Die satanische Sendung der antichristlichen ‚Apostel‘
Der heilige Johannes lenkt unsere Aufmerksamkeit auf den Doppelcharakter des antichristlichen Geistes, indem er von den schon aufgetretenen Antichristen sagt: „Sie sind aus unserer Mitte hervor gegangen, aber sie gehörten nicht zu uns“ (1. Joh. 2, 19). Bei diesen Worten fällt uns sofort das Gebet Christi ein, das er als Hoherpriester des Neuen Bundes am Vorabend seines Leidens verrichtete und in dem er gleichfalls den Doppelcharakter seiner Apostel hervorhob: die Apostel „sind in der Welt“, aber sie sind „nicht von der Welt“ (Joh. 17, 11-14). Als Vertreter Christi und als Träger seiner Erlösung durch Raum und Zeit bleiben sie in der Mitte des irdischen Daseins und teilen seine Schwere, wie es auch der Heiland selbst getan hat. Die Welt ist das eigentliche Tätigkeitsfeld ihres apostolischen Berufes. Jedoch ihre Sendung und die daraus entstandene geistige Macht (vgl. Mt. 16, 17-18) stammt nicht von der Welt. Die Apostel sind Christus von seinem himmlischen Vater gegeben (vgl. Joh. 17, 6). Ihre Berufung ist nicht ein Ergebnis der menschlichen Natur oder der gesellschaftlichen Aufgaben. Sie ist eine Gnade von oben. Zwar soll sie sich in der Welt entfalten und Früchte bringen, doch ihrem Ursprung und ihrem Wesen nach ist sie etwas Überirdisches und Übernatürliches.
Den gleichen Doppelcharakter haben nun auch die antichristlichen ‚Apostel‘. Die oben angeführten Worte des hl. Johannes deuten darauf hin, daß die existentielle Anwesenheit der antichristlichen Mächte unter den Angehörigen Christi ihren eigentlichen und wahren Ursprung bei weitem nicht erklärt, denn sie gehören zur Gemeinschaft der Heiligen nur soziologisch und juridisch. Räumlich und zeitlich verlassen sie das Reich Gottes ebenso wenig wie die Apostel Christi die Welt. Doch ihre Sendung ist nicht von Gott. Sie sind nicht von Christus berufen und beauftragt. Berufen sind sie aber doch! Die Sendung der antichristlichen ‚Apostel‘ nimmt ihren Ursprung ebenfalls nicht aus der menschlichen Natur oder aus der Gesellschaft. Sie ist auch ein ‚Geschenk‘, eine gewisse ‚Gnade‘. Keine antichristliche Macht ist das Ergebnis rein irdischer Entwicklung. Der Mensch leistet der antichristlichen Sendung nur Folge, die Sendung selbst aber kommt ‚von oben‘. Ein gewisses ‚priesterliches‘ Siegel ruht in jeder antichristlichen Seele.
Die antichristliche Sendung übersteigt die menschliche Natur
(Der Antichrist wird nur durch die Kraft des Teufels in der Welt mächtig. Andererseits ist der Mensch immer ein aktiver Teilnehmer am Kampf des Tieres mit dem Lamm, nie aber rein passiver Zuschauer.)
Entscheidet er sich für Christus, so empfängt er den Heiligen geist, den Geist des Lebens, des Lichtes und der Liebe. Sagt er sich von Christus los, so wendet er sich von selbst seinem Widerpart zu und empfängt den Geist des Satans, den Vernichtungsgeist, den Geist der Lüge und des Todes. In jedem Fall aber wird seine Seele mit einem übermenschlichen Siegel bezeichnet. In jedem Fall läßt sich eine Glut auf ihn nieder, entweder in der Gestalt einer Feuerzunge, wie an den ersten Pfingsten in Jerusalem, oder in der Gestalt eines phosphorischen Glanzes, wie beim Antichrist Solowjews. Und diese Glut verwandelt den Menschen in seinem ganzen Dasein. Die bei den Aposteln und Jüngern Christi erfolgte Verwandlung trieb sie in die Welt hinaus, um allen Völkern das Evangelium zu verkünden. Ähnliches geschieht bei den ‚Aposteln‘ des Teufels. Nachdem der Teufel seine ’sakramentalen‘ Wort: „Nimm hin meinen Geist“, gesprochen hatte, fühlte der Antichrist, wie ein „scharfer eisiger Strom in ihn einging und sein ganzes Wesen erfüllte. Gleichzeitig empfand er eine unerhörte Kraft, Munterkeit, Leichtigkeit und Wonne.“ …
Was für ein Stigma tragen die Antichristen aller Epochen?
