Viertes Tagewerk Die Himmelslichter
(Gen. 1, 14-19)
Viertes Tagewerk. (V. 14-19) „Gott sprach: Es sollen Lichter (1) werden am Firmament des Himmels und Tag und Nacht scheiden (2) und zu Zeichen und zu Zeiten und zu Tagen und zu Jahren sein (d. h. dienen), damit sie leuchten am Firmament des Himmels und die Erde erhellen. Und es geschah so.“
Die Himmelskörper als Schmuck des Firmaments und in ihrer Bedeutung für die Erde und den Menschen bilden den Gegenstand des vierten Tagewerkes. Außer der bereits zu V. 3-4 erläuterten Bestimmung, „Tag und Nacht zu scheiden“, wird ihr Verhältnis zur Erde dahin bestimmt, daß sie sein sollen „zu Zeichen“, aus denen man die für die Erde wichtigen natürlichen Vorgänge erkennen und bis zu einem gewissen Grade im voraus berechnen kann, z. B. Witterung, Kälte, Nässe, Stürme, Überschwemmungen u. a. zu Zeiten (3) aber, d. h. zur Festsetzung der Zeiten, dienen sie, sofern sie durch ihre verschiedene Stellung am Himmel verschiedene natürliche Verhältnisse bewirken und anzeigen, so die Jahreszeiten, die Zeit der Aussaat und Ernte, der Blüten und der Früchte, die Wanderung der Tiere, sowie vieler natürlichen Vorgänge im Leben der Tiere und teilweise auch der Menschen. Nach ihnen kann der Mensch auch die günstigen Zeitpunkte für manche seiner Unternehmungen berechnen, so für den Feldbau, die Schiffahrt usw. Auch die Festzeiten werden nach dem Laufe und der Stellung der Gestirne bestimmt, so die Sabbate, Neumonde, das Oster- und Pfingstfest, Neujahr usw. Endlich sollen die Gestirne auch zu Tagen und zu Jahren sein, d. h. dem Menschen zur astronomischen Zeiteinteilung dienen.
Auch für übernatürliche Dinge dienen zuweilen die Gestirne (sowie auch andere Geschöpfe) zu Zeichen, aber nur ausnahmsweise und wunderbar, so daß daraus das unmittelbare Eingreifen des Herrn der Natur ersichtlich ist; z. B. das Erscheinen des Sterns bei der Geburt, die Sonnenfinsternis beim Tode des Heilandes. Darum ist die Behauptung der Astrologen oder Sterndeuter, daß die Schicksale der Menschen durch die Sterne bestimmt seien, von den heiligen Vätern und von der Kirche stets als unwahr und gottlos verworfen worden. (4) Die Astrologie und der Sternendienst samt allem Aberglauben, der damit zusammen hing, ist auch schon durch Moses (5) auf das strengste verboten.
„Und Gott machte die zwei großen Lichter (6), das größere Licht, damit es den Tag beherrsche, und das kleinere Licht (7), damit es die Nacht beherrsche (8), – und die Sterne. Und er setzte sie an das Firmament des Himmels (9), damit sie auf die Erde herab leuchten, und den Tag und die Nacht beherrschen, und Licht und Finsternis scheiden. Und Gott sah, daß es gut war. Und es ward Abend und Morgen, der vierte Tag.“ (10) Wie eine Königin steht die Sonne am Himmel. Wenn sie erscheint, bricht der Tag an, und wenn sie verschwindet, wird es Nacht. Ähnlich strahlt der Mond am nächtlichen Himmel, wie ein König unter den Gestirnen, wie ihr Führer und Herrscher. Die Sterne aber zieren in wunderbarer Schönheit das Firmament; sie leuchten überaus freundlich auf die Erde hernieder, wenn auch ihr Licht selbst zur Erhellung der Erde fast nichts beiträgt. „Keine Wiese und kein Garten“, sagt der hl. Chrysostomus (11), „ist so lieblich anzuschauen als mitten in der Nacht der gestirnte Himmel, wenn er mit der Mannigfaltigkeit der Sterne wie mit Blumen übersät und geschmückt ist.“
Die Menge dieser Himmelskörper ist unzählbar, ihre Größe und Mannigfaltigkeit ist staunenswert, ihre Harmonie bewundernswürdig: Gott aber kennt sie alle, ruft sie alle bei Namen und führt sie ihre Bahnen. (12) Er hat sie alle erschaffen, jedem seinen eigentümlichen Glanz (13) verliehen, jedem seine Bestimmung zugewiesen; er ist ihr ewiger Herr und Gebieter. In hoch poetischer Schilderung läßt der Verfasser des Buches Job (38, 7) bei der Erschaffung die Morgensterne in Jubel ausbrechen und alle Gottessöhne (Engel) jauchzen, d. h. Gottes Größe und Herrlichkeit preisen. Auch dem Menschen soll das Werk des vierten Tages Gottes Größe und Liebe verkünden. (14)
