal, Blick nach Osten

Heilige Messe im Abendmahlssaal 1860 in Jerusalem

Auszug aus der Erzählung: Auf Sions Höhen

Es war in tiefer Morgenfrühe des 5. April vom folgenden Jahre 1860. Der heilige Gründonnerstag war angebrochen. Drei Uhr war’s vorüber. Noch lag die Nacht auf der heiligen Stadt Jerusalem, da standen unter der Pforte des Franziskaner-Klosters zwei von schweren Mänteln umwallte hohe Gestalten; bei ihnen ein Frater mit einer Laterne.

„Gott sei mit Ihnen, Pater Maurus, Pater Plazidus“, sprach der Franziskaner, der ihnen öffnete, um sie hinausgehen zu lassen; „Gott gebe, dass alles glücklich vorübergeht. Es ist ein Wagnis, aber zu Gottes Ehre, und wenn es gelingt, so ist Ihnen ein Glück beschieden, wie es, seitdem Jerusalem in den Händen der Ungläubigen ist, keinem Sterblichen mehr zu teil wurde.“

Tief ergriffen, tief ernst verabschiedeten sich die beiden Benediktiner-Patres.

„Beten Sie, dass doch keine Störung eintritt“, flüsterten sie, grüßten und verschwanden dann draußen in der Dunkelheit.

Ein halbes Stündchen später ging vom deutschen Pilgerhause durch die schweigenden Gassen Jerusalems ein kleiner Zug von wohl einem Dutzend Personen. Voran ein Mann mit einer Laterne, dann zwei Franziskaner-Patres, ein weiterer langbärtiger Ordensmann mit ausgesprochen orientalischen Gesichtszügen, vier verschleierte Damen und die beiden Benediktiner, außer ihnen noch ein stattlicher Geistlicher, auf dessen Brust dann und wann das Bischofskreuz sichtbar wurde, und noch einige Ordensbrüder.

Der Prälat war Monsignore Spaccapietra, Erzbischof und damals außerordentlicher päpstlicher Visitator des Heiligen Landes; die beiden Franziskaner gehörten der Kustodie des heiligen Grabes an, der orientalische Ordensmann war Pater Ratisbonne, der in Rom vor dem Altar der seligsten Jungfrau so wunderbar bekehrte Israelit; die beiden Benediktiner waren Pater Maurus und Pater Plazidus, zwei leibliche Brüder, welche wir in Tivoli gesehen haben im Gespräch mit der Hoheit; von den vier Damen waren eine die Marquise Pauline Nikolai, welche im Rufe der Heiligkeit lebte und starb. Die andere Dame sodann war die Hoheit; sie war die Seele des Ganzen gewesen, denn sie hatte den kühnen, fast möchte man sagen todesmutigen Wunsch ausgesprochen, zu dessen Erfüllung nun alle auf dem Wege waren. — —

Der Wunsch, welcher längst im Herzen des Pater Maurus brannte, hatte sich erfüllt. Die Fürstin hatte für die beiden Brüder die Erlaubnis ausgewirkt, dieselben auf ihrer Reise ins Heilige Land als Begleiter und geistige Führer mitnehmen zu dürfen; die Erlaubnis war gegeben worden, und so weilten sie schon einige Wochen in der heiligen Stadt, um hier selbst in die Schule des Gekreuzigten zu gehen und von dem Orte, wo er sein kostbares Blut vergossen für die Menschheit, die Gnade des Berufs und den Segen für das Unternehmen in Deutschland zu holen.

Die heutige Nacht oder vielmehr der heutige Gründonnerstagmorgen sollte die Krone aller ihrer Andachten und Erhebungen bilden.

Es handelte sich um nichts Geringeres als um das Vorhaben, in dieser Nacht im Abendmahlssaale auf Sion, also an der Stelle, wo der Heiland mit seinen Jüngern das Abendmahl gefeiert hatte, die Gründonnerstags-Messe zu lesen und hier, wo er persönlich seiner reinsten Mutter, seinen Aposteln und Jüngern die erste heilige Kommunion gespendet hatte, auch die Osterkommunion zu machen.

Dieser Plan überstieg an Kühnheit fast die Möglichkeit der Ausführung. Und doch wickelten sich die Vorbereitungen leichter ab, als man geahnt hatte. Der Kustos des Heiligen Landes, der Franziskaner-Guardian von Jerusalem, welcher zunächst die Erlaubnis zu geben hatte, sagte sofort seinen Beistand zu; er wandte sich an den Vorsteher des türkischen Derwischklosters, welchem der Abendmahlssaal als Moschee gehört, und bat, er möge einigen christlichen Pilgern gestatten, am Morgen früh ihre Andacht in dem Saale zu halten; der Derwisch weigerte sich nicht, und so waren die Wege geebnet.

