Mittels des Rosenkranzes Gottes und seiner hl. Mutter Willen uns zu eigen machen
7.
Obschon ich bis jetzt den Rosenkranz nicht genannt, so habe ich doch immer von ihm gesprochen; denn so wie Unsere Liebe Frau Gott trug, während er in ihrem reinen Schoße wohnte, und wie sie ihn brachte, wohin sie wollte, so werden wir mittels des Rosenkranzes Gott und seine hl. Mutter bringen, wozu wir wollen und seinen Willen uns zu eigen machen. In jener oft angeführten Stelle: Cant. 7, 2. Venter tuus sicut acervus tritici vallatus liliis, dein Leib ist wie ein Weizenberg, mit Lilien umgeben, sind zwei Stücke ganz sicher: erstens, daß buchstäblich von einem jungfräulichen Leib die Rede ist, wie alle Ausleger sagen; zweitens, daß bei dem Worte liliis, Lilien, an Rosen zu denken ist, wie es denn auch im Original heißt vallatus rosis, von Rosen umgeben. Demnach haben wir hier einen doppelten Umkreis und einen doppelten Reif; den Umkreis des allerreinsten Schoßes, in dem die hl. Jungfrau den in ihr wohnenden Sohn Gottes umschloss; und nach außen einen andern Umkreis von Rosen, die den heiligen Leib umgaben; venter tuus vallatus rosis. Daß der Kreis von Rosen den Rosenkranz in seiner Reihenfolge bedeutet, ist gewiss.
Wenn also an diesen gedacht werden muss, inwiefern ist dann mit ihm der allerreinste Leib umgeben? So wie die hl. Jungfrau mit dem Kreis ihres heiligen Schoßes Gott umschloss und Gott brachte, wohin sie wollte, so werden wir mit dem Kreis des Rosenkranzes, womit nach unserer Stelle ihr heiliger Schoß umschlossen ist, die Gottesmutter samt ihrem Sohn bringen, wozu wir wollen. Wir entnehmen dies aus dem Wort der Mutter selbst, die am besten den Willen ihres göttlichen Sohnes kennt. –
Von ihren Dienern sagt die hl. Jungfrau, sie bemühten sich, alltäglich an ihrer Türschwelle zu erscheinen: Prov. 8, 34. qui vigilat ad fores meas quotidie et observat ad postes ostii mei: der an meinen Toren wacht Tag für Tag und harret an der Schwelle meiner Türe. Nicht einzutreten ist ein Kennzeichen dessen, der sich um jemand herum aufhält, um ihm seine Bitte vorzutragen; und daß diese Bemühung sich jeden Tag, quotidie, wiederholt, ist ein Kennzeichen der Rosenkranz-Andacht; und was werden die erlangen, welche Unsere Liebe Frau umgeben und umringen? Eine wunderbare Antwort hierauf gibt der hebräische Originaltext, der uns fest verheißt, wir sollen von Gott dem Herrn erlangen, was wir wollen. Diesen Text übersetzt Vatablus: Assequetur quidquid volet a domino, erlangen wird er vom Herrn, was er will. Pagninus: Educet, quidquid voluerit a Domino, gewinnen wird er, was er nur vom Herrn will. Cajetan: quidquid voluerit a Deo, facile obtinebit, was er nur vom Herrn will, wird er leicht erhalten. Allgemeiner konnte die verheißene Belohnung nicht ausgedrückt werden; allein in solcher Weise macht den Willen des Sohnes jeder sich zu eigen, der mittelst des Rosenkranzes den Willen der Mutter zu sich herüberzieht. Allein warum haben wir gesagt, die hl. Jungfrau könne von Gott erlangen, was sie wolle, selbst in dem Falle, wenn ihr Sohn nicht zu wollen scheine? Wir wollen auch dies am Rosenkranz sehen. –
Wegen des sündhaften Götzendienstes mit dem goldenen Kalb beschloss der Herr auf ein Mal jenes undankbare und widerspenstige Volk zu vernichten, und dies teilte er Moses unter der Verheißung mit, er wollte ihm die Führung eines größeren und besseren Volkes übertragen; allein Moses, der seine Untertanen liebte, wie alle Herrscher sollen, aber nicht tun, bat Gott, ihnen zu verzeihen, und nahm Abraham, Isaak und Jakob zu Vermittlern, indem er sagte: Ex. 32, 13. Recordare Abraham, Isaac et Jacab, gedenke Abrahams und Isaaks und Jakobs. Hierbei wundert sich Theoderet, nicht über Moses Bitte, sondern über die angerufenen Vermittler; denn dies scheine der Gewalt nicht zu entsprechen, die Gott ihm bei jener Züchtigung eingeräumt hatte, indem er sagte: Ib. Dimitte me, ut irascatur furor meus contra eos, et deleam eos, Lass mich, damit mein Zorn gegen sie ergrimme und ich sie verderbe. Hiernach zu urteilen, hätte ja Moses selbst Gottes Zorn zurückhalten können. Jene Worte bezeichnen, was seine Rache noch erst vorhatte zu tun; warum vertraut denn Moses nicht auf die Macht seines Bittens, sondern beruft sich auf Abraham, Isaak und Jakob? Weil er der Ansicht war, zur Erlangung einer Sache, die gegen den Willen Gottes zu sein schien, seien die Geheimnisse des Rosenkranzes von Nöten. Gebt nur Acht. –