Welch ein herrliches Werk Gottes, auch wenn es nur oberflächlich angeschaut wird! Mit staunender Bewunderung und Anbetung betrachtet der königliche Sänger das von Gottes Hand gezierte Himmelsgewölbe, und seine Gestirne erscheinen ihm als ebenso viele Verkünder der Herrlichkeit Gottes: „Der Himmel erzählt die Herrlichkeit Gottes, und was seine Hände wirken, verkündet das Firmament.“ (15) Insbesondere aber bewundert er das Gestirn des Tages, die Sonne, die ist „wie ein Bräutigam, der (geschmückt) hervor tritt aus seinem Gemach, frohlockend wie ein Riese, ihre Bahn zu laufen; am fernsten Himmelsende ist ihr Ausgang, und ihre Rückkehr ist an des Himmels Ende, und keiner ist, der vor ihrer Glut sich berge“. Ihr Glanz und ihre Schönheit und ihr segensreicher Einfluß auf die ganze Natur erinnert alsbald den heiligen Sänger an eine andere viel herrlichere Sonne am geistigen Himmel, die in allen Geistern und Herzen Leben und Wärme verbreitet: „Das Gesetz des Herrn ist makellos, die Seele erquickend“; und er beweint, wenn er, selbst unbewußt, nicht immer die Schönheit dieses himmlischen Lichtes gewürdigt, nicht immer sein Herz den Strahlen desselben geöffnet. (16)
Nicht minder ward er in stillen Nächten durch Betrachtung des gestirnten Himmels zur Anbetung Gottes hingerissen: „Herr, unser Gott, wie wunderbar ist dein Name auf der ganzen Erde! Denn deine Herrlichkeit ist ausgebreitet am (ganzen) Himmel hin (so daß selbst Kinder und Säuglinge sie erkennen und ihrem freudigen Staunen Ausdruck geben) … Ich sehe seinen Himmel, das Werk deiner Hände, den Mond und die Sterne, die du geschaffen.“ (17) Aber auch hier wendet er den Blich sogleich wieder dem inneren Geistesleben zu und gedenkt des Menschen, der diesen Werken Gottes gegenüber so klein erscheint und doch so groß ist, daß er dies alles zu erkennen und zu verstehen vermag, ja so groß, daß Gott das alles für ihn gemacht, damit er die Größe seines Gottes daraus erkenne, ihn anbete und liebe (18): „Was ist der Mensch, daß du sein gedenkst, oder des Menschen Sohn, daß du ihn heimsuchest? Du hast ihn nur wenig unter die Engel erniedrigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn gekrönt und ihn gesetzt über die Werke deiner Hände.“
(1) Licht heißt hier im Hebräischen ma-ôr, soviel als Lichtort, Lichtquelle, Lichtkörper, – im Unterschiede von der Erscheinung oder dem Element des Lichtes in V. 1, welches ôr, Licht, genannt ist.
(2) D. h. unterschiedlich leuchten, das eine bei Tag, das andere bei Nacht.
(3) Das hebräische Wort môed bezeichnet jeden bestimmten Zeitraum, von jaad, anberaumen, festsetzen. Die Gestirne sollen also dienen zur Regelung bestimmter Zeiträume, sei es für das bürgerliche, sei es für das religiöse Leben.
(4) S. Aug., De Gen. ad lit. 1. 2, c. 14 und 17.
(5) Lv. 19, 26; Dt. 18, 9-12; vgl. 4, 19; 17, 3; auch Sir. 43, 1-11; Weish. 13,2f.
(6) Groß, sofern sie, von der Erde aus gesehen, weit größer als alle übrigen erscheinen und auch für die Erde weitaus die wichtigsten sind. Vgl. S. Chrysost., In Gen. hom. 6, n. 3 4; S. Aug., De Gen. ad lit. 1. 2, c. 16.)
(7) Die Sonne scheint nicht viel größer zu sein als der Mond; in Wirklichkeit gäbe ihre Masse Stoff für über 25 Millionen Körper von der Größe des Mondes.
(8) Gewissermaßen soll die Sonne die Königin des Tages, der Mond der König der Nacht sein. Zwar bewirkt der Mond nicht die Nacht, wie die Sonne den Tag bewirkt, ja er steht auch zu Zeiten bei Tag am Himmel und erscheint dann nicht oder nur eine kürzere Zeit während der Nacht; aber wenn er nachts leuchtet, so ist er in der Nacht, was die Sonne am Tage ist.
(9) Das heißt nicht: „Er befestigte sie dort“, sondern: „Er befahl, daß sie dort seien“, ähnlich wie nachher von Adam gesagt ist: „Gott versetzte ihn in das Paradies.“ (S. Chrysost., In Gen. hom. 6, n. 5.)
(10) V. 16-19
(11) In gen. Hom. 6, n. 5.
(12) Gn. 15, 5; Is. 40, 26; Jb. 9, 7; 38, 31 ff.
(13) Vgl. hierzu 1. Kor. 15, 14ff, wo der hl. Paulus die verschiedene Schönheit der Leiber der Auserwählten bei der Auferstehung mit dem verschiedenen Glanz der Gestirne vergleicht.
(14) Dt. 4, 19; Is. 45, 7; Röm. 1, 20; S. Chrysost., In Gen. Hom. 6, n. 5f.
(15) Ps. 18, 2. Daher dient er dem Apostel als Bild der Verkündiger des Evangeliums, deren Botschaft an die ganze Erde ergeht (Röm. 10, 18).
(16) Ps. 18, 6-8f.
(17) Ps. 8, 2 5ff.
(18) Vgl. die schöne Ermahnung bei dem hl. Chrysostomus (In Gen. Hom. 6, n. 6). –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 126 – S. 129