Die nötigen Geräte zum heiligen Opfer trug der mit der Laterne vorausgehende Diener des Erzbischofs. Jetzt stand die kleine Karawane am Sionstore.

Das Sionstor war der Frühe wegen noch geschlossen. Der Diener weckte einen der türkischen Wachsoldaten, die nebeneinander unter der Halle ausgestreckt schliefen, und bedeutete ihm zu öffnen. Der Soldat weigerte sich; allein ein Bakschisch (*) wirkte sofort, dass derselbe nach dem Schlüsselbund langte, und das Tor öffnete sich knarrend. Die Pilger traten durch dasselbe hinaus und befanden sich jetzt auf demjenigen Teile des Berges Sion, welcher außerhalb der Stadt Jerusalem liegt.

(*) Geldbetrag, der jemandem als Trinkgeld oder für eine erwiesene Gefälligkeit gegeben wird

Es war jetzt fast 5 Uhr früh; vom nahen Ölberg herüber grüßten schon die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne. Die kleine Karawane bewegte sich weiter, rechts vorüber an dem armenischen Kloster mit der Salvatorkirche, an dessen Stelle zur Zeit des Heilandes das Haus des Hohenpriesters gestanden ist, dessen Vorhof die Verleugnung Petri geschaut hat.

Jetzt naht sich der Zug einem Gebäudekomplex, über welchem sich eine Kuppel und ein türkisches Minarett (Turm zum Ausrufen der Gebetsstunden) erheben; der junge Tag übergießt das Gebäude mit strahlendem Purpur wie mit einem Nimbus.

Das ist das Heiligtum des letzten Abendmahls.

Im mächtigen Eingangstor ist ein kleines Türchen offen; die Pilger treten schweigend in die Torhalle. Alles ist totenstill; und das ist kein Wunder, die Türken liegen noch im ersten, tiefen Schlafe.

Denn es ist ihr Ramadan- oder Fastenmonat; da darf der Moslem den ganzen Tag über nichts genießen, erst abends ist ihm gestattet, sich zu sättigen. Er weiß sich aber zu helfen: er macht den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage; er wacht bei Nacht, isst, trinkt und belustigt sich in oft ausgelassenster Weise, bis der Kanonenschuss früh 4 Uhr ihm verkündigt, dass jetzt die Zeit zum Fasten, der Tagesbeginn, eingetreten sei. Da legt sich der Türke zur Ruhe und verschläft nun die Zeit des Fastens. So ist’s kein Wunder, wenn alles totenstill ist, obgleich der Tag schon anbricht.

Jetzt wenden sich die Pilger zum ummauerten Hofe; dort drüben ist das Heiligtum; eine Steintreppe führt von außen zur Türe in den Abendmahlssaal. Da gibt einer dem andern ein Zeichen. Seitwärts steht unter der Torhalle eine im Schleier verhüllte Frauengestalt regungslos, die schwarzen Augen bloß auf sie gerichtet. Aber sie spricht nichts, sie lässt sie ruhig die Steintreppe hinaufgehen. Die Tür ist bloß angelehnt; sie öffnet sich, und die Christenschar tritt direkt in das Heiligtum ein, in den „Saal des Obergeschosses“, wie es im Evangelium heißt, in den Abendmahlssaal.

Hier hat also Jesus Christus, der menschgewordene Sohn Gottes, geweilt, persönlich geweilt, am letzten Abend seines Lebens. Hier hat er gebetet, die Abschiedsreden gehalten; hier hat er gewandelt und seinen Aposteln die Füße gewaschen; hier hat er das heilige Mahl gehalten nach Sitte der Israeliten und hat zum ersten mal das heiligste Opfer dargebracht, seine göttliche Primiz gehalten, die heilige Messe gestiftet für alle Zeiten als reines Speiseopfer für die ganze Welt; hier hat er die erste heilige Kommunion an die Seinigen gespendet, und auch an Judas; hier hat er zum letzten mal vor seinem Tode geweilt unter seinen Erwählten, um dann von hier zur tiefen Traurigkeit an den Ölberg hinüberzugehen. …..

