Der Katechismus über den Modernismus
nach der Enzyklika Pascendi Dominici gregis des hl. Pius X.
§ 2. Anwendung der vitalen Immanenz
„Jedoch hiermit ist der Einfluss der Philosophie über die Geschichte noch nicht erschöpft.“
184. Welch anderes Prinzip der modernistischen Philosophie leitet den Kritiker, nachdem die zwei Arten der Dokumente kraft des Agnostizismus unterschieden sind?
„Sind die Dokumente, wie gesagt, in zwei Gruppen unterschieden, dann tritt wiederum der Philosoph auf mit seinem Lehrsatz von der vitalen Immanenz; er behauptet, alles, was in der Kirchengeschichte enthalten ist, müsse durch vitale Emanation erklärt werden.“
185. Wie können die Tatsachen dem immanenten Bedürfnis untergeordnet sein?
„Die Ursache oder die Bedingung einer jeden vitalen Emanation ist in irgend einer Notwendigkeit oder einem Bedürfnis zu finden; folglich muss man die Tatsache sich später denken als diese Notwendigkeit und sie ist auch historisch später als diese.“
186. „Was tut dann der Historiker?“
„Er durchforscht wiederum seine Dokumente, sowohl jene, die in der Heiligen Schrift enthalten sind als auch jene, die er anderswoher beigebracht hat; daraus stellt er eine Liste der einzelnen Notwendigkeiten auf, die auf das Dogma oder auf den religiösen Kultus oder auf andere Gebiete sich beziehen und die in der Kirche eine nach der andern vorgelegen haben. Diese angefertigte Liste übergibt er dem Kritiker.“
187. Was tut der Kritiker dann mit den Dokumenten?
„Dieser legt die Hand an jene Dokumente, die für die Geschichte des Glaubens bestimmt sind; er ordnet dieselben nach den einzelnen Zeiträumen so, daß sie einzeln der gegebenen Liste entsprechen: immer eingedenk jenes Grundsatzes, daß das Bedürfnis der Tatsache, die Tatsache der Erzählung voran geht.“
188. Sind nicht einzelne Teile der Heiligen Schrift eine vom Bedürfnis geschaffene Tatsache?
„Es kann zuweilen geschehen, daß einzelne Teile der Heiligen Schrift, wie z. B. die Briefe, auch eine vom Bedürfnis geschaffene Tatsache sind.“
189. Welches Gesetz dient im allgemeinen zur Bestimmung des Alters eines kirchengeschichtlichen Dokumentes?
„Wie dem aber auch sei, es ist ein Gesetz, daß das Alter eines Dokumentes nicht anders bestimmt werde, als aus dem Alter des jedesmaligen Bedürfnisses, das in der Kirche entstanden ist.“ –
aus: J.B. Lemius Obl. M. J., Der Modernismus Sr. H. Papst Pius X. Pascendi dominici gregis, 1908 S. 57 – S. 58
siehe auch den Beitrag: Der Immanentismus der Modernisten