III. Das positive Prinzip der Stiftung von 1717
Wir haben bereits oben bemerkt, daß das freimaurerische Prinzip im tiefsten Grunde negativ ist, nämlich Wegräumung des positiven Christentums und jeder gegebenen Religion; daß jedoch keine Verbindung lange bestehen kann, wenn sie nicht wenigstens scheinbar etwas Positives gibt, was an die Stelle des Weggeräumten treten muss.
Dieses positive Prinzip der Stiftung von 1717 finden wir in den Konstitutionen Andersons mit den Worten ausgedrückt :
„Der Maurer ist als echter Noachite verbunden, dem Sittengesetz zu gehorsamen, und wenn er seine Kunst recht versteht, wird er weder ein Gottesleugner, noch ein irreligiöser Wüstling sein; im Gegensatz zur früheren Zeit wird es in jetziger für dienlicher erachtet, die Maurer nur zu der Religion zu verpflichten, worin alle Menschen übereinkommen, d. h. zu jener ältesten, katholischen (!) Religion, gute und treue Männer von Ehre und Rechtschaffenheit zu sein und die allgemein anerkannten sittlichen Vernunftgebote zu beobachten. Dabei bleibt es jedem einzelnen Mitglied überlassen, bei seiner besonderen Konfession und religiösen Meinung zu verharren; alle religiösen und politischen Kontroversen und Dispute sollen vermieden werden, und die Maurer als friedfertige Untertanen der bürgerlichen Obrigkeit gehorchen. Dennoch bleibt ein Bruder, der in eine Empörung wider den Staat sich eingelassen, sonst aber kein anderes Verbrechen begangen hat, in unauflöslicher Verbindung mit der Loge. Als wesentliches Gesetz für alle Mitglieder unter einander gilt die brüderliche Liebe, Hilfe und Treue, und sollen sich alle als Gleiche und Brüder betrachten, und die ganze Gesellschaft eine Verbrüderung der Humanität, Menschenliebe, Duldung und Geselligkeit sein.“
Wir wollen in diesen Sätzen jene Worte übergehen, welche der polizeilichen Sicherheit wegen eingeschaltet sind, und nur den tiefsten Sinn herausschälen. Dieser aber ist kein anderer, als das Menschentum in der angegebenen Bedeutung. An die Stelle des Christentums und jeder gegebenen Religion soll die Humanität, als positives Prinzip der Maurerei, treten. Dies geht unwiderleglich aus dem angeführten Grundgesetz des gesamten Masonentums hervor.
1. Der Maurer ist ein echter Noachit, d. h. auf dem religiösen Standpunkt der Menschheit vor allen heutigen Kultusarten; für ihn gibt es insbesondere keinen Christus, keine Propheten, keinen Moses und Abraham. Mit anderen Worten: die Freimaurerei emanzipiert den Menschen durch aller und jeder Offenbarung, vor Allem von der von Jesus Christus, von jeder Kirche und aller geistlichen Autorität. Von Religion will sie nichts wissen, außer was mutmaßlich die Menschen zur Zeit der Sündflut wußten (1).
(1) In einer Zuschrift des Br.-. Euklides (Pseudonym) an Anderson vom J. 1738 heißt es: „Die Maurer sind wahre Noachiten; und weil aller andere Unterschied nur von gestern her ist, erheischen sie keine anderen Denominationen, wenn nur der neue Bruder ein guter, ehrlicher Mann ist.“ — Kann man das Christentum wegwerfender behandeln, als mit dem Satz, es sei bloß von gestern her?
2. „Der Maurer ist nur zu der Religion verpflichtet, worin alle Menschen übereinstimmen“, nämlich ein „guter und treuer Mann von Ehre und Rechtschaffenheit zu sein“; diese angebliche Religion heißt die älteste und katholische, d. h. die einzig wahre und allgemeine. Also ist der Mensch frei und unabhängig von jedem Dogma und Sittengesetz, das ihm etwa von außen geboten wird. Jede dogmatische Religion ist hiermit verurteilt, denn nur „die allgemein anerkannten sittlichen Vernunftgebote“ gelten; diese aber sucht und macht sich der Maurer in und aus sich selbst. Demnach sind alle existierenden Religionen, die indische wie der Buddhismus, der Islam wie das Judentum, das Christentum in seinen sämtlichen Denominationen, nur Verschlechterungen des ehemals Einfachen und Wahren. Die Begriffe Religion und Menschentum decken sich folgerichtig.
3. Demnach ist das Individuum, wie es geboren wird, gut; es braucht keine Taufe, da man eine Erbschuld nicht anerkennt; es ist nicht zum übernatürlichen Leben berufen, denn was weiß ein echter Noachit von diesem christlichen Gedanken (1)? Folglich ist der Mensch ganz in den Kreis seiner Natürlichkeit festgebannt, und unser letztes Ziel und Ende besteht darin, recht naturalistische Leute zu sein.
4. Also ist der Mensch absolut, unabhängig, unverantwortlich, ganz sein eigener Herr. Seine Religion ist, „ein guter und treuer Mann von Ehre und Rechtschaffenheit“ zu sein; und wie er das werden könne, soll er in seiner eigenen Vernunft lesen. Zieht er aber vor, „in seiner besonderen Konfession“ zu beharren, so mag er es tun, nicht als ob diese Konfession ein Recht zur Existenz hätte, sondern weil das Individuum das persönliche Recht zu jeder möglichen subjektiven Meinung hat. Die Rückseite dieser Münze zeigt uns die Devise des Cäsaropapismus: Die Religion ist nur frei als persönliche Meinung, dagegen als Korporation dem Willen des Staates auf Gnade und Ungnade überantwortet.