Und das hat der Herr getan an demselben Tage, der heute ist — am ersten Gründonnerstage der Christenheit vor mehr denn neunzehnhundert Jahren.

Zwar ist der Raum von einem gotischen Gewölbe überspannt, welches zwei Säulen in gleichem Stil tragen; auch Türen und Fensteröffnungen zeugen von diesem späten Bau; allein das ändert nicht das mindeste an der Tatsache, dass hier die Stätte ist vom letzten Abendmahl. Auch die andern heiligen Orte in Bethlehem, Nazareth und Jerusalem sind ja mit Kirchenbauten, Altären usw. reichlich in späteren Zeiten versehen worden.

Was aber traurig anmutet, was herzzerreißend wehe tut, das ist die äußerste Verwahrlosung dieses heiligsten aller Kirchenräume der Welt durch die Ungläubigen. Staub und Schmutz liegen überall auf dem Boden, an den Vorsprüngen der Wände; eine armselige Strohmatte auf einem Teil der Bodenquadern, mehrere an Schnüren aufgehängte Straußeneier und einige nüchterne und wertlose andere Ausstattungssachen bilden den ganzen Schmuck; unsägliche Trauer herrscht in dem entweihten Raume.

Und doch sind die Seelen der Pilger voll des heiligen, stillen Jubels, während man sich anschickt, die zur Darbringung des heiligen Opfers notwendigen kirchlichen Gegenstände, die man heimlich mitgebracht, paratzustellen.

Leise flüstert einer der Pilger dem andern zu: „Anno 1559 haben die Franziskaner den letzten Gründonnerstag hier gefeiert; das sind also jetzt genau dreihundert Jahre, nach welchen heute wieder eine heilige Messe hier gefeiert wird.“

Aber plötzlich öffnet sich die Türe; ein junger Türke von etwa zwanzig Jahren stürzt herein, mit ihm eine Anzahl von Kindern; er legt feierlich Verbot ein gegen jede religiöse Handlung der Christen, — das wäre eine „Entweihung“ des türkischen Gebetsraumes.

Dann stellt er sich als Schildwache auf, um jeden Schritt der Christenschar zu überwachen. Es tritt ein Franziskaner-Bruder, selbst ein Araber, zu ihm, um ihm in seiner Sprache zuzureden — umsonst. Sogar das Geld, das man ihm anbietet, weist er zurück. Die einzelnen Pilger werfen sich da und dort nieder, um Gott anzuflehen, doch die Gnade ihnen zu gewähren, welcher sie sich schon so nahe sähen. Da erhebt sich plötzlich die Fürstin und winkt zweien der Frauen; sie ziehen unter beschwichtigenden Worten den jungen Fanatiker hinaus auf die Terrasse und sprechen ihm nochmals zu.

Und siehe da, die hohe Frau erreicht, was den andern nicht gelungen ist. Der Türke lässt sich bewegen zu versprechen, dass er draußen vor der Türe der Terrasse eine halbe Stunde warten wolle; er reicht sogar zur Bekräftigung seines Versprechens der hohen Frau die Hand.

Nun wird in höchster Eile der kleine mitgebrachte Tragaltar auf einen Dreifuß gestellt, darauf Kruzifix und Kerzen, und hinter dem Tragaltar kniet, ihn stützend, ein Benediktiner-Pater; jetzt tritt der Erzbischof, bereits in die weißen priesterlichen Gewänder gehüllt, herzu und beginnt das Staffelgebet; ihm ministrieren die beiden Brüder, die Benediktiner-Patres Maurus und Plazidus. Die Messe schreitet rasch voran. Schon beginnt der Erzbischof das Gloria zu beten.

Da gibt es eine Stockung. Seine Stimme versagt — er kann sich nicht mehr halten in heiliger Rührung und Ergriffenheit, er bricht in lautes Schluchzen aus.

Einer der dienenden Patres redet ihm leise zu; das Gebet wird wieder aufgenommen, die heilige Opferhandlung schreitet wieder vorwärts. Es folgt die Opferung, es erklingt die Präfation und das Sanktus — die Stillmesse beginnt.

Und jetzt ist das Wunder der heiligen Wandlung vollzogen.

