Gregor XVI Warnung vor den Irrtümern

Hut, bischöflicher Krummstab, Kleidungsstücke eines Papstes

MIRARI VOS

Rundschreiben Papst Gregors XVI. vom 15. August 1832

Papst Gregor XVI. sitzt in seiner päpstlichen Kleidung auf einem verzierten Stuhl, die Arme auf den Stuhllehnen; er schaut ernst aus.

Warnung vor den Irrtümern der Zeit

Auszüge

Ruf zur Wachsamkeit

Es ist ja Unsere Pflicht, die Stimme laut zu erheben und alles zu wagen, auf daß nicht ein wilder Eber den Weinberg verwüste, auf daß nicht die Wölfe die Herde töten. Unsere Aufgabe ist es, die Schafe nur auf jene Weideplätze zu führen, die ihnen heilsam sind und in keiner Weise heimliche Verderbnis bergen. Es sei fern von Uns, Vielgeliebte, daß, während so viele Übel drücken, so viele Gefahren lauern, die Hirten ihre Aufgabe vernachlässigen und von Furcht getrieben, ihre Schafe im Stiche lassen oder ohne sich um die Herde zu kümmern, müßig und mutlos dahinleben. Arbeiten wir also in geistiger Geschlossenheit an Unserer gemeinsamen — oder besser an Gottes — Sache und laßt Uns für das Heil des ganzen Volkes gegen die gemeinsamen Feinde in voller Eintracht wachen und kämpfen.

I. Wichtige Stellungen im drohenden Kampf

Glaube an die Kirche als göttliche Stiftung

Unrecht wäre es also und unvereinbar mit jener Ehrfurcht, mit der die Gesetze der Kirche aufzunehmen sind, wenn jemand aus dünkelhafter Meinungswillkür, die Kirchenordnung ablehnend beurteilen wollte, in der die Spendung der Sakramente, das Sittengesetz, die Ordnung des Kirchenrechtes und ihrer Diener enthalten ist, oder wenn man sagte, sie widerspreche gewissen Grundsätzen der Schöpfungsrechte, sie sei verstümmelt und unvollkommen und gar der staatlichen Gewalt unterworfen.

Die Kirche ist ja, um uns der Worte der Tridentinischen Väter zu bedienen, von Jesus Christus und seinen Aposteln unterrichtet worden und wird vom Heiligen Geiste belehrt, der sie in alle Wahrheit fortwährend einführt (Konzil von Trient, Sess. XIII, Mansi XXXIII; vgl. Denzinger n. 874). Daher wäre es völlig unsinnig und für sie höchst beleidigend, von einer Erneuerung und Wiederbelebung zu sprechen, die nötig wäre, um ihren Bestand und ihr Wachstum sicherzustellen, als ob man sie dem Untergange, der Verdunkelung oder anderen derartigen Mängeln ausgesetzt glaubte. Mit solchen Bestrebungen zielen die Neuerer darauf hin, die Grundlagen zu einer neuen, rein menschlichen Einrichtung zu legen und eben das zu erreichen, was Cyprian verabscheut: nämlich die Kirche, die ein göttlich Ding ist, zu einer menschlichen Sache werden zu lassen. Die solches planen, mögen erwägen, daß nach dem Zeugnis des hl. Leo dem Römischen Papste allein die Bestimmung der Kirchenregeln zusteht, daß es nur ihm gegeben ist, und nicht einem beliebigen Menschen, irgend etwas über die Regeln der väterlichen Einrichtungen zu beschließen, und wie der hl. Gelasius (GELASIUS, Brief an die Bischöfe von Lukanien, PL LIX 47) schreibt, die Bestimmungen des Kirchenrechtes abzuwägen und die Vorschriften anzupassen, damit das, was die Notwendigkeit der Zeit für die Wiederherstellung der Kirchen zu beseitigen drängt, nach reiflicher Überlegung gemildert werde.