Der Geist Gottes oder der Geist des Teufels verwandelt den Menschen nicht nur innerlich und spornt ihn nicht nur zur Tat an, sondern prägt ihm auch gewisse sichtbare Merkmale ein, durch die er ebenso in seiner äußeren Erscheinung als ein Auserwählter und Gesalbter gilt. Gewisse Stigmata zeichnen jeden aus, der von einer übernatürlichen Macht berührt ist. Es ist deshalb aufschlussreich, herauszubringen, wodurch sich die Auserwählten und Gesalbten des Teufels äußerlich zeigen. Was für ein Stigma tragen die Antichristen aller Epochen?
Als Christus seine Apostel aussandte, um dem Volk Israels das Himmelreich zu verkünden, befahl er ihnen, weder Gold noch Silber, weder zwei Röcke noch Schuhe, weder eine Reisetasche noch einen Stab mitzunehmen (vgl. Mt. 10, 7-10). Damit wollte der Heiland unterstreichen, daß seine Jünger sich weder durch Reichtum noch durch galante und prunkvolle Lebensart vor der Welt geltend machen sollen. An Stelle des weltlichen Glanzes oder der alltäglichen Bequemlichkeit soll innere Geistesmacht bei den Aposteln Christi die Oberhand gewinnen, eine Macht, die Kranke heilt, Tote auferweckt und böse Geister austreibt (vgl. Mt. 10, 8). Die Bescheidenheit im Äußeren und der Gottesglanz im Innern sind Marken, die den Jahrtausende langen Weg der Apostel Gottes durch die Geschichte unfehlbar kennzeichnen. –
Folgt auch der Teufel dem Beispiel Christi, wenn er seine Gesandten in die Welt schickt? Sollen diese ebenso bescheiden und kaum bemerkbar unter den Menschen weilen?
Schönheit und Kraft sind die Grundformen der sichtbaren Erscheinung der antichristlichen Mächte
… Die Schönheit ist ein erfolgreiches Mittel für den Antichrist, um den Weg zum herzen des Menschen zu finden. Der Widersacher Christi bezaubert die Augen durch seine vollendete Gestalt, durch seine Kunst zu reden, durch seine äußeren Manieren. Der Antichrist erscheint als ein Kunstwerk im menschlichen Leib. Die Menschen fühlen sich von ihm hingerissen, glauben deshalb seinen Worten und erweisen ihm die höchste Ehre. Die Schönheit dient als ein Vorhang, um das wahre Gesicht des Antichrist zu verhüllen.
Schönheit ist kein eigentlicher Wert der Person
Wohl ist das Schöne ein Widerschein Gottes im Sein. Es offenbart die innere Vollkommenheit des Seienden, wenn dieses so geworden ist, wie es seinem göttlichen Urbild nach sein soll; es ist gleichzeitig ein Hinweis auf die Daseinsweise der verwandelten Welt und des auferstandenen Leibes, wenn alles „wie ein Edelstein, wie Jaspisstein, wie ein Kristall“ (Off. 21, 12) funkelt und wenn der sinnliche Leib, gesät in Hässlichkeit, die Herrlichkeit anzieht (vgl. 1. Kor. 15, 43). In jedem Fall aber ist das Schöne ein Wert der Sache. Da die innere Vollkommenheit des Seienden erst dann als schön erlebt wird, wenn sie unseren Sinnesorganen zugänglich ist, kann das Schöne im eigentlichen Sinne nur von einer Sache getragen sein. Damit wollen wir nicht behaupten, das Schöne sei an sich materieller Natur. Nein, wir geben zu, daß die ontologische Grundlage des Schönen geistig ist und daß Gott nicht nur die absoluten Wahrheit und Güte, sondern auch die unendliche Schönheit ist, „pulchritudo infinita“, wie ihn der hl. Augustinus nennt.
