Genesis Drittes Tagewerk Land und Meer
(Gen. 1, 9-13)
Drittes Tagewerk. (V. 9-13) „Gott sprach: Es sammle sich das Wasser, das unter dem Himmel ist, an einem Orte (1), und es erscheine das Trockene. Und es geschah so. Und Gott nannte das Trockene Erde (Land), und die Sammlung der Wasser nannte er Meer. Und Gott sah, daß es gut war.“ (2)
Nicht der Prozeß, infolge dessen die Erdoberfläche ihre jetzige Gestalt erhielt, wird geschildert – sonst müßte von bedeutenden Hebungen und Senkungen u. dgl. die Rede sein -, sondern Wasser und Land, wie sie der Anschauung sich darstellen, bilden den Ausgangspunkt der Schilderung. Die Worte wollen besagen, daß die Scheidung der beiden Bestandteile der Erdoberfläche bewirkt ist durch einen göttlichen Schöpfungsakt, und daß die beiden geschiedenen Teile in der menschlichen Sprache durch „trockenes Land“ und „Meer“ bezeichnet werden. Gott ist es, der bestimmte, daß aus dem fast unergründlich tiefen Meer das Land sich erhebe; er ist es, der das Maß dieser Erhebung festsetzte, das Verhältnis von Land und Meer ordnete, von welchem der nötige Kreislauf von Feuchtigkeit auf Erden, das Fließen von Quellen und Flüssen und damit das Gedeihen der Pflanzen und Tiere, sowie das Leben und die mannigfache Tätigkeit des Menschen wesentlich bedingt ist.
Im vierten Tagewerk sind, wenn man so sagen will, alle sog. geologischen Umwälzungen der Erdrinde, alle Schichtenbildungen und deren Veränderungen, Zerklüftungen, Spaltungen, Aufrichtungen, Überstürzungen usw. eingeschlossen. Aber die Heilige Schrift deutet sie mit keiner Silbe an und darum hat sich die Erklärung der biblischen Geschichte auch nicht im einzelnen damit zu befassen. Ihr genügt die Erwägung: Welch eine reiche Mannigfaltigkeit der Bodenverhältnisse, sowie des Tier- und Pflanzenlebens ist dadurch bedingt! Wie wirksam ist dadurch, die Einförmigkeit des Erdbodens aufgehoben und dem Menschen der Schauplatz seiner Tätigkeit so lieblich und großartig, so ernst und so freundlich, so anregend und so abwechselnd gemacht, in Berg und Tal, in Hügeln und Hochgebirgen, in sanften Ebenen und schroffen Felsen, stillen Seen und rauschenden Wasserfällen! Selbst der Schoß der Erde ist ihm durch die Aufrichtung der Erdschichten bis zu Tiefen erschlossen, in die er niemals hinab zu dringen vermocht hätte, und bietet ihm die schätze dar, die seit Beginn der Schöpfung ihm darin nieder gelegt worden. Wie kann hier die weise und liebevolle Vorsehung und Fürsorge desjenigen verkennen, der den Menschen zum Herrn der Erde gemacht hat?
Gar schön wird das alles von den heiligen Dichtern besungen: „Wer verschloß mit Toren das Meer, da er hervorbrach wie aus dem Mutterschoße, als ich ihm Wolken gab zum Kleid und es in Dunkel hüllte, wie in der Kindheit Windeln? Mit meinen Schranken umgab ich es und setzte Riegel ihm und Tore und sprach: Bis hierher sollst du kommen und nicht weiter gehen, hier brechen deiner Wogen Schwall.“ (3) – „Der Abgrund (d. h. das unergründliche Meer) war der Erde Hülle, wie ein Kleid; auf den bergen standen die Gewässer (am Anfang, als sie noch alles bedeckten). Vor deinem Schelten flohen sie, erschraken vor deines Donners Stimme. Da stiegen empor die Berge und senkten sich die Täler, an den Ort, den du ihnen gegründet. Eine Grenze setzest du, die sie nicht überschreiten; und sie werden nicht wieder die Erde bedecken. Du lässest die Quellen sprudeln in den Tälern, daß zwischen den Gebirgen die Wasser fließen. Davon trinken alle Tiere des Feldes; danach verlangt das Wild in seinem Durst. An ihnen wohnen die Vögel des Himmels; aus den Felsen lassen sie hören ihre Stimmen. Du bewässerst von oben her die Berge, von der Frucht deiner Werke wird übervoll die Erde. Du lässest Gras wachsen für das Vieh und Kraut zum Dienst der Menschen, daß du Brot hervor bringst aus der Erde, und der Wein des Menschen Herz erfreue; daß man mit Öl das Antlitz erfrische und Brot stärke des Menschen Herz. Ersättigt werden die Bäume des Feldes, die Zedern des Libanon, die er gepflanzt.“ (4)
