Fastenpredigt zu Aschermittwoch
Gott hat uns die Zeit zur Buße gegeben
Auszug aus der Predigt von Paul Segneri SJ
Memento homo quia pulvis es, et in pulverem reverteris.
Gedenke Mensch, daß du Staub bist, und wieder in Staub zurückkehren wirst.
Teil 2
Wenn es an einem Menschen, der, wie Staub, bei jedem Lüftchen sich auflösen kann, wie wir gesehen haben, höchst verwegen ist, nur einen Augenblick in schwerer Sünde zu leben; was werdet ihr mir diesen Morgen zu eurer Rechtfertigung antworten, ihr, die ihr in solcher Sünde nicht nur Augenblicke, sondern Tage, Wochen, ja Monate und ganze Jahre verlebt? Handelt ihr bescheiden, benehmt ihr euch weise? Welche Wahrscheinlichkeit bleibt euch, daß ihr euch nicht verdammt? „Niemand kann sich lange so vielen Gefahren sicher aussetzen?“, sagt Seneca. Und warum? Wer sich der Gefahr aussetzt, geht einmal darin zu Grunde. Einmal über den Giebel des Daches gehen, und nicht herab stürzen; einmal auf die Leimruten treten, und nicht hängen bleiben; einmal Gift schlürfen, und daran nicht sterben, ist noch kein Wunder. Sei es besonderer Schutz des Himmels, oder bloßer Zufall, es ereignet sich bisweilen; daß aber Jener nicht zu Grunde gehe, der sich mit Gift wie mit Wasser sättigen will; daß Jener nicht hängen bleibe, der sich auf die Leimruten wie auf Blumen hinlegt; daß Jener nicht stürze, der auf dem Dachgiebel wie auf ebenem Boden tanzen will, wo werdet ihr das finden? Wenn es schon so törichte Verwegenheit ist, sich ein einziges Mal der Gefahr der Verdammnis auszusetzen, und wenn es auch nur auf einen Augenblick geschähe; was wird es erst dann sein, wenn ihr so lange darin verweilt, so daß im Jahre mehr Tage sind, wo ihr augenscheinlich einer solchen Gefahr ausgesetzt, als wo ihr wahrscheinlich sicher seid?
Sehr häufig trifft man unter Christen die Neugierde, womit sie fragen, ob in der Kirche die Anzahl derer größer sei, die nach dem Tode selig, oder derer, die verdammt werden. Mir steht es nun nicht zu, in dieser Frage als Schiedsrichter aufzutreten; wenn es mich aber träfe, würde ich mich lieber auf die günstigere Seite neigen, und sagen, daß unter den Katholiken die Zahl der Auserwählten größer sei, als die der Verdammten. Obwohl aber noch Viele der nämlichen Meinung sind, weiß ich doch nicht, ob ihr unter den neueren sowohl als unter den älteren Theologen auch nur Einen findet, der sagt, daß die Mehrzahl der Gewohnheits-Sünder sich rette. O gewiß nicht! Der heilige Gregor (Gregor. I. 25. in Job), der heilige Augustin (Aug. de vera et falsa peon. c. 17), der heilige Ambrosius (Ambros. adhort. Ad poen. c. 17), der heilige Hieronymus, welches die vier größten Kirchenlehrer sind, behaupten alle das Gegenteil, und folgende sind die ausdrücklichsten Worte des heiligen Hieronymus, die mir die schlagendsten schienen: „Von hunderttausend Menschen, die stets ein böses Leben führten, verdient kaum einer von Gott Begnadigung.“ (Hier. Relat. Ab Eusebio in Epist. Ad Damas.) Und Niemand soll sich darüber wundern; denn der Mensch stirbt gewöhnlich, wie er gelebt hat. Haut man einen Baum um, auf welche Seite wird er fallen? Auf jene, wohin er sich neigt. Neigt er sich gegen die rechte, fällt er auf die rechte; neigt er sich gegen die linke, fällt er auf die linke. Die nun in Sünden fortleben, neigen sich immer gegen die linke, und wollen dann, wenn sie umgehauen werden, sowie die Guten auf jenen Punkt hin – eine solche Gnade erheben, die wie ein Sturmwind sie mit wunderbarem Andrang auf die entgegen gesetzte Seite zurück triebe. Doch wer wird einer solchen Gnade gewürdigt? Von hunderttausend, mit harter Mühe, Einer. Wenn ihr nun offenbar euch in einem Zustand befindet, aus dem sich schließen läßt, daß ihr weit wahrscheinlicher verdammt, als selig werdet, begeht ihr nicht eine törichte Verwegenheit, wenn ihr noch länger im selben verweilt? Und sollten auch von den Sündern, die euch gleichen, der Mehrzahl selig und der mindere Teil verdammt werden, so sollet ihr nichts desto weniger euch beständig fürchten, nicht etwa in der Zahl jener Unglücklichen zu sein. Was wird es nun aber für eine Bewandtnis haben, da die meisten verdammt und die wenigsten selig werden?