Doch diese Grundlage können wir nur sinnenhaft erfassen. Die Vollkommenheit des Seienden als Schönheit spricht nicht unmittelbar zu unserem Geist, wie die Wahrheit oder die Güte, sondern durch die Vermittlung unserer Sinneswerkzeuge. Folgerichtig muss diese in sich geistige und göttliche Vollkommenheit eine materielle Gestalt annehmen; genauer ausgedrückt: muss sich in sichtbaren oder hörbaren Formen objektivieren, um erst dadurch erfassbar und erlebbar zu werden. In diesem Sinne ist das schöne immer und überall nur von Sachen getragen und ausgedrückt. Dies besagt aber, daß die Schönheit kein eigentlicher Wert der Person ist. Sie ist nicht der Maßstab der personalen Werthaftigkeit des Menschen. Der Mensch darf nicht mit der Schönheit ermessen und wertvoll oder wertlos gefunden werden. (*)
(*) In diesem Betracht haben auch die heute so modisch gewordenen Wahlen der Schönheits-Königinnen nicht nur einen sittlichen, sondern zugleich einen tiefen theologischen Sinn. Eine Epoche, die den Menschen als ein Kunstwerk beurteilt, fälscht das Bild Gottes, denn Gott leuchtet im Menschen nicht durch die Schönheit seines Leibes, sondern durch die Heiligkeit seiner Seele. Die Fälschung des Gottesbildes aber ist immer die Grundabsicht jeder antichristlichen Tätigkeit.
Der eigentliche Wert der Schönheit ist die Heiligkeit
Der Mensch ist so weit vollkommen und wertvoll, als er heilig ist. Erzeugt also der Teufel seinen Gesandten in Schönheit, so ist es ein deutlicher Hinweis darauf, daß er mit dem Wert der Sache eine wertlose Person zu verdecken strebt. Durch die jugendliche und übermenschliche Schönheit seines Dieners will der Teufel die Aufmerksamkeit der Menschen auf die körperliche Gestalt hinlenken, damit sie die personale Wertlosigkeit seines ‚Apostels‘ außer Acht lassen. Übermaß an Schönheit dient dem Teufel als Mittel, um den Mangel an Heiligkeit zu verhüllen. Der Antichrist ist übermenschlich schön, aber nicht übernatürlich heilig.
In dieser Hinsicht offenbart sich der Antichrist als ein tiefer Gegensatz zu Christus; ein Gegensatz, der leider allzu oft unbeachtet gelassen und theologisch kaum behandelt ist. Die Evangelien erzählen nämlich nirgendwo, Christus sei schön gewesen. Von der natürlichen Schönheit Jesu sagen sie uns gar nichts. Dies bedeutet allerdings nicht, daß der Heiland hässlich gewesen wäre, … Doch das tiefe Schweigen der Heiligen Schrift darüber ist ein Zeichen, daß Christus durch die äußere Gestaltung seines Leibes das Mittelmaß nicht überschritt und daher niemandem mit dem körperlichen Bestandteil seiner Persönlichkeit imponierte.
Christus erschien auf Erden nicht als Schönheit
Im Gegenteil, von außen betrachtet, sah er bescheiden und einfach aus. Hören wir nur dem Propheten Isaias zu, wie er den Gottesknecht schildert: „Er wächst für sich so wie ein Reis; so wie aus dürrem Erdreich eine Wurzel; ist ohne Schönheit und Gestalt; nicht zieht er unsere Blicke auf sich; ist ohne Ansehen, aller Reize für uns bar. Er ist verachtet und von aller Welt verlassen, ein Schmerzensmann, der Krankheit wohl bekannt, verachtet so, wie wer sein Angesicht vor uns verhüllen muss“ (Is. 53, 2-3). Christus erschien auf Erden nicht als eine Schönheit, sondern als ein Lamm Gottes, als die Fülle der Heiligkeit. Er riss die Menschen hin nicht durch wohl gestalteten Aufbau seines Körpers, sondern durch seine Worte, seine Taten und seine Person. Wohl wurde auch Christus einmal schön: „Sein Angesicht glänzte wie die Sonne, seine Kleider wurden weiß wie Schnee“ (Mt. 17, 2).
