Heiligenkalender
5. September
Der heilige Laurentius Justiniani Bischof
Der heilige Laurentius war dem hochadeligen, sehr berühmten Geschlecht der Justiniani zu Venedig entsprossen, woher er seinen Zunamen hat und am 1. Juli im Jahre 1381 geboren. Er hatte vortreffliche Eltern. Aber frühzeitig verlor er seinen Vater Bernard; seine Mutter Quirina verdoppelte deshalb ihre Sorge für die Erziehung desselben; doch kostete ihr solche nicht viel Mühe, weil Laurentius selbst zu allem Guten geneigt war. Als sie ihm einstmals ihre Furcht äußerte, es sei eine heimliche Ehrsucht oder Hoffart in seinem Gemüt verborgen, die aus seinem äußerlichen Benehmen hervor blicke, antwortete Laurentius: „Fürchten Sie sich nicht, Mutter! Ich habe nur den einzigen Ehrgeiz, ein großer Diener Gottes und viel frömmer, als meine Brüder zu sein.“ Seine Lebensweise, die er schon als Jüngling beobachtete, bestätigte diese Worte. Er lebte zur Zeit, wo ein allgemeines Verderbnis der Sitten die ganze Stadt überschwemmt hatte; doch lebte er so erbaulich und christlich, daß sich jedermann darüber verwunderte.
Den Gefahren seines Heiles zu entgehen, bat er Gott inständig, er möge ihm doch zu erkennen geben, in welchem Stande er sein Leben zubringen sollte. Als er einst vor einem Bild des Gekreuzigten und der göttlichen Mutter sein Gebet in dieser Absicht verrichtete, fühlte er innerlich einen heftigen Antrieb, die Welt zu verlassen und in einem Orden Gott zu dienen. Er gehorchte der Stimme Gottes, entsagte entschlossen der Welt und allem, was er in der Welt haben konnte, begab sich zu den regulierten Chorherren von St. Georg zu Alga, einer nahe bei der Stadt gelegenen Insel, und bat hier um die Aufnahme. Sein Wunsch wurde erfüllt, und Laurentius trat fröhlich das Noviziat an und zeigte bald in seinem ganzen Lebenswandel, daß er in dieser Lebensweise kein Anfänger oder Neuling, sondern ein vollkommener Geistesmann sei. Unter anderem ist es merkwürdig, daß er aus Verlangen, sich abzutöten, niemals, auch bei kältester Winterszeit, am Ofen sich wärmte, oder bei der heißesten Sommerszeit außer dem Mittag- und Abendessen etwas trank, um den Durst zu löschen. Man sah ihn niemals im Garten des Klosters frische Luft schöpfen oder sich am Anblick der Blumen erheitern. So streng war seine Abtötung. Bei der nötigen Operation eines Hals-Geschwüres sprach er selbst dem Arzt zu. „Soll mir denn Christus“, sagte Laurentius, „nicht so viel Stärke geben können, als er den drei Jünglingen im babylonischen Feuerofen gegeben?“ Während der Operation entschlüpfte ihm nicht ein einziger Seufzer, sondern er wiederholte nur die heiligsten Namen Jesus und Maria. Und als sich einige darüber verwunderten, sagte er: „Was ist denn dieses Leiden gegen das, was so viele heilige Märtyrer erduldet haben, da man sie mit brennenden Fackeln und glühenden Platten gepeinigt, oder auf einen feurigen Rost gelegt hat?“