Der heilige Hieronymus behauptet, daß nicht von zwanzig oder dreißig, sondern von hunderttausend Gewohnheitssünders kaum Einer selig werde. Ist es also möglich, daß ihr euch mehr ermutigt ob dem Glück von Einem, als ob dem Unglück von neunundneunzig tausend neunhundert neun und neunzig. Zehn waren jene Brüder, die zu Joseph in Ägypten um Getreide gingen: doch als sie hörten, daß Einer von ihnen als Gefangener zurück bleiben müsse, war ihr Kummer allgemein. Zwölf jene Jünger, die von Christus in Jerusalem vor seinem Tode zu Tische geladen worden: doch als sie vernahmen, daß Einer von ihnen zu seinem Verräter werden sollte, erschraken sie Alle, Einer wie der Andere. Zu wissen aber, daß die Mehrzahl derjenigen, die leben, wie ihr lebt, verdammt werden, macht das euch keine Furcht? – Siehe! Da bewahrheitet sich`s am Sünder, was Job sagt: „Gott hat ihm Zeit zur Buße gegeben, und er mißbraucht sie zur Hoffart.“ (Job 24, 23) O welch` eine Hoffart! Glauben, er müsse jener einzig Beglückte sein, der sich aus so großer Niederlage rette! Jener Hochbegünstigste, auf den man einstens im Himmel wie auf ein Wunder hinzeigen solle! „Als wie Einer, der dem Gemetzel der Schlacht entkommen“, sind die Worte des Sohnes Sirachs. (Eccli. 40, 7) Laßt mich hin zu den Füßen des Gekreuzigten, ihm will ich meine Not klagen.
Mein lieber Jesus, woher kommt denn so viel Hochmut in die Herzen der Menschen? Wer hat sie so stumpfsinnig, wer so töricht gemacht? Ist denn ihre Freude, dich zu beleidigen, so groß, daß sie ihren eigenen Schaden darüber vergessen? O wüßte ich doch, welchen Weg ich diese Fastenzeit einschlagen solle, um sie zu demütigen, sie zu besänftigen, und sie alle zu deinen Freunden zu machen! Willst du, daß ich sie in aller Geduld bitte, so werde ich sie bitten. Du willst, daß ich sie ermahne? So werde ich sie ermahnen. Willst du,, daß ich ihnen drohe, ich werde ihnen mit Strenge drohen; für dich bin ich hier. Befiehl nur, und ich werde Alles tun. Nicht Beifall fordere ich, noch Lob: ich verlange nur dir zu gefallen. Wer weiß, ob diese nicht die letzte Fasten meines Lebens sei? Buße, o mein Volk, Buße! Zögere nicht, so vielen Anstoß zu entfernen; zögere nicht, so vielen Haß aus deinem Herzen auszureißen; zögere nicht, jede sündhafte Sitte zu beweinen. Willst du es nicht tun? So berufe ich mich denn auf die Asche, die wir noch auf dem Haupte haben. Siehe, da ist sie, decken wir sie auf, zeigen wir sie her. Sehe ich sie diesen Morgen nicht ebenso auf die grauen, wie auf die blonden Haare gestreut? Auf diese berufe ich mich denn, diese sollen sagen, sie solle entscheiden, ob es eine Verwegenheit gebe, die dieser gleiche: zugeben, daß man jeden Augenblick sterben könne, und sich doch erkühnen, nur einen Augenblick in schwerer Sünde zu leben. –
aus: Paul Segneri SJ, Fastenpredigten Bd. 1, 1880, S. 39 – S. 43