Die Pilger ringsum mit dem Bischof am Altar, sie haben alles vergessen, was sie umgibt: die Armseligkeit, den Schmutz an entweihter Stätte, den Wache stehenden Türken, die gotischen Säulen und Wölbungen des Heiligtums — die ganze äußere Welt ist in diesem Augenblick für sie versunken und verschwunden. Sie schauen mit den Augen ihres lebendigen Glaubens in diesem Zeitraum den göttlichen Heiland, wie er vor neunzehnhundert Jahren hier weilte beim Paschahmahle; sie hören seine Stimme sprechen: „Das ist mein Leib .…. das ist mein Blut, das für euch und für viele wird vergossen werden“; vor ihren Augen schreiten die heiligen Apostel, schreitet die Mutter Gottes zur Osterkommunion, die Hand des Heilandes selber reicht sie ihnen.

Und die Fürstin betet tränenüberströmt: „O Herr, gib mir zu kosten etwas von der Süßigkeit, von deiner Hand gespeist zu werden mit dem Mahle des ewigen Lebens. .… .“

Und die beiden Brüder am Altar, Brüder dem Fleische nach und durch das Ordenskleid, sie vernehmen klar und deutlich das Gebot des Heilands, das hier erklang und von hier ausging: „Tuet das zu meinem Andenken“; sie sagen sich mit Schauern heiliger Ehrfurcht:

Hier ist die Geburtsstätte des heiligsten Sakraments des Altars, hier ist die Geburtsstätte des heiligen, reinen Opfers des Neuen Bundes, hier ist die Sonne für die ganze Welt aufgegangen, um nie mehr unterzugehen bis zum Ende der Tage; o selige, o heiligste Stätte, so heilig wie Bethlehems Heiligtum. .…. Und von hier aus ist das Sanktissimum ausgezogen in die ganze Welt in stillem Siegeszuge: als Opfer, als Abendmahl, als Hirte und Lehrer und Tröster für Millionen; hier ist die Quelle des unermesslichsten Stromes der Gnaden, des Heils, der Liebe, des Segens und Wohles für die Völker, für die ganze Menschheit, für alle Zeiten.

Und sie hören im Geist, wie es hier rauscht von den Fittichen der Cherubim und Seraphim, deren Heerscharen unsichtbar hier Wache halten Tag und Nacht, und sie hören, wie es klingt in tausendfachem, ehrfürchtigem, heiligem Chore: Lauda Sion, Salvatorem, und wie Millionen von andern Engeln es wiederholen in ewiger Melodienpracht. Und die beiden Ordensbrüder, sie sehen und fühlen und denken nur noch eins: das Wunder der Eucharistie. Und aus der Tiefe ihrer Seelen strömt, ohne dass die Lippen es sprechen, ein wunderbarer Wechselgesang, ein Hymnus der Anbetung und Liebe in ungehemmten Fluten empor.

„Kein Kirchlein ist so arm auf Erden, dass nicht ein Lichtlein brennte vor dem Heiligsten, und hier, o Herr, brennt keine Lampe. Und doch sollte hier die Sonne nicht untergehen, solang die Welt steht — o Wunder der Selbstentäußerung, der Demut des Gottessohnes —

„O lass hier zusammenströmen, deinem Auge sichtbar, den Schimmer aller ewigen Lampen, das Leuchten der Millionen Kerzen aus allen Kirchen der Welt, vom Anfang bis zum letzten heiligen Opfer, und den Widerschein aller Pracht zu Ehren des Sakramentes in den Gotteshäusern des Erdkreises —

„O lass hier zusammenrauschen den Widerhall der Millionen Gesänge und Gebete, das endlose „Gelobt und gebenedeit sei das heiligste Sakrament aller Christgläubigen der Kirche, das unaufhörliche Sanctus, Sanctus, Sanctus aller Engelchöre von den Himmeln her —

„O lass hier zusammenfließen allen Glauben, alle Liebe, heiligsüße Freude und Ströme des Himmelsfriedens und des Dankes der Millionen Christen, welche im Herrn kommunizieren, angefangen von ihrer ersten bis zu ihrer letzten heiligen Kommunion im Leben —

„O sei gepriesen und gelobt in Ewigkeit, heilige Stätte, an der der Herr die Quelle erschloss für die Wasser des ewigen Lebens —

„O sei gepriesen und gelobt in Ewigkeit, du heilige Stätte, an der der Herr seinen Grund- und Eckstein errichtete, den reinen Altar auf Sion für sein heiliges Speiseopfer auf ewig —

„O lass mich dich lieben mit verzehrender Liebe und dir dienen alle Stunden meines Lebens, dir dienen im heiligsten Sakramente —

„O lass mich versenkt bleiben in deiner Betrachtung, dass meine Seele nichts weiß und wissen will als allein dich und das Geheimnis deiner Liebe —