Die Scheidung von Wasser und Land ist die Vorbedingung für die Vegetation des letzteren. Die Pflanzen selbst gehören aber, weil sie in der Erde wurzeln und zu ihrer Erzeugung die in die Erde gelegten allgemeinen Kräfte der Elemente genügen, nicht zum Schmuck, sondern zur Vollendung der Erde; ihre Erschaffung wird deshalb mit der Scheidung von Wasser und Land in ein Werk zusammen gefaßt (Thomas von Aquin): „Es sprosse die Erde hervor Gras, das grünt und Samen bringt, und Fruchtbäume, die Früchte tragen nach ihren Arten, in denen ihr Same sei (5), über die Erde hin. (6) Und es geschah so. Und die Erde brachte Gras hervor, das grünt und Samen trägt nach seiner Art, und Bäume, die Frucht tragen, die alle ihren Samen haben nach ihren Arten. Und Gott sah, daß es gut war. Und es ward Abend und Morgen, der dritte Tag.“ (7) – Damit wird die Entstehung aller Pflanzen auf den Schöpferwillen Gottes zurück geführt. Er hat die ersten Pflanzen ins Dasein gerufen; er auch hat ihnen die Kraft mitgeteilt, sich in ihren Arten fortzupflanzen. Ohne diesen Schöpferwillen Gottes hätten aus der toten Erde nie und nimmer Pflanzen hervor keimen (8), nie und nimmer dieser reiche Schmuck der Erdoberfläche entstehen können.
Die häufig gestellte Frage, wie doch die Erschaffung der Pflanzen der Sonne voraus gehen könne, erledigt sich nach dem Bisherigen von selbst. Der hl. Chrysostomus weist darauf hin, daß die Pflanzen nicht etwa der Sonne, wie manche behaupten, sondern einzig Gottes allmächtigem Wort ihr Dasein verdanken, und knüpft daran die Mahnung: Daraus sollen wir lernen, daß auch jetzt noch weder die Sorgfalt, noch die Mühe, noch die andern Beschwerden der Ackersleute uns die Früchte der Erde geben, sondern vor allem das WortGottes, das im Anbeginn an die Erde erging. Wenn darum die Menschen auch alles tun und Tiere und Elemente und Temperatur zur Hilfe haben, so wird doch alles nichts helfen, wenn nicht Gottes Wille und Segen dazu kommt: und nichts wird alle Mühe und aller Schweiß nützen, wenn nicht die Hand des Herrn von oben hilft und diesen Dingen den Erfolg erteilt. Wen sollte nicht Staunen und Bewunderung ergreifen, wenn er bedenkt, wie jenes Wort Gottes: „Die Erde bringe hervor usw.“ in die Tiefen der Erde hinab steigt und gleichsam wie mit einem wunderbar kostbaren Gewande das Angesicht der Erde mit mannigfachem Blumenschmuck ziert. (9)
Anmerkungen:
(1) An einem Orte, d. h. je an den zu seiner Aufnahme bestimmten Orten, in den dafür sich bildenden Meeresbecken; daher ist gleich darauf in der Mehrzahl von Sammlungen der Wasser, von Meeren, die Rede.
(2) V. 9 u. 10.
(3) Jb. 38, 8-11.
(4) Ps. 103, 6-16.
(5) Die hebräischen Ausdrücke lassen drei Klassen von Pflanzen unterscheiden: das Grün, d. h. Das Gras und alle grasartigen Gewächse, welche die Wiesen und Weiden bedecken und den grünen und blumigen Teppich der Erde bilden; ferner Samen tragendes Kraut, d. h. Gemüse, Getreidearten, Gesträuche, Stauden u. dgl.; endlich Fruchtbäume, die Samen tragende Frucht haben. – Dem zwecke der Heiligen Schrift liegt es fern, hiermit eine „wissenschaftliche“ Pflanzeneinteilung geben zu wollen; sie will nur die Entstehung aller als das Werk der göttlichen Allmacht darstellen.
(6) Über die ganze Erde hin soll sich dies Schöpferwort vollziehen.
(7) V. 11-13.
(8) Der hl. Augustin ist der Meinung, daß Gott an diesem dritten Tage die Samen- und Keimbedingungen der Pflanzen erschaffen und der Erde die Kraft erteilt habe, dieselben nachher unter dem Einfluß der Sonne zu entfalten.
(9) In Gen. hom. 6, n. 4. –
aus: Schuster/Holzammer, Handbuch der Biblischen Geschichte, Bd. I, Altes Testament, 1910, S. 123 – S. 126