Ehrfurcht vor der Kirche ist Ehrfurcht vor dem Heiligen Geist
Teil 6:
Der Mangel an Ehrfurcht vor der Kirche
Was sollt ihr aber nun erwägen? Folgende zwei Stücke: Daß die Ehrfurcht vor der Kirche ein notwendiger Teil der Ehrfurcht vor dem heiligen Geist ist, und daß sich in dem Mangel an Ehrfurcht vor der Kirche möglicher Weise die Anfänge, die Ähnlichkeiten, oder noch mehr als dies, von der Sünde gegen den heiligen Geist finden lassen, die unser Herr in dem Evangelium des heiligen Markus die immer dauernde Sünde nennt. Ich möchte euch bitten, um eurer Seelen willen und in der Furcht Gottes über die Winke nachzudenken, die euch in der Absicht gegeben wurden, die eine oder beide von diesen Behauptungen zu beweisen. Wer mit dem Ernst und dem demütigen Sinn, welchen die Auslegung des göttlichen Wortes zu allen Zeiten gebieterisch von uns verlangt, an die Betrachtung des Gegenstandes geht, den wird derselbe schwerlich ohne tiefen Eindruck lassen!
Wir haben nun nur noch ein paar Worte über unsere Pflichten gegen die Kirche zu sagen, wie sie sich aus der Masse von Schriftstellen ergeben, die uns vorgelegt wurden.
Unsere erste Pflicht gegen die Kirche, die alle übrigen überwiegt, ist, an sie zu glauben, zu glauben an ihren göttlichen Charakter und an ihre göttliche Sendung. Die Kirche ist keine menschliche Anstalt. Sie ist keine Erfindung gesetzgebender Weisheit, noch ein Bau, den die Philosophie erdacht hat. Sie ist kein Produkt der Zeit, keine Schöpfung der Geschichte, keine Entwicklung der Zivilisation. Sie ist ein Gedanke Gottes, eine Schöpfung des Ewigen. Ihr Leben und ihre Lebensbedingungen sind beide gleich übernatürlich: Sie ist eine göttliche Idee, niedergelegt auf Erden, um sich in einer göttlichen, in einer eigenen, nicht in einer menschlichen Weise zu entwickeln, auch nicht nach irgend welchen Regeln historischen Fortschrittes, oder so wie irgend eine menschliche Verfassung heran wächst. Daher kann uns kein Scharfsinn in der Deutung der Geschichte in den Stand sehen, die Kirche zu verstehen. Unsere Ehrfurcht vor der Kirche wird sowohl verständiger als wahrer sein, wenn sie sich auf die tiefe und dauernde Überzeugung von ihrem göttlichen Charakter gründet. Wenn wir diese wichtige Wahrheit wohl begriffen haben, so werden wir uns nicht leicht durch den eitlen Schein moderner Irrtümer verführen, noch durch ihren Wortprunk berücken lassen.
Wir können kaum sorgfältig über den Zusammenhang zwischen der Kirche und dem ewigen Vater, zwischen der Kirche und Jesus, zwischen der Kirche und dem heiligen Geiste nachgedacht haben, wenn wir nicht bereits empfunden haben, daß es auch unsere Pflicht ist, die Kirche mit der heiligsten, feurigsten und kindlichsten Liebe zu umfassen. Was hat einen Wert für uns im Leben, was wir nicht von derKircheGottes empfingen? Was sind unsere Hoffnungen für die Ewigkeit, die die Kirche uns nicht darbot und allstündlich darbietet? Der Glaube, die Sakramente, der innere Seelenfriede, unsere Lossagung von der Welt, unsere Kraft christlicher Ausdauer, die ruhige Unterwerfung, in die wir die Schatten des Todes und die Gefahren der Ewigkeit gebracht, – woher alles dieses, als von der Kirche? Wir brauchen nicht bei der Pflicht zu verweilen, die Kirche zu lieben. Wer hiervon überzeugt werden muss, wovon läßt ein solcher sich überzeugen?
Allein wir können vergessen, und vergessen zuweilen, daß es nicht nur nicht genug ist, die Kirche zu lieben, sondern daß es nicht möglich ist, die Kirche recht zu lieben, wenn wir sie nicht auch fürchten und verehren. Daß wir dieses vergessen, kommt daher, weil wir die Überzeugung von dem göttlichen Charakter der Kirche nicht tief genug in unsere Seele nieder gelegt haben. –
aus: Frederick W. Faber, Ehrfurcht vor der Kirche und treue Anhänglichkeit an dieselbe, 1861, S. 26 – S. 29