„O lass uns üben deinen heiligen Dienst mit der Reinheit der Engel, mit der Ehrfurcht der Engel, mit der Andacht und Treue der Engel —

„O lass uns den Dienst und die Anbetung deines heiligsten Sakramentes nach Kräften ausbreiten in aller Welt —

„O lass mein Leben sein ein Licht, das vor dir brennt und sich für dich verzehrt, wenn auch unter tausend Schmerzen —

„O lass mein Leben sein ein Psalmensang und ein Harfenklang zu Ehren dir allein und deiner Wunder im Sanktissimum, und schone die Harfe nicht und schlage sie selbst mit starker Hand, bis ihre letzte Saite springt —

„O blicke, Herr, in mein Herz, und sieh gnädig an und nimm an, was darin lebt zu deiner Ehre, und billige sein Unternehmen und heilige es mit dem Geiste, in welchem du hier für die Deinigen dein letztes Gebet verrichtet hast —

„O segne, Herr, mit deiner Gotteshand das kleine Samenkorn, das wir hierher getragen haben, damit es von Sion ausgehe und wachse und gedeihe —

„Und wir wollen nie Sions vergessen in Ewigkeit; stets soll unser Herz hier sein —

„O kette uns mit besonderer Kraft und Liebe an dein heiliges Sion, o Herr, und befreie es nach deinem Willen bald aus den Händen der Ungläubigen — — — —“

Jetzt knieten die Pilger — es waren gerade zwölf an der Zahl — dicht um den Altar, und nun empfingen sie die heilige Osterkommunion aus der Hand des Erzbischofs, die Osterkommunion an der Stätte, wo Christus selbst sie einstens gespendet hatte, die Osterkommunion an der Stätte, an welcher seit genau dreihundert Jahren heute erstmals wieder das heilige Opfer dargebracht wurde. Und auf den Silberschwingen des Glaubens und der Liebe schwebten ihre Seelen schon, vereint in seliger Himmelsfreude mit ihrem Heiland, hoch über dieser Welt und ihren Niedrigkeiten. — —

Und was am tiefsten jedem das Herz bewegte, das legte er in diesen heiligsten Augenblicken in süßem Gebete, in kindlichem Flehen und Bitten vor.

Besonders die Fürstin. Sie war ganz und gar versunken im innigsten Zwiegespräch mit dem, welchen sie liebte, mit ihrem Heilande. Sie betete mit dem Vertrauen eines Kindes und mit der Kraft einer Heiligen. Und wer in ihre Seele hätte schauen können, der hätte erfahren, wie die hohe Frau diese ihre heiligste und glücklichste aller Osterkommunionen in der Meinung empfing, einmal, dass Gott ihr selbst eine vollkommen würdige, letzte heilige Kommunion als Gnade gewähre, und sodann, dass er die Abendmahlsstätte bald der Kirche Gottes wieder schenken wolle. *

* Historisch — nach dem eigenen Tagebuch der Fürstin.

Jetzt spendet der Bischof den letzten Segen; da öffnet sich schnell die Türe, und der junge Türke tritt ein mit höchster Bestürzung auf dem Gesichte. — „Schleunigst fliehen!“ sagt er, da die türkischen Derwische Kunde bekommen hätten und er jetzt für nichts mehr einstehen könne. Der Erzbischof legte, während er das letzte Evangelium betete, rasch die heiligen Gewänder ab, Altarstein, Leuchter, Kruzifix, Kelch usw. wurden von den verschiedenen Personen rasch verpackt und an sich genommen, und wenige Minuten später waren die Pilger draußen und schritten durch das jetzt geöffnete Sionstor wieder nach Jerusalem hinein, um in der Grabeskirche des Heilands ihre eigentliche Danksagung für die außerordentliche Gnade dieser einzigartigen Osterkommunion zu machen.

Der Erzbischof aber stellte jedem der Teilnehmer eigenhändig einen Kommunionzettel aus mit dem ausdrücklichen Beifügen, wann und wo diese Ostern gefeiert worden seien — ein Kommunionzettel einziger Art. –
aus: Konrad Kümmel, Sonntagsstille, Neue Erzählungen für Volk und Jugend, Auf nach Sion, 2. Hälfte, 1908, S. 289 – S. 299

Die gesamte Erzählung ‚Auf Sions Höhen‘ ist hier als pdf zu lesen.

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Zu seiner Person siehe bei Wikipedia: Stichwort Konrad Kümmel

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