Habe keine Rachegedanken gegenüber dem Feind
„Lass dich nicht vom Bösen überwinden!“ (Röm. 12, 21)
Man hat schon öfter den Gedanken ausgesprochen, der sei kein rechter Mensch, der keinen Feind habe. Jedenfalls kann auch der beste Mensch und Christ seine Feinde haben, wie ja auch Christus selber sie gehabt. Entweder es drängt sich irgend eine kaum erklärliche Abneigung zwischen uns und andere, oder der Kampf ums Dasein, Konkurrenz und Wettbewerb bringen uns in einen meist persönlich empfundenen Gegensatz zu anderen, oder aber, es hat sich wirklich bereits ein Unrecht ereignet; Mangel an Höflichkeit und Aufmerksamkeit, leichtsinnige oder böswillige Nachreden, böse Schädigung unserer Interessen oder Beleidigung unserer Persönlichkeit sind die Anzeichen der ausgesprochenen Feindschaft.
Doch sie künden einstweilen nur einseitige Feindschaft an, und deren Ausbruch konnten wir vielleicht nicht hindern; aber wenn es auch nicht in unserer Macht steht, keine Feinde zu haben, so steht es doch in unserer Macht, nicht auch selber ein Feind zu sein und vom auflodernden bösen Feuer der Feindschaft unser eigenes Wesen zu bewahren. „Lass dich nicht vom Bösen überwinden!“ mahnt der Apostel, oder mit anderen Worten: Vergilt nicht Böses mit Bösem! Vergilt dem Nächsten nicht, wenn er dir weh getan! War denn der Stein, den er nach dir geworfen, wirklich so wuchtig?
In der ersten Erregung erscheint uns jede Beleidigung oder Schädigung immer in grotesker, traumhaft verzerrter Vergrößerung. Aber mit jedem Tag schrumpft sie dann mehr zu einer Bagatelle, einer Kleinigkeit, einem Nichts zusammen, das nicht des Ärgers, nicht der Rede, höchstens eines Lächelns wert war. Allerdings sagt man auch: Nicht das, was man uns angetan, sondern die Gesinnung, in der man es getan, ist es, was uns so bitter macht, dieser Hochmut, dieser Stolz!
Aber angenommen auch, die innere Schlechtigkeit des Nächsten sei wirklich so groß und außergewöhnlich und er habe auch nicht selber schon Reue und Scham über sein Tun empfunden, ist ein solcher Mensch dann nicht doppelt arm und bemitleidenswert? Er ist bereits geschlagen, wir brauchen ihn nicht selber auch noch zu schlagen. Die Sünde ist die härteste Strafe ihrer selbst.
Aber wenn wir dem Beleidiger auch nicht verzeihen wollen um seinetwillen, dann müssten wir es doch tun um unseretwillen. Um unser selbst willen dürfen wir den Stein, den man nach uns geworfen, nicht wieder zurückwerfen.
„Nachjubelst du laut dem argen Stein,
Wie du ihn sicher geworfen hast,
Still legt ihn Gott zu d einer Last
Ins Reisebündel dir hinein!“ (H. Nordeck.)
Was trägt da mancher eine schwere Last von Steinen, die er geworfen oder erst noch werfen möchte! Rache macht das Herz nicht glücklich, sie macht das Herz nur schwer. „Der Geist des Rachsüchtigen“, wie einmal ein Menschen-Beobachter gesagt hat, „ist erfüllt von der Erinnerung an Beleidigungen, die ihm selbst und andern heute und ehemals zugefügt worden sind; die Zukunft ist für ihn Unheil schwanger, die Unruhe lebt in seiner Seele; sein Unvermögen, das Rechtsgefühl zu befriedigen, flößt ihm Hass ein gegen alles, was er sieht. Alles macht ihn argwöhnisch und wütend.“
Nicht erleichtert, sondern doppelt schwer wird das Herz, wenn dann die Rache verübt ist. Dann drückt das Bewusstsein, eine schlechte Tat getan und wieder um eine Stufe sich erniedrigt zu haben, und zugleich drückt das Bewusstsein, dass, wie ein Weiser Indiens sagt, „Feindschaft nie durch Feindschaft zur Ruhe kommt“ und dass es „der Fluch der bösen Tat, stets fortzeugend Böses zu gebären“.
Sollten wir aber so von der Rachsucht besessen sein, dass wir weder um unser noch um des Nächsten willen von der Rache abstehen wollen, dann möge uns wenigstens der Gedanke an Gott, die Furcht vor seiner Majestät abschrecken von der Wiedervergeltung!
Rache nehmen heißt sich vergreifen an den Majestätsrechten Gottes. Eines dieser ewigen Rechte hat er proklamiert mit dem gewaltigen Wort: „Mein ist die Rache!“ (Dt. 32, 35) Gewiss, Gerechtigkeit muss sein. Aber wer hat uns schwache, zum Irrtum und zur Leidenschaftlichkeit geneigte Menschen zu Vollziehern der Gerechtigkeit bestellt? Oder glauben wir etwa, diese Gerechtigkeit Gottes gar ergänzen zu müssen, von der es heißt, es sei „furchtbar in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen“ (Hebr. 10, 31), oder dem vorauseilen zu müssen, von dem es heißt, „er säume nicht“ (Sir. 7, 18).
Erschrocken über solche Kühnheit, hält der Apostel die Rachgierigen zurück: „Rächt euch nicht selbst, meine Liebsten: macht vielmehr Platz dem Zorn (Gottes); denn es steht geschrieben: mein ist die Rache und ich will vergelten, spricht der Herr.“ (Röm. 12, 19)
Selbst Christus war in der Zeit seines Erdenlebens beseelt von diesem Gedanken. „Da er gescholten ward, schalt er nicht, und da er duldete, drohte er nicht, sondern stellte es dem anheim, der da richtet.“ (1. Petr. 2, 23) Da der eigene Sohn die Majestätsrechte des ewigen Richters nicht antasten wollte, wie darf ein gewöhnliches Menschenkind es wagen? Rache nehmen ist ein Stück praktischen Atheismus, ein Stück praktischen Heidentums. Wer Rache nimmt, setzt sich an Gottes Stelle. Fürchte Gott und lass alle Rachegedanken fahren! –
aus: Bonifaz Wöhrmüller OSB, Das königliche Gebot, 1936, S. 222 – S. 224
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