Steht das Konstanzer Konzil über dem Papst?

Steht das Konstanzer Konzil über dem Papst? Das Konzilsgebäude in Konstanz

Das Konzil von Konstanz – Beseitigung des Schismas

Teil 2: Steht das Konstanzer Konzil über dem Papst?

Anklage gegen Johannes XXIII.

So war nun das Übergewicht beseitigt, welches die große Zahl der italienischen Prälaten dem Papst Johannes verlieh. Um das Unglück desselben voll zu machen, übergab jetzt ein Unbekannter eine Anklageschrift gegen den Papst, worin eine ganze Reihe der schwersten Beschuldigungen erhoben wurde. Johannes XXIII. hatte zuerst weltlichen Beschäftigungen obgelegen, ehe er sich dem kirchlichen Dienst widmete.

Sodann war er vor seiner Erhebung auf den päpstlichen Stuhl bloß Kardinaldiakon gewesen und hatte in dieser Eigenschaft auch der Kirche, d. h. dem Kirchenstaat, nur in weltlichen, meist kriegerischen Ämtern gedient.

Daher bot sein Vorleben allerdings Anhaltspunkte für manche Beschuldigungen. In der ersten Bestürzung wollte Johannes einige der gegen ihn erhobenen Anklagen als wahr anerkennen, während er andere zurückwies. Hiervon wurde er nun zwar durch seine Freunde zurückgehalten, stellte dann aber, um diese unangenehme Sache aus der Welt zu schaffen, das Versprechen seiner Abdankung in Aussicht. Über die Form dieses Versprechens verhandelte man noch bis gegen Ende des Monats.

Kaiser Sigismund verhindert eine Spaltung in Konstanz

In der Generalkongregation vom 1. März und in der 2. allgemeinen Sitzung am 2. März 11415 legte dann Johannes das eidliche Versprechen ab, dass er um des Friedens der Kirche willen auf das Papsttum einfach verzichten wolle, wenn Benedikt und Gregor dieses ebenfalls täten. So hatte also die Synode nach viermonatlicher Dauer von zwei Prätendenten das Versprechen des Rücktritts in Händen. Es handelte sich nur noch um Benedikt XIII.

Sigismund, der nach Nizza zu diesem hinreisen wollte, verlangte, Papst Johannes solle ihn und einige Herren seines Gefolges als Prokuratoren bestellen, damit sie in seinem Namen die Zession wirklich aussprechen könnten, falls auch Benedikt sich zu derselben bereit finden ließe. Allein Johannes weigerte sich dessen, war aber erbötig, selbst nach Nizza zu gehen; dieses wurde jedoch von der Gegenpartei bedenklich aufgenommen, weil man fürchtete, er werde die Gelegenheit benutzen, um ganz von Konstanz wegzubleiben.

Es kam nun zu stürmischen Auftritten; die Italiener drohten, das Konzil zu verlassen, wenn man den Papst weiter bedränge; auch suchten sie die Franzosen, Deutsche und Engländer auf ihre Seite zu ziehen. Nur den vereinigten Bemühungen Sigismunds und der Gesandten des französischen Königs gelang es, eine Spaltung im Konzil zu verhindern.

Unterdessen bereitete Papst Johannes, der über die Entwicklung der Dinge in Konstanz natürlich sehr unzufrieden war, trotz der Abmahnungen Sigismunds wirklich seine Flucht im Geheimen vor; dabei half ihm Herzog Friedrich von Österreich-Tirol, den Johannes schon vor seiner Ankunft in Konstanz für sich gewonnen hatte. Während eines von diesem veranstalteten Turniers ritt Papst Johannes am Abend des 20. März, als Stallknecht verkleidet und nur von einem Knaben begleitet, unbehelligt zum Tor hinaus und begab sich in die dem Herzog gehörige Stadt Schaffhausen.

Superiorität eines allgemeinen Konzils über den Papst?

Die Flucht des Papstes erregte in Konstanz die größte Bestürzung, so dass die Auflösung der Synode nur durch das energische Eingreifen Sigismunds verhindert werden konnte. Sofort veranstaltete der Kaiser eine Versammlung der Nationen und gab seinen festen Entschluss kund, um jeden Preis das Konzil aufrecht zu erhalten.