Eheloses Priestertum

Wach möchten Wir auch Euren Glaubenseifer wissen im Kampfe mit jener überaus schändlichen Verschwörung gegen die priesterliche Ehelosigkeit. Ihr wißt, daß sie immer gehässiger wird. Mit den verderblichsten Philosophen unserer Zeit machen da sogar nicht wenige aus dem geistlichen Stande selbst gemeinsame Sache. Vergessend ihrer geheiligten Person und ihrer Würde, fortgerissen von den Lockungen der Weltlüste, gingen sie so weit, daß sie an einigen Orten es wagten, öffentliche und wiederholte Begehren an die Staatslenker zu richten, um jene heiligste Zucht zu brechen. Aber es ist Uns zuwider, Euch lange über diese schmählichsten Versuche hinzuhalten. Wir stellen es lieber mit Vertrauen Eurem Glaubenseifer anheim, nach den Vorschriften der heiligen Kirche alle Kräfte aufzuwenden, damit dieses so wichtige Gesetz, gegen das sich von überallher die Pfeile der Lüsternen richten, unversehrt erhalten, beschützt und verteidigt werde.

Christliche Ehe

Auch die ehrwürdige Ehe der Christen, welche Paulus ein großes Heiligungsmittel in Christus genannt hat (Vgl. Hebr. XIII 4), ruft eindringlich nach Unserer gemeinsamen Sorge, damit nichts Unrechtes gegen ihre Heiligkeit oder Untrennbarkeit gedacht oder zu unternehmen versucht werde. Nachdrücklich hat dies schon Unser Vorgänger seligen Angedenkens, Pius VIII., in einem Rundschreiben empfohlen. Immer noch erheben sich unheilvolle Anschläge gegen sie. Eifrig sind die Völker darüber zu belehren, daß die einmal gültig geschlossene Ehe nicht mehr getrennt werden kann, daß Gott den durch das Eheband Geeinten dauernde Lebensgemeinschaft vorgeschrieben hat, daß dieser Lebensbund nur durch den Tod gelöst werden könne. Sie mögen sich bewußt werden, daß die Ehe zu den heiligen Dingen gehört, und deshalb der Kirche untersteht. Sie mögen sich die kirchlichen Ehegesetze vor Augen halten und ihnen heilig, ernst und genau gehorchen. Denn von ihrer Erfüllung hängt die Innigkeit, die Kraft und rechte Gemeinschaft des Ehelebens ab. Sie sollen sich davor hüten, aus irgend einem Grund je etwas zuzulassen, was den Bestimmungen des heiligen Kirchenrechtes und den Beschlüssen der Kirchenversammlungen widerspricht, wohl wissend, daß jene Ehen ein unglückliches Ende haben, die der kirchlichen Zucht zuwider, ohne Anrufung Gottes, aus bloßer Leidenschaft geschlossen werden, ohne daß die Brautleute irgendwie an das Heiligungsmittel und die in ihm versinnbildeten Geheimnisse denken.

II. Gefährliche Strömungen

Gleichgültigkeit im Glaubensbekenntnis

Nun kommen Wir zu einem weiteren überreichlichen Quell von Übeln, unter denen leider die Kirche heute so schwer leidet. Wir meinen die Gleichgültigkeit, den Indifferentismus, jene verkehrte Ansicht, welche die Schlauheit der Bösen überallhin verbreitet hat, man könne durch jedes beliebige Glaubensbekenntnis das ewige Heil erlangen, wenn nur das sittliche Leben nach der Regel des Rechten und Anständigen ausgerichtet werde. Doch werdet Ihr mit Leichtigkeit in einer so klaren und eindeutigen Sache diesen äußerst verderblichen Irrtum von den Völkern fernhalten, die Eurer Sorge anvertraut sind. Der Apostel (Vgl. Ephes. IV 5) lehrt ja, es gebe nur einen Gott, einen Glauben, eine Taufe, Zurückschrecken sollen jene, die da behaupten, jedes Glaubensbekenntnis eröffne gleicherweise den Weg zur Pforte der Seligkeit, und sie sollen gemäß dem Zeugnisworte des Erlösers bedenken, daß gegen Christus ist, wer nicht mit Christus ist (Vgl. Luk. XI 23), daß unheilvoll zerstreut, wer nicht mit ihm sammelt, daß ohne Zweifel ewig verloren geht, wer nicht am katholischen Glauben festhält und ihn unversehrt und unverletzt bewahrt (Vgl. Glaubensbekenntnis des hl. Athanasius). Mögen sie Hieronymus hören, der zur Zeit, als die Kirche durch Glaubensspaltung in drei Teile zerrissen war, jedem, der ihn auf seine Seite bringen wollte — so erzählt er —, in fester Entschlossenheit unermüdlich zugerufen hat: «Wer mit dem Stuhle Petri verbunden ist, der ist mein.» (HIERONYMUS, Brief LVII, PL XXII 647) Fälschlich aber würde sie jemand damit betören, der sagte, auch er sei im Wasser wiedergeboren. Ihm würde das Wort des hl. Augustinus gerade recht als Antwort gelten: «Dasselbe Aussehen hat auch eine Rebe, die vom Weinstock abgeschnitten ist: aber was nützt ihr das Aussehen, wenn sie nicht von der Wurzel lebt ?» (AUGUSTINUS, Zu den Psalmen, gegen die Donatisten, PL XLIII 23)

