Der Philosophismus und die Revolution

Der Protestantismus in seiner Entwicklung

6. Teil: Der Philosophismus und die Revolution

Wir wollen von der nur zu berühmten Deklaration von 1682 (Siehe Gallikanismus) reden. Mögen diejenigen, welche noch an den Grundsätzen derselben festhalten, die Sprache vernehmen, die nicht ein gegen sie eingenommener Ultramontaner, sondern ein durch sie befriedigter Anarchist, ein von ihnen Nutzen ziehender Sozialist, Louis Blanc, über sie führt.

„Die politische Tragweite eines solchen Aktes war unermeßlich. Indem sie die Könige über jede kirchliche Gerichtsbarkeit erhob und den Völkern die Garantie raubte, welche das dem Papst zugestandene Recht, die zeitlichen Herrn der Erde zu überwachen, den Völkern versprach, schien die Deklaration von 1682 die Throne in eine den Stürmen unzugängliche Region zu stellen. Ludwig XIV. Glaubte, der absoluten Monarchie ewige Grundlagen gegeben zu haben, indem er sie von dem ehrwürdigsten aller Verträge los sagte. Aber darin lag ein großer, erbarmungswerter Irrtum. Die absolute Gewalt im wahren Sinne des Wortes ist eine Chimäre, eine Unmöglichkeit. Einen Despotismus ohne alle Verantwortlichkeit hat es, Dank dem Himmel, niemals gegeben, und wird es niemals geben. Zu welchem Grade von Gewalttätigkeit die Tyrannei sich auch steigern möge, das Recht der Kontrolle besteht immer gegen sie, hier unter dieser Form, dort unter einer anderen. Die Deklaration von 1682 änderte nichts an der Notwendigkeit dieses rechtes der Kontrolle. Also war ihre einzigeWirkung die, sie zu verlegen, indem sie sie dem Papst entzog, und sie verrückte sie, um sie anfangs auf das Parlament zu übertragen, und später auf die Menge.“

„Daß die Päpste das hohe Schutzrecht, welches den Geist Gregors VII. verewigt hat, nicht sehr oft zum Vorteil der Völker verwandt haben, ist (Herrn Louis Blanc) nur zu gewiß. Aber das war ganz und gar eine Torheit von Ludwig XIV., nichtbegriffen zu haben, daß die Kompetenz der Päpste in Souveränitätsfragen die Könige beschirmte, statt ihnen entgegen zu sein. Die Folge hat es wohl bewiesen. Es kam der Zeitpunkt in Frankreich, wo die Nation gewahr wurde, daß die Unabhängigkeit der Könige die Knechtschaft der Völker sei. Da erhob sich entrüstet die Nation, im Übermaß der Leiden Gerechtigkeit fordernd. Aber da es keinen Richter für das Königtum gab, so warf die Nation sich selbst zum Richter auf, und an die Stelle eines Kirchenbannes trat ein Todesurteil.“

„Der zweite Artikel der Deklaration war um nichts weniger revolutionär, als der erste; denn die Behauptung, daß die Konzilien höher ständen als die Päpste, mußte dahin führen, daß die Versammlungen sich über die Könige stellten. Warum sollte eine weltliche Monarchie absoluter sein, als eine geistige? War denn eine Krone geheiligter als eine Tiara? In diese gefährliche Vergleichung stürzte die Geister die Deklaration von 1682…“ (Hist. De la Revol. Franc. t. I. p. 252)

Louis Blanc ist der Sieger, welcher den Besiegten schulmeistert, und ihm erklärt, warum er die Schlacht verloren.

Die Deklaration von 1682 ist nicht mehr, sie gehört der Geschichte an. Sie zu verteidigen oder sie anzugreifen, wäre ein reiner Anachronismus. Die Gefahr kommt nicht vom Papst, und wir sterben nicht an Übermaß von Autorität. Die Gefahr kommt von der Straße, von dem Einfall der Barbaren. Sich heute mit dem Rechtsverhältnis zwischen den Kronen und dem Papst beschäftigen, wenn jene der gemeine Spielball der Revolutionen sind, oder mit der Religionsfreiheit, wenn freche Gewalttaten den mildesten der Päpste aus dem Vatikan vertreiben, oder ihm dort den Schutz von 10000 Bajonetten notwendig machen, das heißt: den Verstand verloren haben. Die Souveräne unserer Tage sind jene Barbaren, deren Flut und Wut anschwillt unter der providentiellen Hand, die sie hält, und die eine sterbliche Hand ist. Möchten die Päpste über jene Souveräne das Recht der Kontrolle haben, und im Stande sein, sie an der Schwelle unserer Wohnungen fest zu halten, wie sie vormals Attila fest hielten an den Toren Roms!

