Weihnachten im Schnee

Weihnachten im Schnee: Die Kapelle beleuchtet, ein Schlitten mit einem Pferd davor kommt gerade an

Weihnachten im Schnee – eine besinnliche Erzählung besonderer Art

Es war die heilige Christnacht; zwischen 3 und 4 Uhr morgens jagte ein Schlitten, gezogen von zwei kräftigen Braunen, durch den Wald.

Schweigend, wie in tiefsten Schlaf und Traum versunken, stand rechts und links der Wald, eingehüllt in den tiefen Schnee, der sich bis zu den Ästen auftürmte, den Stamm dem Blick entzog und die Zweige so dicht belastete und bedeckte, als sie eben zu tragen vermochten. Graben und Straße waren nicht mehr zu unterscheiden unter der weißen Decke, und soweit das Auge hinaussah zur Linken, wo sich der Wald lichtete, lag Schnee und Schnee stundenweit auf Wiesen und Feld, auf Hügeln und Ebenen, still und bleich wie eine riesige Schlummerdecke der Erde.

Der Himmel war von einem leichten Nebel bedeckt, durch welchen der Mond in einem blassen, großen Schimmerkreis noch in ziemlicher Höhe auf die heilige Nacht herabschaute; in der höchsten Höhe des dunklen Himmels waren die Sterne sichtbar, weiter herunter ringsum waren sie vom Nebel umhüllt.

Lautlos glitt der Schlitten über die Straße, und der Schnee stäubte sprühend hinterdrein. Die zwei, welche im Schlitten saßen, sprachen nur hin und wieder ein halbleises Wort miteinander. Der eine, der Fuhrmann, eine kräftige Mannesgestalt, saß vorn; der andere, welcher in der Tiefe des Schlittens lehnte, hatte die Hände gefaltet und gab sich offenbar ganz den Eindrücken seiner Betrachtung hin. Es war ein Geistlicher, und er machte, wie alljährlich in dieser heiligen Nacht, die Fahrt auf das Filial, um daselbst die heiligen Geheimnisse im Dunkel der Christnacht zu feiern.

Die mutigen Braunen liefen rasch, und Wald und See, Abhänge und Hügel, die den Horizont dunkel begrenzten, schwanden rechts und Links hinter dem Schlitten dahin.

Jetzt waren sie auf der Höhe angelangt, und das Dorf lag in einiger Entfernung in dunklen Umrissen vor ihnen. Da und dort schimmerte Licht aus einem Hause; die langen, schmalen Kapellenfenster aber leuchteten hell den Nahenden entgegen.

Wenige Minuten, und der Schlitten hielt vor der Kapelle an. Aus den mit Schneestaub bedeckten Teppichen wanden sich der Geistliche und sein Führer, schüttelten sich ab und begrüßten mit halblaut gesprochenem, vertrautem Gruß die Leute, welche noch außerhalb der Kapelle in dichten Reihen um den Eingang geschart standen.

Nach kurzer Zeit hatte der nächtliche Gottesdienst begonnen. In tiefer, Ehrfurcht erfüllter Stille kniete Kopf an Kopf die Schar der Andächtigen im Kapellchen, und was nicht drinnen Platz fand in dem heiligen Raum, das stand draußen vor der Tür dicht geschlossen im Schnee unter freiem Himmel, zitternd vor Frost und den Mantel fest um sich geschlagen; aber ein Blick dann und wann durch die offene Tür auf den hell schimmernden Altar, die kleine Krippe mit dem Wachsbild des Christuskindes und den Priester, der das heilige Opfer feierte, ließ Nacht und Schnee, Frost und Wind vergessen.

Die heilige Wandlung geschah, das kleine Glöckchen mit seinem hellen Klang verkündete den Kranken und allen ringsum in den dunklen Hütten, die nicht zur Kapelle kommen konnten, daß der Sohn Gottes nun herabgestiegen sei in ihre Mitte.

Und als sich die am Eingang der Kapelle auf die Knie niederließen, da beugte sich auch ein großer, stattlicher Mann tief zur Erde und bekreuzigte sich. Er stand etwas seitwärts von der Tür und abgesondert von den andern in der Nacht. Manches Auge sah ihn aber verwundert an.

Der Alleinstehende war der vermögliche Müller drüben von der Halde. Seit Jahren hatte man ihn nur sehr selten in einer Kirche gesehen, auch an Ostern nicht; darum musste sich jedermann darüber wundern, dass er in dieser Nacht den weiten Weg von seinem Hof hierher gemacht hatte und nun im Schnee vor der Kapelle stand. Und er hatte die Hände gefaltet, zwischen welchen er die Pelzmütze hielt, ließ sich den eisigen Wind in Bart und Haar fahren und blieb unverrückt an seiner Stelle stehen.