5. Die Menschen sind alle frei, alle gleich, alle Brüder; also kann keine Obrigkeit im Namen Gottes Gehorsam fordern; es gibt kein Königtum von Gottes Gnaden, keine höhere Beschränkung für die Gesetzgebung, als eben den Willen der Gesamtheit, beziehungsweise der Mehrheit, der sich in den Abgeordneten des Volkes ausspricht. Jeder Beamte bis hinauf zum Träger der Krone bezieht seine Vollmacht nur vom Menschen, d. h. vom Volk, und ist widerruflich, im Falle des Missbrauchs seiner Gewalt strafbar.
(1) Aus Amerika bringt die „Bauhütte““ (24. März 1866) unter anderem Folgendes: „In unserer Loge finden sich ebenso wenig wie in den übrigen amerikanischen Logen Mitglieder , welche mit irgend einer kirchlichen Gemeinschaft in Verbindung stehen. Diese Brüder ziehen es vor, ihren neugeborenen Kindern bei unseren jährlichen Johannis- und Familienfesten einen Namen in Gegenwart der Brüder und Schwestern zu geben, anstatt sie durch einen von einer christlichen Sekte Angestellten mit Wasser besprengen und die Erbsünde aus ihnen heraustreiben zu lassen.“
6. Die Moral ist Religion, und die Religion ist Moral, läuft aber hinaus auf „Humanität, Menschenliebe, Duldung und Geselligkeit“. Ein Tempel dieser vier Tugenden soll der ganze Erdball werden; dies aber ist nur möglich, wenn die Individuen nichts Anderes mehr kennen, als „die brüderliche Liebe, Hilfe und Treue“. Weil jedoch diesem Endziel ein ungeheures Hindernis im Wege steht, die Verschiedenheit der Religionen und Kulte, so muss konsequenter Weise dahin gearbeitet werden, daß diese Verschiedenheit aufhöre, und alle Menschen sich als wahre Noachiten nur vor den Sittengeboten der eigenen Vernunft, der subjektiven Moral, beugen.
7. Daraus fließt von selbst die Pflicht des Maurers, die Humanität auszubreiten. Die maurerische Propaganda kann aber dem Gesagten zufolge nur bestehen in der Niederkämpfung jedes positiven Glaubens, des autoritativen Kirchentums, jeder nicht demokratischen Staatsordnung, jeder übernatürlichen Schranke, welche z. B. im Namen der christlichen Wahrheiten dem Nationalwillen bei der Gesetzgebung im Wege stände. (1) Nur Einer ist Herr, der Mensch; nur Einer ist Alles, der Mensch; die Erde ist der Himmel, das Erhabenste die Menschheit, ihr Staat allmächtig. (2)
(1) Unmittelbar nach den Untaten der Pariser Commune hatte der Bischof von Versailles an die Deputierten von Versailles (1871) die Worte gerichtet: „Über uns gibt es eine höhere Macht, die Quelle und Regel aller Gewalten.“ Darüber wurde der maurerische Siècle so bitterböse, daß er in die Worte ausbrach: „Wohin will man uns führen? Zu welchem Abenteuer will man unser unglückliches Land gängeln? Ach, diese Leute sollen Acht geben! Das öffentliche Gewissen (d. h. die souveräne Menschheit) richtet sie; die Regierung hat die Pflicht, mit dem Gesetz bewaffnet, uns gegen jene schuldbaren Schleichwege zu hüten.“ Le monde, 12. Juni 1871.
(2) Wir kommen im Verlauf dieser Schrift auf jeden einzelnen der angeführten Punkte weitläufig zurück und bringen dann für jeden Satz maurerische Belege.
Weiter kann der Mensch nicht mehr gehen, als daß er sich für absolut, und sein menschliches Wesen und Wollen für göttlich erklärt. Übrigens erhellt bei einigem Nachdenken, daß selbst dieses anscheinend positive Prinzip der Stiftung von 1717 im Grunde rein negativ ist: das Non serviam des ersten Empörers im Munde des abfallenden Menschen. Es ist die Abwerfung des göttlichen Willens, der göttlichen Gewalt und Weltherrschaft; es ist der unheilvolle Versuch des menschlichen Stolzes, ein endliches und wandelbares Ding für unendlich zu erklären, in der Religion die soziale Apostasie, im Staatsleben die Souveränität der Massen und die immerwährende Rebellion zum Grundgesetz zu machen.
Aber verfehlen wir uns vielleicht durch Konsequenz-Macherei? Legen wir in die Anderson’schen Konstitutionen einen Plan hinein, welcher ihnen tatsächlich fern liegt? Nein! Hören wir eines der neuesten Logen-Ritualien. (Fortsetzung folgt) –
aus: Georg Michael Pachtler SJ, Der Götze der Humanität, 1875, S. 125 – S. 130
siehe auch die Beiträge von P. Cahill SJ über Freimaurerei und anti-christliche Bewegung