Wenn man einmal von der steilen Felsenspitze der Wahrheit abgewichen ist, so verkommt man unglaublich schnell und weit in den Irrtum, zumal in Frankreich. So ist die Deklaration von 1682, aus den Händen Bossuets in die Hände der Parlamente und Jansenisten übergehend, trotz aller Anstrengung, mit welcher das Genie und die Redlichkeit dieses großen Mannes sie ihnen streitig zu machen suchte, ein Heben der Empörung gegen die Throne, ein Keil der Spaltung für die Kirche und eine Schwelle zur Blutbühne für den besten der Könige geworden; sie führte endlich zu den blutigen Freveln des 6. Oktobers, zu der bürgerlichen Konstitution des Klerus und zu den düstern Herrschaft des Konventes.

Anfangs beutete der Philosophismus zu seinem Vorteil all die Ärgernisse aus, zu welchen die Anstreitung und die Verteidigung dieser Deklaration Anlass gab, und er vollführte im Großen die Ablösung des Königtums von der kirchlichen Kontrolle, indem er die Kirche vollkommen vernichtete. Hierdurch hat er zugleich die Völker dem Despotismus der Souveräne und die Souveräne der Empörung der Völker vollkommen bloß gestellt.

Da die Völker in den Augen der Souveräne nicht mehr geheiligt waren durch den Glauben, welcher sie ihnen als die Kinder einer einzigen Mutter und die leidenden Glieder eines einzigen Erlösers zeigte, so waren sie für sie nur noch eine feile Herde. Da die Könige in den Augen der Völker nicht mehr geheiligt waren durch denselben Glauben, der diese in ihnen die ältesten Söhne der Kirche und die Vertreter der Gottheit erkennen ließ, so waren sie für die Völker nur noch Usurpatoren, verantwortlich für die angemaßte Gewalt. Da die einen und die anderen nur noch gleiche Menschen waren, nicht mehr vor Gott allein, sondern vor sich selbst, und sich gegenseitig erniedrigten durch den Gebrauch, den jeder von seiner Lage machte, und durch die Mittel der Tyrannei oder der Empörung, welche sie anwandten, um die Schranken ihrer Verhältnisse zu überschreiten, so waren sie nur noch Feinde, die sich maßen. Aber in diesem Kampfe der Menschen mit den Menschen war, da Gott nichtmehr dabei war, das natürliche Recht für die Völker, für die Wiedergewinnung ihrer vollständigen Unabhängigkeit, noch mehr, für die Heimbringung und Einwerfung aller Privilegien, welche bis dahin die politischen, bürgerlichen und selbst sozialen Ungleichheiten begründet hatten, und für die Büßung ihrer mehr hundertjährigen Missbräuche. So machen sich bei dem Tode eines gemeinsamen Vaters entartete Kinder die Fetzen des Nachlasses streitig, und geraten in Händel über den Vorzug, den der eine oder der andere empfangen, indem sie das Testament, durch welches die Weisheit des Vaters die Teilung machte, verachten.

An jenem Tage, das kann man wohl sagen, wurden sie Pole der christlichen Welt umgekehrt, oder, um ein treffenderes Bild zu gebrauchen, die soziale Pyramide wurde ihrer Grundlage enthoben, und man suchte sie auf ihre Spitze zu konstituieren. Denn in der Tat hatte die Gesellschaft und zumal die christliche Gesellschaft auf der Grundlage der Pflicht geruht; man versuchte, sie auf der Spitze des Rechts zu festen. Ein System, so ungeheuerlich, selbst für diejenigen, welche es proklamierten, daß sie das Bedürfnis fühlten, unter dem Begriff der Pflicht, dessen Verletzung es war, es zu verlarven (Anm.: unter einer Maske verbergen, unkenntlich machen), indem man die Empörung eine Pflicht nannte und zwar die heiligste der Pflichten!

