Der Geist der wahren Andacht zu Gott
Worte des heiligen Johannes vom Kreuz
Johannes vom Kreuz hat mehrere tiefsinnige Schriften hinterlassen; sie sind gleichsam heraus gewachsen aus seinem innerlichsten Leben in Gott. Und es wird wohl nicht unangemessen sein, wenn ich zum Schluss noch gleichsam ein Glas voll dieses geistigen Weines schöpfe und hier vorsetze:
„Gott liebt in dir mehr die geringste Stufe des Gehorsams und der Unterwerfung, als alle andern Dienste, die du ihm zu leisten vermeinst.“
„Worauf wartest du, und was schiebst du weiter auf, da du in diesem Augenblick Gott in deinem Herzen lieben kannst?“
„Habe eine liebevolle Andacht zu Gott, ohne Begierde etwas Besonderes von ihm zu empfangen.“
„Gott, damit er eine Seele liebe, sieht nicht ihre Vortrefflichkeit an, sondern ihre große Demut und Selbstverachtung.“
„Was hilft es, eine Sache Gott geben, wenn er eine andere von dir fordert? Gib Acht, was Gott haben will; dies wird dich mehr zum Frieden führen, als das, wozu du geneigt bist.“
„Nichts ist uns nötiger, als still zu schweigen vor diesem großen Gott, sowohl mit der Begierde, als mit der Zunge; seine Sprache, die er am liebsten hört, ist die still schweigende Sprache der Liebe.“
„Achte nichts groß, sei es noch so groß und köstlich, als nur Gottes Gnade und Freundschaft; denn die kostbarsten Dinge dieses Lebens sind häßlich und bitter in Vergleich der ewigen Güter, wozu wir von Gott geschaffen sind.“
„Alles Gute entsteht durch das Hinzunahen der Seele zu Gott, durch die Zuneigung des Willens; und aus dem Abweichen des Willens, durch die Liebe zum Geschaffenen kommt alles Übel in die Seele.“
„Ein Herz, das frei ist von Anklebung der Kreaturen, ängstigt sich nicht mit Sorgen und Kümmernissen, weder in dem Gebet noch außer demselben, und gewinnt dabei große geistliche Güter. Wer aber Anklebungen hat, denkt beim Gebet hin und her an seinen Strick, womit sein herz verstrickt und besessen ist.“
„Ach! Herr, mein Gott! Wie so viele Festtage feiern dir die Menschenkinder, an welchen der Teufel mehr Teil hat, als du! – woran aber eben der Teufel sich belustigt, weil er als ein Krämer zu solcher Zeit seinen Jahrmarkt hält.“
„Die Mitteilungen, welche wahrhaft von Gott herkommen, haben diese Eigenschaft an sich, daß sie beides tun: die Seele demütigen und zugleich auch erheben.“
„Wenn eine Seele nur den geringsten Strahl der unendlichen Schönheit Gottes sähe, so würde sie nicht nur gern den Tod leiden, dieses Gesicht ewig zu genießen, sondern sie würde auch gerne tausend Martertode ausstehen, um diese Schönheit nur einen Augenblick zu sehen. Und nachdem sie solche gesehen, würde sie auf`s Neue verlangen, so viele Tode zu leiden, um sie noch einen Augenblick zu sehen.“
„Gleichwie zur Zeit des Frühlings die Anmut der frühen Morgenstunde vergnüglicher ist, als sonst während des ganzen Tages: also ist auch die Tugend Gott in der Jugend die aller angenehmste.“
„Der Geist der wahren Andacht besteht darin, daß man mit Geduld und Demut und Misstrauen zu sich selbst im Gebet ausharrt, bloß allein mit der Absicht, um Gott zu gefallen.“
„Ein einziges Werk oder eine einzige Tat des Willens, so in der Liebe verrichtet wird, ist vor Gott köstlicher, als alle Erscheinungen und Offenbarungen, die einer von Oben erlangen könnte.“
„Damit du die Unvollkommenheiten und Beunruhigungen mögest vermeiden, welche aus dem Umgang mit Andern entstehen können, und du noch aus allen Vorfällen Nutzen habest, so gedenke, daß Alle im Hause dazu gesandt sind, um dich zu üben, dieser mit Worten, jener mit seinem Tun, ein dritter mit übler Gesinnung gegen dich. Sei da unterworfen wie ein Bild dem Bildhauer, der daran weg stemmt.“ –
aus: Alban Stolz, Legende oder der christliche Sternhimmel, Bd. 4 Oktober bis Dezember, 1872, S. 328 – S. 329