Kampf zweier Kulturauffassungen

Ein Porträt des großen spanischen Staatsmannes und Philosophen Donoso Cortes: er sitzt seitlich, den Kopf zum Betrachter gewendet, edel gekleidet sowie mit Auszeichnungen geschmückt

Die Apokalyptik Donoso Cortés (1809-1853)

Teil 1

Der Kampf zweier Kulturauffassungen

Das Schicksal der Menschheit ist in ein tiefes Geheimnis gehüllt. Zwei Erklärungen – es sind Erklärungen, die sich diametral gegenüber stehen – haben versucht, dieses Geheimnis zu deuten. Die eine dieser Erklärungen verdankt ihr Entstehen dem Katholizismus, die andere – der (ungläubigen) Philosophie. Aber zwischen diesen beiden programmatischen Formulierungen gähnt ein unüberbrückbarer Abgrund, klafft ein unversöhnlicher Widerspruch. Alle Bemühungen, einen Ausgleich zwischen ihnen herbei zu führen, sind bis heute ergebnislos geblieben und werden auch weiterhin ergebnislos bleiben.

In dem einen dieser Systeme verkörpert sich die Wahrheit, in dem anderen der Irrtum. Das eine ist das Böse schlechthin, das andere – das Gute in idealer Vollendung. Jetzt ist der Augenblick gekommen, wo es gilt, zwischen diesen beiden Systemen eine klare und endgültige Entscheidung zu fällen, d.h. das eine dieser Systeme anzunehmen und zu bekennen – ohne abschwächende Kompromisse und mit allen Konsequenzen, die dazu gehören – und das andere ebenso klar und ebenso energisch abzulehnen und zu verurteilen. Wer heute noch Gefallen daran findet, zwischen diesen beiden Systemen hin und her zu schwanken, wer sich damit begnügt, von dem einen dieser Systeme nur die Voraussetzungen und von dem anderen etwa nur die Schlussfolgerungen anzunehmen, wer also Lust hat, das Beispiel der Eklektiker nachzuahmen, der steht außerhalb der Kategorie der großen Intelligenzen und ist ewig dazu verurteilt, sich einem System der absoluten Sinnlosigkeit zu verschreiben. Das Kulturprogramm des Katholizismus ist das Gute ohne Beimischung des Bösen, und das Kulturprogramm der (ungläubigen) Philosophie ist das Böse ohne Beimischung des Guten.

Der Katholizismus lehrt, daß die Natur des Menschen schwach und krank ist, daß sie wegen ihrer Abstammung vom ersten gefallenen Menschen in ihrer Wurzel, d.h. In ihrem Wesen und in all den Elementen, die das Wesentliche bedingen, erkrankt und geschwächt ist. Daher ist der Verstand (nach katholischer Lehre) nicht imstande, die Wahrheit (in ihrer ganzen Fülle) zu erkennen und ihre Geheimnisse (bis in ihre letzten Tiefen) aufzuspüren. Ebenso wenig ist der menschliche Wille imstande, das Gute (als totale Lebenspflicht) zu wollen und zu vollbringen, es sei denn, daß er darin von einer höheren Macht unterstützt wird… Ebenso wenig ist der menschliche Wille imstande, das Gute zu wollen und in die Tat umzusetzen, wenn er sich nicht von Gott und seiner helfenden Gnade unterstützen läßt. Wenn aber der Wille aufhört, die Stimme der Kirche zu vernehmen, dann sind dem Irrtum und dem Bösen auf dieser Welt überhaupt keine Grenzen mehr gezogen.

Welchem dieser Systeme wird der Endsieg sein? … Es ist die Schule der oben bezeichneten Philosophen, die den Sieg davon tragen wird… Damit ist eine sehr ernste Frage aufgerollt, eine Frage, die uns zwingt, die Aussichten des Riesenkampfes, wie er z. Z. zwischen Gut und Böse oder, wie der hl. Augustinus sagen würde, zwischen dem Staat Gottes und dem Staat dieser Welt ausgefochten wird, einer sehr sorgfältigen Betrachtung zu unterziehen, d.h. sie vor allem im wahren Geist der katholischen Kirche zu prüfen und zu beurteilen. Eben deshalb bekenne ich mich zu der sicheren, über alle Zweifel erhabenen Wahrheit, daß hier unten – auf dieser Erde – das Böse die unbestreitbare Gewalt besitzt, zuletzt immer den Sieg über das Gute zu erringen, daß dagegen der Triumph über das Böse Gott selbst vorbehalten ist und, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu seiner unmittelbaren und persönlichen Domäne gehört. –
aus: Donoso Cortés, Untergang oder Wiedergeburt des Abendlandes? Die europäischen Geschichts-Prophetien des großen spanischen Staatsmannes, 1953, S. 20 -S. 23

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