Dann begleitete er selbst eine Deputation der Nationen zu den in der päpstlichen Wohnung versammelten Kardinälen, welche hierauf erklärten, dass sie trotz der Entfernung des Papstes doch mit den Nationen die Geschäfte des Konzils weiter besorgen wollten und sogar von Johannes ganz zurücktreten würden, wenn es sich herausstellen sollte, dass seine Flucht das Unionswerk verzögere. Jedoch verlangten sie, dass einstweilen gegen den Papst nichts unternommen, sondern eine Gesandtschaft an ihn abgeordnet werde, was auch geschah.

Sobald aber die Konstanzer infolge des kaiserlichen Schutzes den Fortbestand ihrer Versammlung auch ohne den Papst gesichert sahen, gewann bei ihnen diejenige Richtung vollends die Oberhand, welche die Superiorität der allgemeinen Konzilien über den Papst verfocht. Das unselige Schisma war durch die Kardinäle heraufbeschworen und durch die päpstlichen Prätendenten aufrecht erhalten worden. Soeben hatte noch einer der letzteren durch seine Flucht das ganze Unionswerk wieder in Frage gestellt; was Wunder also, wenn gegen Päpste und Kardinäle eine gereizte Stimmung in Konstanz herrschte!

Andererseits erblickte man in einem allgemeinen Konzil das einzige Mittel, um aus der Verwirrung herauszukommen, und war deshalb geneigt, diesem eine kirchenrechtlich nicht zulässige Verfassung und Stellung beizulegen. Schon am 23. März hielt der berühmte Gerson, ein Schüler d`Aillys, eine Rede, worin die Superiorität der allgemeinen Konzilien über den Papst deutlich ausgesprochen und verteidigt wurde.

Erklärung über Rechtmäßigkeit des Konzils

Am 26. März fand die 3. Sitzung statt, welcher d`Ailly präsidierte. Außer ihm war nur noch ein Kardinal anwesend; die übrigen hatten sich teils entschuldigt, teils geradezu geweigert, zu erscheinen. Sie fürchteten nämlich nach der Gerson`schen Rede, es möchte etwas gegen den Papst unternommen werden, was sie nicht durch ihre Gegenwart unterstützen dürften. Indessen begnügte sich die Versammlung mit der Erklärung, das rechtmäßig berufene und eröffnete Konstanzer Konzil sei durch die Entfernung des Papstes nicht aufgelöst worden und könne überhaupt ohne die eigene Zustimmung weder aufgelöst noch verlegt werden.

Um so entschiedener ging man aber in der Folge vor. Am 29. März einigten sich die deutsche, die englische und die französische Nation über vier Artikel, von denen die beiden ersten die volle Superiorität des Konzils über den Papst aussprachen; der dritte enthielt einen scharfen Tadel über die Flucht des Papstes, und der vierte die Erklärung, dass bis dahin alle in Konstanz Anwesenden, auch Papst Johannes, volle Freiheit der Abstimmung genossen hätten. Diese Artikel sollten nun in der 4. Sitzung vom 30. März publiziert werden.

Infolge von Verhandlungen, welche zwischen Sigismund, den Kardinälen und den Deputierten der Nationen am Abend des 29. und noch am Morgen des 30. gepflogen wurden, beschränkte man sich aber darauf, um die Kardinäle nicht von den Nationen zu trennen, nur den ersten Artikel und auch diesen nur in einer abgekürzten Fassung zu verkündigen. Hierüber waren natürlich die meisten Teilnehmer an der Versammlung, denen von den statt gefundenen Unterhandlungen wegen der Kürze der Zeit nichts hatte mitgeteilt werden können, höchlichst verwundert und zum Teil erbittert. Auch liefen in Konstanz ungünstige Nachrichten über Papst Johannes ein und erschwerten den Kardinälen die Parteinahme für denselben.

Eine falsche Auffassung über das Verhältnis von Konzil und Papst

Daher wurde in der 5. Sitzung am 6. April die zwei ersten Artikel vom 29. März ihrem vollen Wortlaut nach angenommen und dazu noch zwei weitere:

1. Die Konstanzer Synode, welche rechtmäßig im heiligen Geist versammelt ist, ein allgemeines Konzil bildet und die gesamte streitende Kirche vertritt, hat ihre Gewalt unmittelbar von Gott, und jedermann, wessen Standes er sei, auch der Papst, ist ihr zu gehorchen verpflichtet in dem, was den Glauben, die Tilgung des Schismas und die Reformation an Haupt und Gliedern anbetrifft. –