Als Laurentius zum Priester geweiht war, las er die heilige Messe wegen seiner innigen Liebe zu Jesus selten ohne Tränen. In der heiligen Christnacht hatte er unter der heiligen Messe einmal die Gnade, den Heiland in Gestalt eines holdseligen Kindes gegenwärtig zu schauen. Infolge der Zeit wurde er von seinen Ordensbrüdern wider seinen Willen zum Prior erwählt. Papst Eugen IV. befahl bald danach 1433, ihn zum Bischof von Venedig zu weihen. Nur aus Gehorsam nahm er diese Würde an. Als Bischof veränderte er nichts in der Strenge gegen sich selbst oder in anderen Tugenden, welche er im Ordensstand ausgeübt hatte. Sein ganzes Bistum besuchte er persönlich öfters, und suchte mit seinem apostolischen Eifer alle zur Beobachtung der Gebote Gottes und der Kirche aufzumuntern. Die bischöflichen Einkünfte verwendete er zum Nutzen der Kirche und zum Trost der Armen. Außer verschiedenen Kollegiatkirchen stiftete er fünfzehn Ordenshäuser. Täglich ernährte er eine große Anzahl von Armen. Als ein Verwandter ihn um einen Beitrag zur Verehelichung seiner Tochter bat, sagte er: „Gebe ich dir wenig, so genügt es dir nicht. Geben ich dir viel, so bekommst du es allein, und tausend andere nichts. Sei es, wie es will, die geistlichen Einkünfte muß man nicht anwenden zur Kleiderpracht, oder um die Haare zu kräuseln, oder Fraß und Völlerei zu befördern, sondern zum Trost der Armen. Daher nimm es mir nicht übel, daß ich deinem Begehren nicht willfahren kann.“
Als der Patriarch zu Grado starb, wollte der Papst Nikolaus V. den Laurentius zu dessen Nachfolger ernennen. Weil er aber vorher sah, daß die Venetianer ihren heiligen Bischof nicht von sich lassen würden, so versetzte er den Patriarchenstuhl von Grado nach Venedig und erklärte den heiligen Laurentius für den ersten Patriarchen von Venedig. Durch ihn wurde Venedig vom Untergang errettet. Zu jener Zeit lebte ein wegen seiner Heiligkeit berühmter Einsiedler auf der Insel Korfu; dieser sprach zu einem edlen Venetianer, der ihn besuchte: „Gott ist erzürnt über euch Einwohner von Venedig, weil ihr das Wort Gottes von euch verstoßen habt; und wenn die Tränen eures Patriarchen nicht zu Gott riefen, so wäret ihr schon längst wie die Einwohner von Sodoma zugrunde gegangen.“ Doch die rastlosen Anstrengungen und Mühsale erschöpften zuletzt die Kräfte des heiligen Patriarchen, und er merkte sein heran nahendes Ende.
Am Fest der Geburt Jesu Christi empfand er unter der heiligen Messe ein großes Verlangen, der Anschauung Gottes teilhaftig zu werden. Nach der heiligen Messe ergriff ihn ein Fieber, welches innerhalb weniger Tage den Tod nach sich zog. Er war allzeit gewohnt, auf der harten Erde oder auf einigen Brettern zu liegen. Nicht einmal zur Zeit seiner letzten Krankheit konnte man ihn bereden, sich eines weicheren Lagers zu bedienen. „Jesus Christus“, sprach er, „ist an dem harten Holze des Kreuzes gestorben, und ihr verlangt, von einem solchen Sünder, wie ich bin, daß ich gemächlich liegen und sterben soll?“ Nach Empfang der heiligen Sakramente hielt er noch eine Anrede an die anwesenden, und sagte unter anderem: „Haltet die Gebote des Herrn… Nichts ist edler und vortrefflicher, als Gott dienen.“ Nach dieser Anrede wendete er seine Augen zum Himmel und rief mit lauter Stimme: „Ich komme zu dir, o Jesus!“ Und auf diese Weise vollendete dieser große heilige Patriarch sein Leben auf Erden im 74. Jahre seines Alters am 8. Januar 1455. Bei seinem Grabe geschahen auf seine Fürbitte viele Wunder. Im Jahre 1690 setzte ihn Papst Alexander VIII. In das Verzeichnis der Heiligen, und Papst Innozenz XII. bestimmte den 5. September als seinen Verehrungstag. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 705-708
siehe auch den Beitrag: Der heilige Laurentius Justiniani über die Demut