In jenen drei großen Patriarchen waren die Geheimnisse des Rosenkranzes nach ihrem dreifachen Unterschied vorgebildet. Abraham, dem Gott befahl, Heimat und Verwandten zu verlassen, stellte die erste Reihe der Geheimnisse dar, denen zufolge der Sohn Gottes den Himmel und den Schoß seines Vaters verlassen hat und auf Erden erschienen ist. Isaak, der auf dem Berg geopfert ward, bedeutete die folgende Reihe, der zufolge Gottes Sohn das Kreuz auf seine Schultern nahm und auf dem Kalvarienberg aufgerichtet und geopfert ward. Jakob mit der Leiter, die von der Erde sich zum Himmel erhob, bedeutete die letzten Geheimnisse, denen zufolge der Sohn Gottes nach seiner Auferstehung glorreich zum Himmel gefahren ist und nun zur Rechten des Vaters thront. Noch mehr? Ja, denn jede der drei Reihen von Rosenkranz-Geheimnissen besteht aus der gleichen Anzahl von fünf.
Als Abraham die ersten darstellte, indem er fremd aus seiner Heimat zog, hieß er nicht Abraham, sondern Abram: Gen. 12, 4. Egressus est itaque Abra, sicut praeceperat ei Dominus. Also zog Abram aus, wie der Herr ihm befohlen. Da nun die Namen Abram, Isaak, Jakob aus je fünf Buchstaben bestehen, so finden wir in den drei Patriarchen nicht bloß die drei Reihen der Rosenkranz-Geheimnisse, sondern auch die Anzahl jeder einen Reihe ausgedrückt: die fünf freudenreichen in dem Namen Abram; die fünf schmerzenreichen in dem Namen Isaak; die fünf glorreichen in dem Namen Jakob. Es knüpfte sich also Moses Gebet an die Geheimnisse des Rosenkranzes, die vorbildlich dargestellt waren: als dreifache Reihe in den drei Patriarchen selbst, als fünffache Glieder in ihren Namen. Zuversicht genug hatte Moses, um anzunehmen, daß der Wille Gottes dem seinigen nachgeben und nicht zu der Rache schreiten werde, die sein Zorn verlangte; Ex. 32, 14. Placatusque est dominus, ne faceret malum, quod locutus fuerat adversus populum suum. Und der Herr ließ sich versöhnen, daß er das Übel nicht tat, so er gegen sein Volk geredet hatte. Sprecht den Rosenkranz und habt feste Zuversicht auf seine Macht und auf die erhabene Morgenröte der Gnade; wie sie, so lange Gott in ihrem Schoße wohnte, ihn brachte, wohin sie wollte, so werdet auch ihr ihn zu allem bringen, und er wird nicht bloß zur Zeit der Züchtigung seine Hand zurückziehen, sondern euch auch mit allen Gnaden erfüllen. –
8.
Wir haben zu Anfang gesagt, daß Unsere Liebe Frau mit Gottes Sohn in ihrem Schoße drei große Reisen gemacht: die erste von Nazareth auf’s Gebirge, die zweite vom Gebirge nach Nazareth, die dritte von Nazareth nach Bethlehem. Dies waren die drei Orte, die durch die ersten Geheimnisse des Rosenkranzes nicht vorbildlicher, sondern wirklicher Weise geheiligt sind. In Nazareth erfüllte sich das Geheimnis der Menschwerdung, auf dem Gebirge das der Heimsuchung, in Bethlehem das der Geburt. Und obschon dieser Geheimnisse damals nicht mehr, als drei, sein konnten, so offenbarte sich in ihnen doch die Haupteinteilung sämtlicher fünfzehn: in Nazareth die freudenreichen, Luc. 1, 47. exultavit spiritus meus in Deo salutari meo, es frohlockt mein Geist in Gott meinem Heiland; auf dem Gebirge die rauhen und schmerzenreichen: lb. 39. Abiit in montana cum festinationibus, sie ging aufs Gebirge mit Eile. In Bethlehem die himmlischen und glorreichen, Luc. 2, 14. gloria in excelsis altissimis Deo, et in terra pax hominibus, Ehre sei Gott in der Höhe und auf der Erde Friede den Menschen.