2. Wer immer, wessen Standes er sei, auch der Papst, den Befehlen und Anordnungen dieser heiligen Synode oder eines andern rechtmäßig versammelten, allgemeinen Konzils in den genannten oder darauf bezüglichen Punkten beharrlich den Gehorsam verweigert, ist der Buße zu unterstellen und gebührend zu bestrafen, nötigenfalls mit Zuhilfenahme anderer (d. h. weltlicher) Rechtsmittel. –

3. Papst Johann kann die römische Kurie und ihre Beamten, deren Entfernung die Auflösung oder Verletzung des Konzils nach sich ziehen würde, ohne Zustimmung der Synode nicht von Konstanz abberufen. –

4. Alle Strafen u. dgl., welche der Papst seit seiner Entfernung aus Konstanz gegen Anhänger und Mitglieder des Konzils verhängt, sind kraftlos.

Dieses sind die viel besprochenen vier Artikel der 5. Konstanzer Sitzung, in denen eine Auffassung des Verhältnisses zwischen Papst und Konzil zum Ausdruck gelangt, welche bis auf die Gegenwart herab Verteidiger gefunden hat. Man hat wohl gesagt, die Konstanzer Versammlung habe bei diesen Beschlüssen nur den Fall eines Schismas vor Augen gehabt, so dass also die Superiorität des Konzils über den Papst nicht für alle Fälle, sondern nur gegenüber zweifelhaften Päpsten ausgesprochen wäre. So Turrecremata, der auch in Konstanz anwesend war, auf dem Konzil zu Florenz (Nat. Alex. Hist. Eccl. ed. Roncagl. IX, 357 bis 361). Allein diese Auffassung ist nicht stichhaltig.

Allerdings verdankte die Konstanzer Ansicht über das Verhältnis des Konzils zum Papst dem Schisma ihr Entstehen; aber nichts desto weniger sind doch die betreffenden Beschlüsse selbst sowohl nach der Absicht ihrer Urheber, als auch nach ihrem Wortlaut allgemein gehalten und keineswegs auf den Fall des Schismas beschränkt. Sobald und solange ein allgemeines Konzil versammelt sei, besitze dasselbe unmittelbar von Christus die höchste Gewalt in der Kirche. Selbst der Papst, der sonst die höchste Gewalt habe, sei doch dem Konzil unterworfen. Dieses ist die Meinung der Konstanzer, wie sie sowohl in den Beschlüssen der 5. Sitzung, als auch in den Reden und Schriften ihrer Stimmführer klar ausgesprochen wird. Dasselbe lässt sich auch aus dem Verhalten der Kardinäle erschließen.

Das Konzil bestimmt auch seine Autorität über einen rechtmäßigen Papst

Den ersten Artikel hatten sie in der 4. Sitzung angenommen, nachdem die Worte „und die Reformation an Haupt und Gliedern“ gestrichen waren. Denn was dann noch übrig blieb, dass nämlich auch der Papst dem Konzil gehorchen müsse in dem, was den Glauben und die Tilgung des Schismas angeht, ließ sich zur Not mit den Rechten des Primates in Einklang bringen. Ist ja doch auch der Papst an die Glaubensdekrete der anerkannt ökumenischen Synoden gebunden, und die Erwähnung des Schismas legte sogar den Gedanken nahe, daß man nur einen zweifelhaften Papst der Konzilsautorität unterwerfen wolle.

Nachdem aber obige Worte wieder hergestellt waren, konnte es keinem Zweifel mehr unterliegen, dass der Artikel sich auf den allgemein als rechtmäßig anerkannten Papst bezog; denn das Reformationswerk sollte eben erst nach Beseitigung des Schismas in Angriff genommen werden. Deshalb wollten die Kardinäle den Artikeln der 5. Sitzung nicht zustimmen. Von den zwölf in Konstanz anwesenden Kardinälen waren nur acht in dieser Sitzung erschienen, und auch diese unter der ausdrücklichen Verwahrung, dass sie es bloß täten, um Ärgernis zu vermeiden, nicht aber, um die Beschlüsse zu billigen. Es wollte auch keiner von ihnen die Artikel zur Abstimmung vorlesen; daher unterzog sich der Bischof Andreas von Posen dieser Aufgabe.

Endlich wird die Meinung der Konstanzer hinsichtlich der Beschlüsse der 5. Sitzung auch dadurch hinlänglich klargestellt, dass sie auf Grund eben dieser Beschlüsse sofort gegen Johannes XXIII. vorgingen, den sie doch bis dahin für den allein rechtmäßigen Papst gehalten hatten. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 7, 1891, Sp. 981 – Sp. 985

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