Freiheit des Gewissens und der Presse

Aus der Quelle dieser verderblichen Gleichgültigkeit fließt jene törichte und irrige Meinung — oder noch besser jener Wahnsinn, es solle für jeden die Freiheit des Gewissens verkündet und erkämpft werden. Diesem seuchenartigen Irrtum bereitet den Weg jene übervolle und maßlose Freiheit der Meinungen, welche zum Schaden der kirchlichen und bürgerlichen Sache sich weit herum verbreitet. Dabei gibt es manche, die mit größter Unverschämtheit behaupten, daß die Religion aus ihr gewisse Vorteile ziehe. Aber welch schlimmeren Tod kann es für die «Seele geben als die Freiheit des Irrtums?», so sagte Augustinus (AUGUSTINUS, Brief CLXVI, PL XXXIII 720). Denn wenn der Zügel zerbrochen ist, mit dem die Menschen auf den Pfaden der Wahrheit gehalten werden, dann stürzt ihre ohnehin zum Bösen geneigte Natur rasend schnell in den Abgrund, und wir sehen wahrhaftig den Höllenpfuhl offen, aus dem Johannes (Vgl. Apok. IX 3) den Rauch aufsteigen sah, durch den die Sonne verfinstert ward und aus welchem Heuschrecken hervorgingen und sich über die ganze Erde verbreiteten. Denn aus jenem Irrtum kommen die Gesinnungsumschläge, aus ihm die immer größere Verderbnis der Jugend, aus ihm geht ins Volk die Verachtung der Heiligtümer und der heiligsten Dinge und Gesetze, aus ihm fließt mit einem Wort eine Seuche, die für das öffentliche Leben todbringender ist als jede andere. Denn die Erfahrung bezeugt es und seit uralter Zeit weiß man es: Staatswesen, die in Reichtum, Macht und Ruhm blühten, fielen durch dieses eine Übel erbärmlich zusammen, nämlich durch zügellose Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Neuerungssucht.

Verderbliche Gesellschaften

Zu den übrigen bitterbösen Dingen, die Uns Sorge machen und in der gemeinsamen Gefahr mit besonderem Schmerz bedrücken, kommen hinzu gewisse Gesellschaften und ständige Zusammenkünfte, die sich in eins zusammen tun mit den Anhängern jedweden auch falschen Glaubens und Bekenntnisses, die vor der Religion Ehrfurcht heucheln, in Wirklichkeit aber überall Neuerungen und Aufruhr-Bewegungen zu entfachen suchen. Und zu diesem Zwecke reden sie von Freiheiten aller Art, stiften Verwirrungen in geistlichen und weltlichen Dingen, unterwühlen jegliche Obrigkeit.

aus: Emil Marmy, Mensch und Gemeinschaft in christlicher Schau, Dokumente, 1945, S. 15-31

Gesamter Text der Enzyklika: MIRARI VOS Warnung vor den Irrtümern der Zeit

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