Das ist das große Prinzip von 1789, welches in der Politik ganz genau dem einige Jahrhunderte früher durch Luther in der Religion aufgestellten Prinzip entspricht, oder vielmehr welches ganz dasselbe Prinzip ist, nur hinüber geführt aus der religiösen Ordnung in die philosophische Ordnung und aus dieser wieder in die politische. Die durch Luther gesalbte Revolution, nachdem sie Sieg auf Sieg errungen, gegen die Kirche und die Überlieferung, gegen die Schrift und die Offenbarung, hat eine Berechtigung, eine gesteigerte Berechtigung gegen die Gesellschaft und die politische Autorität. Die religiösen, philosophischen und politischen Protestanten reichen sich die Hand; Alles ist verkettet in der Unordnung, wie in der Ordnung, weil die Unordnung die angegriffene Ordnung selbst ist, und an jener logischen Notwendigkeit, welche das Glück und die Stetigkeit der Ordnung begründet, zu ihrer Züchtigung und eigenen Zerstörung teilnimmt.

Wenn die übernatürliche Ordnung, durch eine Kirche gelehrt, die den Geist und die Macht dazu von dem Offenbarer selbst empfangen hat, im Schoße einer auf diese Ordnung gegründeten und durch dasselbe Lehramt gebildeten Gesellschaft durch Luther angegriffen werden konnte, so konnte mit viel stärkerem Recht die durch das Privaturteil Luthers und eines jeden Protestanten gelehrte übernatürliche Ordnung durch ein gleiches Privaturteil angegriffen und durch die Philosophen umgestürzt werden. Und wenn die übernatürliche Ordnung durch die Philosophen umgestürzt werden konnte, so konnte und kann mit noch viel stärkerem Recht die auf die übernatürliche Ordnung gegründete politische und soziale Ordnung durch die Revolutionäre und die Sozialisten umgestürzt werden. Dieser Umsturz ist ein relatives Recht, gegen welches die Philosophen und Protestanten nichts einwenden können, und dem sie selbst entgegen gehen müssen, was sie auch zu tun nicht ermangelt haben, auf die Gefahr hin, an dem Tage, wo die Zerstörung sie erreichte, auf das lächerlichste und jämmerlichste ihre Vergangenheit zu verleugnen.

Im Jahre 1789 hatte dieses relative Recht des Umsturzes eine solche Stärke der logischen Notwendigkeit erlangt, daß die Nämlichen, die das größte Interesse hatten es zu bestreiten, die Großen, die Herren, die Souveräne, es anerkannten. Der Zerfall der politischen und adeligen Obrigkeiten geschah von selbst, und wurde durch die eigenen Hände ihrer Träger und Besitzer bewirkt. – Und möge man die Tragweite unserer Bemerkungen nicht verkennen. Wir wollen keineswegs sagen, daß die Verhältnisse dieser Obrigkeiten unwandelbar gewesen, daß sie nicht hätten geändert werden können und müssen; sondern wir sagen: die Empörung anerkennen, ihr einen Altar bauen, und auf diesem mit einem Schlage eine gesamte rechtlich bestehende Gesellschaft opfern, noch mehr, ihr ohne Scham und ohne Ehre die Weisheit der früheren Gesellschaft preisgeben, nicht den Ruhm und das recht der Ahnen vorbehalten, und zugleich mit sich selbst eine Gesellschaft von zehn Jahrhunderten voll Größe und Gerechtigkeit der Usurpation und der Unbill beschuldigen, und ihr edles Erbe wie ein ungerechtes Gut zurück erstatten, das heißt: alle Gesellschaft, alle Ordnung abschwören, das heißt: das Chaos bekennen, das heißt: das Nichts proklamieren.

Nun aber, in einem solchen Zustand hatte der Protestantismus und der Philosophismus die Gesellschaft gebracht, daß dieses Bekenntnis, diese Proklamation eine Notwendigkeit geworden war.

Sie geschah in der nur zu berühmten Nacht zum 4. August, in dieser gesetzgeberischen Orgie, welche von Rivarol so treffend die Bartholomäusnacht des Eigentums genannt worden ist. –
aus: August Nicolas, Über das Verhältnis des Protestantismus und sämmtlicher Häresien zu dem Socialismus, 1853, S. 140 – S. 144; S.154 – S.160

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