Das geschah auf dem Berg Tabor während der Verklärung. Aber von dieser kurzfristigen Veränderung durfte niemand erfahren, „bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist“ (17, 9). Die Verklärung Jesu auf dem Berg ist nur ein vorüber gehender Abglanz der künftigen Läuterung und Verwandlung des Seins gewesen. Beständig konnte diese Verklärung erst nach der Auferstehung bleiben, d. h. nach der wesentlichen und radikalen Überwindung der Hinfälligkeit des Daseins, die jede Sache entstellt und somit ihrer sichtbaren Vollkommenheit beraubt. Der Sieg über den Tod als den Auslauf jeder Hinfälligkeit ist unbedingt nötig, um dem Kosmos den Weg zum Schönen zu bahnen. Solange die Kreatur – den Leib Jesu inbegriffen – noch nicht von den Toten auferstanden ist, vermag sie nicht jenen Glanz der kommenden Äonen in sich zu behalten, so daß er ihren Eigenwert ausmachen kann.
Der Teufel erzeugt seine Auserwählten in Schönheit
Der Teufel versucht dagegen, indem er seine Auserwählten in Schönheit erzeugt, die Notwendigkeit des Sieges über die Hinfälligkeit des Daseins zu verneinen und die blitzartige Tabor-Erscheinung bereits hienieden zu verewigen. Christus befahl seinen Jüngern, „niemandem von dieser Erscheinung“ etwas zu erzählen. Der Teufel objektiviert sie indessen in einem menschlichen Leib, stellt diesen vor aller Augen und reißt die Menge dadurch hin. Der Antichrist ist eine Schönheit. Er besteht vor Menschen wie ein Kunstwerk, d. h. wie ein Sachwert. Er ist eine Statue, vom Teufel im lebendigen Leib ausgemeißelt.
Wenn das Schöne auch eine große bezaubernde und verführerische Macht besitzt, ist es trotzdem seiner Natur nach untätig. Das Schöne ist einfach da, um genossen zu werden. Der Mensch findet zwar ein tiefes Wohlgefallen an ihm; es „verheißt ihm Vollendung“, es weist auf das Kommende hin; zur Tat jedoch wird de Mensch von dem Schönen nicht angespornt. Das Schöne ist ja Harmonie und Friede selbst. Es schließt deshalb jeden Kampf und jedes Ringen aus. Trägt also ein Geschöpf das besondere Mal der Schönheit in sich, so ist es weder eifrig, noch mutig, noch opferbereit. Daher ist die Erzeugung des Antichrist in Schönheit allein nicht ausreichend, um die Gemeinschaft des Tieres in Gestalt eines Heeres zu organisieren und es in den Kampf gegen das Lamm zu werfen. Dazu ist viel mehr Arbeit, Mut und Opfer erforderlich, als die Schönheit allein einem einzuflößen vermag.
Der Teufel erzeugt den Antichrist auch in Kraft
Infolge dessen wird der Antichrist nicht nur in Schönheit, sondern auch in Kraft vom Teufel erzeugt. Die Schönheit besaß er wohl seit seiner leiblichen Geburt. Trotzdem aber genoss er dreiunddreißig Jahre lang „seiner übermenschlichen Tugenden und Begabungen“, ohne sie in die Tat umzusetzen. In seiner Schönheit fand er nicht genügend Ermutigung dazu… Durch die Schönheit reißt der Antichrist die Menschen lediglich hin und betört sie, so daß sie seine wertlose Person nicht bemerken. Durch die Kraft hingegen fängt er an, die Menschen zu zwingen und zu vergewaltigen. Anfangs folgen viele dem Antichrist um seiner Schönheit willen nach, später gehorchen sie ihm aus Furcht…Der Antichrist regiert die Welt nicht mit der Liebe, sondern mit der Gewalt, indem er sich auf die menschliche Angst vor dem Tod stützt.
… Jeder Antichrist ist ein Usurpator. Die usurpatorische Geisteshaltung ist ihm wesentlich. Obwohl er, (…), überall in seinem eigenen Namen handelt, besitzt er tatsächlich nichts Eigenes: er äfft nur Christus nach, er gibt sic für ihn oder auch für irgend einen aus, daher eignet er sich fremde Gedanken, fremde Werke und Institutionen an, aber stets so, als ob sie etwas noch nie Dagewesenes, unerhörtes, absolut Neues wären. Sich für irgend jemand auszugeben, anstatt es wirklich zu sein, ist der tiefste usurpatorische Zug des antichristlichen Geistes. –
aus: Antanas Maceina, Das Geheimnis der Bosheit, 1955, S. 65 – S. 73