Achtet nun darauf, wie Unsere Liebe Frau jene Orte, indem sie Gott in ihrem Schoße dahin brachte, mit außergewöhnlichen Gnaden bereicherte. Als sie von Nazareth auf das Gebirge ging, heiligte sie dort den Täufer, erfüllte Elisabeth mit dem hl. Geist und der Gabe der Weissagung, gab dem stummen Zacharias die Sprache wieder, verbreitete in den Herzen der Gebirgsbewohner den Jubel der reinsten Freudigkeit und verließ dieselben in der Fülle hoher Hoffnungen. Als sie vom Gebirge nach Nazareth zurückkehrte, und der hl. Joseph bemerkte, daß sie empfangen hatte, ward das Leid, das ihm daraus erwuchs, durch Offenbarung eines Engels gehoben, der ihn zugleich von dem Geheimnis der Menschwerdung in Kenntnis setzte; nun wußte Joseph, daß er etwas war, was er nie hätte erwarten dürfen, Bräutigam der Gottesmutter, und daß Gott selbst ihn Vater nennen werde. Als Maria endlich von Nazareth nach Bethlehem ging, da regnete in jener glückseligen Nacht der gütige Himmel die reichsten Süßigkeiten über die Erde herab, sandte Engel zu den Hirten und Sterne zu den Königen, und erfüllte Groß und Klein, Einheimische und Fremde und die ganze Welt mit Trost.
Dies bewirkte wunderbarer Weise Unsere Liebe Frau vom Rosenkranz, da sie in seinen drei ersten Geheimnissen, in denen alle zusammen bedeutet sind, den Rosenkranz selbst zu gründen anfing: immer trug sie Gott, und immer ließ Gott sich tragen, wohin seine Mutter wollte, um uns zu zeigen, daß wir mittels des Rosenkranzes den Willen Gottes all’ unsern Wünschen geneigt finden würden. –
Und was werden wir also tun, damit es unfehlbar so geschehe? Den Rosenkranz werden wir beten und werden bei jedem Ave Maria der Mutter des Herrn sagen, sie solle nicht bloß für uns bitten, sondern nur für uns wünschen. Das Ave Maria beginnt mit dem Wort Ave; und was will dies bedeuten? Der gelehrte Salmeron exklärt es: T. 1, A, 3, De prima voce Ave adverte dici a verbo aveo, quod est desiderare; et ita idem est dicere Ave, ac dicere desidera. Ave ergo, beata virgo, seu desidera, quia quodcumque avebas, et supra quam avebas, obtinebis. Hinsichtlich des ersten Wortes Ave merke, daß es von aveo herkommt, welches wünschen bedeutet und so heißt ave nichts anderes, als „wünsche“. Ave also, selige Jungfrau, wünsche, verlange, denn was du wünschest, und mehr, als du wünschest, wirst du erlangen. Es verlangte unsere liebe jungfräuliche Königin nach der Menschwerdung des göttlichen Sohnes und nach der Zeit, wo das Wort Isaiä in Erfüllung gehen sollte: Is. 7, 14, Ecce virgo concipiet, siehe, eine Jungfrau wird empfangen; und sie dachte gar nicht, daß sie selbst die glückselige Erfüllung dieser Weissagung bilden könnte. Auf dieses ihr Verlangen nun spielte der Engel an, als er seine Botschaft begann mit dem Wort: Ave, d. h. Wünsche, du Gnadenvolle, denn der Herr hat nicht bloß deine Wünsche erfüllt, sondern alles, was du nur noch willst, und noch viel mehr wirst du erlangen. Dies sagte der Engel mit dem Worte Ave, und eben deswegen sage ich: wir müssen die allerseligste Jungfrau bitten, für uns zu wünschen. Dies ist ja auch die erste Bitte, die wir an die Gottesmutter richten; wir wiederholen dieselbe hundertfünfzig Mal im Rosenkranz und können gewiss sein, daß weder Unsere Liebe Frau je aufhören wird, für uns zu bitten, noch ihr göttlicher Sohn jemals aufhört, zu wollen, was seine Mutter will; und so wie Maria mit Gnaden alles erfüllte, wohin sie ihren Sohn in ihrem heiligen Schoß brachte, so wird sie uns auch die letzte Gnade erlangen, indem sie die Tore des Himmels uns öffnet und uns zur ewigen Heimat bringt: qui te portavit. Quam mihi et vobis etc. –
aus: Antonio Vieira SJ, Ausgewählte Reden auf die Festtage Unserer Lieben Frau, Predigt über den Rosenkranz, 1856, S. 224 – S. 229
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