Die erste heilige Messe war zu Ende. Leise kamen die Leute, welche bisher im Innern der Kapelle gewesen, heraus; die außen Stehenden gingen, mit ihnen wechselnd, hinein, und die ersteren nahmen jetzt außen ihren Platz. Der Müller rührte sich nicht, um auch hineinzukommen. Leise zupfte ihn eine Nachbarin und bedeutete ihm freundlich, er solle sich den Hineingehenden anschließen.

„Danke“, sagte er nicht unfreundlich, „ich kann`s hier schon aushalten.“

Die zweite heilige Messe begann. Der Rosenkranz wurde begonnen, und im harmonischen Dreiklang ertönte das gleichmäßige, ruhige Gebet hinaus in die Nacht: „… gebenedeit ist die Frucht deines Leibes, Jesus, den du, o Jungfrau, geboren hast.“ Deutlich waren zu unterscheiden die frischen, hellen Stimmen der Kinder, der milde, tiefere Alt der Frauen, der Bass der Männer, und in den letzteren mischte sich auch des Müllers Stimme.

Die zweite heilige Messe war zu Ende; die dritte begann. Wieder wechselten die drinnen Stehenden mit denen, die außen waren, die Plätze, und wieder zupfte den schwarzen Müller seine Nachbarin und bat gar sorglich: „Aber Müller, Ihr müsst ja anfrieren hier draußen, kommt doch mit herein!“

Dieser jedoch lachte sie aus und sagte: „Keine Sorge, Nachbarin; ich steh` am besten hier draußen, `s dauert ja nimmer so lang.“

Und so stand er die dritte halbe Stunde im Schnee und hörte ruhig zu, wie der Lehrer drinnen vorbetete, und stimmte auch in die Litanei vom heiligsten Namen Jesus ein, dem Jesuskind zu Ehren, und sprach jedesmal das „Erbarme dich unser!“ mit.

Die letzte heilige Messe war zu Ende, und während der Geistliche drinnen seine Danksagung machte, standen die Leute draußen noch beisammen und plauderten. Endlich kam er heraus, gab diesem und jenem die Hand und sprach einige Worte mit den Bekannten. Ein heller Freudenstrahl der Überraschung zeigte sich in seinem Gesicht, als er auch den Müller hier erblickte.

„Heute heißt`s wahrhaft: ‚Weihnachten im Schnee‘, Müller“, rief er ihm freundlich zu; „das ist einmal ein rechter Christtagsmorgen!“

„Freilich, freilich, Herr Kaplan“, sagte der, „es wird aber dann auch heißen ‚Ostern im Klee‘!“ –

„Behüt Gott, Herr Müller, gute Feiertage!“

„Behüt Gott, Herr Kaplan!“

Eine Stunde später fuhr der Schlitten mit dem Kaplan wieder fort.

Es war fünfhalb Monate später, die letzten Tage der österlichen Zeit, da wandelte der Kaplan langsam und einsam einen Fußweg dahin. Rechts und links lagen die Äcker prächtig grün „angeflogen“ weit hingestreckt. Lerchensang und Sonnenschein verklärten das stille Frühlingsbild. Der Kaplan überdachte eine Leichenpredigt auf morgen, die Leichenpredigt des Müllers.

Ungeahnt hatte den großen, kräftigen Mann ein verzehrendes Fieber erfasst, und nach kurzer Zeit hatte alle Hoffnung auf Genesung ein Ende. Der Kranke selbst verlangte auf einmal den Geistlichen. Seine ungläubigen Freunde widerrieten ihm und spotteten; seine eigenen Verwandten meinten, es pressiere nicht – der Müller blieb standhaft, söhnte sich mit Gott aus, war im Frieden gestern gestorben, und morgen sollte er begraben werden.

Sinnend stand der Kaplan an dem Rain eines Kleeackers; das saftige Grün lag prächtig da.

„So nachdenklich, Herr Kaplan?“ sprach in seiner Nähe eine wohlklingende Stimme. Es war der Lehrer des Filials, der des Weges daher kam.

„ich erinnere mich eben des letzten Weihnachtsmorgens“, war die Antwort, „da sagte ich: ‚Weihnachten im Schnee‘ – und der Müller selig: ‚Ostern im Klee‘. Morgen liegt er in der Erde unter dem Klee. Wer sich das so gedacht hätte!“

„Möge er im Frieden ruhen! Mich erbarmt`s jetzt noch, wenn ich daran denke, wie er in der heiligen Nacht im Schnee stand bis an die Knöchel und zitterte und es aushielt bis zum Schluss der dritten Messe.“

„Und glauben Sie nicht“, war die Antwort, daß das Christkind mit noch viel größerem Erbarmen ihn angesehen hat?“

Am andern Tag wurde der Müller beerdigt; der Kaplan hielt „die Leiche“, und alle Leute sagten, der gute Tod des Beerdigten sei eine Belohnung jener Christnacht im Schnee. –
aus: Konrad Kümmel, An Gottes Hand, Zweites Bändchen: Weihnachts- und Neujahrsbilder, 1916, S. 29 – S. 33

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Bildquellen

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Tags: Katholik

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