Lexikon für Theologie und Kirche
Stichwort: Judas Iskariot
Judas Iskariot, einer der zwölf Apostel und der Verräter des Herrn, führt seinen Beinamen nach der Stadt Kariot, einer Stadt in Judäa südlich von Hebron, jetzt Kariatein. Andere Erklärungen seines Beinamens (Hieron.: ex tribu Issachar; Mann der Lügen, der Erdrosselte; Mann mit dem Beutel) sind als veraltet zu bezeichnen; sie verbieten sich meist schon deswegen, weil nach der richtigen Lesart von Joh. 6, 71 und 13, 26 auch der Vater des Judas jenen Beinamen führte, wohl weil er aus Judäa nach Galiläa ausgewandert war. War daher auch Judas selbst nicht Judäaer, so floss doch wohl judäisches Blut in seinen Adern. Seine Berufung wird in den Evangelien nicht besonders erzählt, aber sein Name ist Matth. 10, 4; Mark. 3, 19; Luk. 6, 16 in die Apostelverzeichnisse aufgenommen und zwar überall an letzter Stelle. Er spielt keine Rolle während des Zusammenlebens mit Jesus, eine um so traurigere am Ende desselben. Der ausführliche Bericht der Evangelien hierüber (Matth. 26; Mark. 14, Luk. 22; Joh. 13 u. 18) enthält folgende Hauptmomente. Zwei Tage vor dem Passah (nicht, wie es nach den sachlich, nicht chronologisch angeordneten Berichten Berichten der heiligen Matthäus und Markus scheinen könnte, schon vom Mahl in Bethanien weg) begibt sich Judas zu den Synedristen und macht ihnen das Angebot, Jesus um Geld in ihre Hände zu liefern; freudig gehen sie auf sein Anerbieten ein, stoßen den gefassten Beschluss um, mit der Gefangennehmung und Tötung Jesu bis nach dem Fest zu warten, und zahlen Judas 30 Schekel (ca. 70 Mark) aus gegen das Versprechen, bei der nächsten günstigen Gelegenheit ihnen zur Ergreifung des Herrn im Stillen behilflich zu sein. Judas kehrt in den Apostelkreis zurück, macht das letzte Abendmahl mit, hört verstockt die Hinweise Jesu auf den Verrat und den Verräter an, empfängt auch noch die heilige Kommunion (siehe dazu die Frage: Hat Judas Iskariot die heilige Kommunion erhalten?) und entfernt sich erst auf den direkten weg Befehl des Herrn (Joh. 13, 27). Er wusste, wohin Jesus sich in dieser Nacht begeben würde; dorthin führte er die aus der Tempelwache und römischem Militär gebildete bewaffnete Schar und machte ihr Jesum durch den schändlichen Verräterkuss kenntlich.
Durch diese empörende Untat, die in so schauerlichem Kontrast zur Apostelstellung und zum dreijährigen Zusammenleben mit dem Herrn steht und allen Glauben an menschliche Treue und Ehrlichkeit Hohn spricht, hat der Name Judas in der ganzen Christenheit einen furchtbaren Klang bekommen, und schon der Klang dieses Namens weckt die Doppelfrage, wie es möglich gewesen, daß Judas zum Apostel erwählt, daß der Apostel zum Verräter wurde. Die Evangelisten haben indirekt diese Fragen berücksichtigt und beantwortet. Sie wehren den Schein ab, als ob Jesus sich in diesem Jünger getäuscht habe, als ob er seiner Hinterlist zum Opfer gefallen sei. Mehrmals und mit größter Bestimmtheit, so betonen alle vier Evangelisten, hat Jesus den Verrat eines der Zwölfe am letzten Abendmahl vorausgesagt, und Johannes fügt ergänzend bei, daß Jesus von Anfang an den Verräter gekannt und schon nach der Rede in der Synagoge von Kapharnaum Judas als Teufel gekennzeichnet habe (6, 65. 71); auch habe der Herr selbst sich zur Begründung der Aufnahme und der Duldung des Verräters auf den in der Schrift kund gegebenen Ratschluss Gottes berufen (Joh. 13, 18; 17, 12; vgl. Matth. 26, 24; Mark. 14, 21; Apg. 1, 16. 25). Daß durch letzteren die persönliche Schuld des Judas nicht verändert oder gemindert wird, beweist das Wehe, welches der Herr unmittelbar nach dem Verweis auf die alttestamentliche Prophetie über den Verräter ausspricht. –
Quelle: Wetzer und Welte`s Kirchenlexikon, Bd. 6, 1889, S. 1917 – Sp. 1918
Der Verrat selbst, in der Nacht vom 14./15. Nisan, bestand darin, daß Judas durch Führung der Häscher (Apg. 1, 16; vgl. Lk. 22, 47) an den ihm bekannten nächtlichen Aufenthaltsort Jesu auf dem Ölberg (Joh. 18, 2; Lk. 21, 37) und Kenntlichmachung des Gesuchten durch den Begrüßungskuss (Mk. 14, 44f u. Parall.) eine „listige, d. h. heimliche Verhaftung ermöglichte, was wegen der Überfüllung „Groß-Jerusalems“ mit Paschafest-Pilgern äußerst schwierig und doch wegen des bei öffentlicher Gefangennahme drohenden „Volksaufruhrs“ (Mk. 14, 2 u. Parall.) unbedingt nötig war. Der von Judas nicht geforderte (Mk., Lk.) Verräterlohn betrug nach Mt. (26, 15; 27, 3 9) 30 Silber-Schekel, etwa 78,60 Mark. Über den Selbstmord des Judas durch Erhängen besitzen wir 3 Berichte: Mt. 27, 3-5 (6-10); Apg. 1, 16-19 (20), Papias (Migne PG V 1260). (siehe den Beitrag: Das Ende des Judas Iskariot durch Selbstmord) Daß der Verrat und die Verrätergestalt geschichtlich sind, hat seine stärkste Stütze in der Zugehörigkeit des Verräters zu den Zwölf, ein Zug, den man nicht erfunden hätte, da durch ihn die Apostel aufs schwerste kompromittiert werden. Judas erfuhr Verehrung bei der gnostischen Sekte der Kainiten, die ein „Judas-Evangelium“ gebrauchten. –
aus: Michael Buchberger, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. V, 1933, Sp. 1917 – Sp. 1918
Weitere Beiträge zu Judas Iskariot:
Warum Judas Iskariot zum Verräter wurde