Heiligenkalender
17. Dezember
Der heilige Lazarus Bischof von Marseille
Der heilige Lazarus war der Bruder der hl. Martha und Maria Magdalena und gebürtig von Bethanien, eine Stunde von Jerusalem entlegen. Er stand in großem Ansehen bei den Juden wegen seines vornehmen Herkommens und der ansehnlichen Güter, die er zu Bethanien besaß. Man weiß zwar nicht genau, zu welcher Zeit Lazarus zur Erkenntnis Christi des Herrn gekommen sei; doch glaubt man nicht ohne Ursache, daß es bald geschehen sei, nachdem Christus zu predigen und Wunder zu wirken angefangen hat; denn Lazarus lebte fromm und auferbaulich nach dem Gesetz des Moses. Als er Jesus als den verheißenen Messias erkannt hatte, folgte er ihm mit den anderen Jüngern nach. Aus dem Evangelium geht klar hervor, daß Christus eine besondere Liebe zu ihm hatte; denn er nannte ihn seinen Freund, indem er sprach: „Lazarus, unser Freund, schläft.“ Und die zwei Schwestern ließen Christus die Krankheit ihres Bruders mit diesen Worten anzeigen: „Sieh, der, den du liebst, ist krank.“ Die Ursache dieser besonderen Liebe ist nach der Meinung der heiligen Väter dieselbe gewesen, welche den heiligen Apostel Johannes bei Christus so beleibt und wert gemacht hat, die jungfräuliche Reinigkeit. Christus kehrte oft zu Bethanien bei Lazarus und Martha ein, und es glauben mehrere Lehrer der hl. Kirche, daß Magdalena, ihre Schwester, die ein ganz anderes Leben führte, auf die Fürbitte des Lazarus und der Martha die Gnade der Bekehrung erlangte.
Das Merkwürdigste, was sich mit Lazarus ereignete, war seine Auferweckung von den Toten, welche der heilige Johannes in dem elften Kapitel seines Evangeliums ausführlich beschreibt…
Der Ruf von diesem Wunder breitete sich bald in Jerusalem und in der ganzen Gegend allenthalben aus. Die Pharisäer und Hohenpriester ergrimmten deswegen heftig sowohl über Christus den Herrn, als über Lazarus, weil sie voraus sahen, daß Christus wegen dieser Begebenheit einen noch größeren Anhang bekommen würde als je zuvor. Daher versammelten sie sich und hielten Rat, was sie tun sollten. Kaiphas, der Hohepriester, sagte ohne Scheu, man müsse Christus aus dem Wege räumen, sonst wäre das ganze Volk verloren. „Es ist besser“, sprach er, „daß ein Mensch für das Volk sterbe, als daß das ganze Volk zugrunde gehe.“ Alle Versammelten stimmten Kaiphas bei und beschlossen, Christus um das Leben zu bringen. Auch den Lazarus wollten sie töten. Es kam nur darauf an, wie sie ihren Mordanschlag ins Werk setzen könnten. Mit Gewalt Lazarus um das Leben zu bringen, getrauten sich nicht, weil derselbe ein angesehener Mann war und bei allen in großer Hochachtung stand. Sie wußten auch kein Vergehen als Vorwand zu finden. Als aber die meisten Christen nach dem Tode des heiligen Stephanus teils aus der Stadt verjagt wurden, teils selbst die Flucht ergriffen, hatte auch Lazarus mit seinen Schwestern und einigen anderen Christen sich nach Joppe, einer am Meer gelegenen Stadt, begeben. Sobald die Pharisäer dies erfahren hatten, schickten sie einige Soldaten dahin, welche Lazarus samt dessen zwei Schwestern und einigen anderen Christen in ein altes, sehr baufälliges Schiff ohne Mast, Segel und Ruder setzten. Dieses führten sie weit in das Meer hinaus und zogen sich dann zurück in der Meinung, daß alle darin sich Befindlichen samt dem Schiff zugrunde gehen würden. Menschlicher Weise hätte es auch nicht anders geschehen können. Allein die göttliche Vorsehung, welche Lazarus zu einem Bischof in Frankreich bestimmt hatte, leitete das schiff glücklich bis an die Küste von Marseille.
Die Bewohner dieser damals sehr berühmten Stadt waren zwar Heiden, aber gutmütig. Als sie nun dieses zerbrechliche Schiff ohne Steuermann und Ruder auf dem Meer schwimmen und an ihrer Küste landen sahen, erstaunten alle. Von Gottes Gnade erleuchtet, erkannten sie darin ein Wunder der Allmacht und dachten, der Glaube, den der vom Himmel so wunderbar zu ihnen geführte Lazarus verkündige, sei der wahre göttliche Glaube. Lazarus war schon von den Aposteln zum Bischof geweiht und er fing sogleich sowohl in erwähnter Stadt, als in der ganzen Gegend an, sein apostolisches Amt mit unermüdlichem Eifer zu verwalten. Weil ihm Gott der Herr auch die Gabe, Wunder zu wirken, verliehen hatte, so wurde die Zahl der Gläubigen in kurzer zeit so groß, daß man ihm, nebst Erbauung neuer Kirchen, auch den herrlichen Tempel der Abgöttin Diana einräumte, den er durch die bischöfliche Einweihung zum Dienst des wahren Gottes heiligte. Dreißig Jahre lang stand der hl. Lazarus seinen Schäflein als ein getreuer Hirt mit apostolischer Sorgfalt und Liebe vor (nach anderer Meldung fünfzig Jahre) und voll Freude sah er, daß die Zahl der Christen auf viele Tausende angewachsen, an einem Ort, wo man zuvor nichts von der Erkenntnis des wahren Gottes wußte. Endlich beschloß er sein Leben durch einen seligen Tod in dem dreiundsiebzigsten Jahr seines Alters. Man glaubt, daß Lazarus enthauptet worden und den Martertod gestorben sei; denn ein römischer, nach Marseille geschickter Beamte ließ den heiligen Bischof wegen seiner Beharrlichkeit in dem christlichen Glauben auf verschiedene Arten grausam peinigen und dann enthaupten. Man zeigt noch den finsteren Kerker, in welchem der Tyrann den heiligen auf einige Zeit verwahren ließ. Zu Marseille verehrt man noch sein heiliges Haupt; die übrigen Teile seines heiligen Leibes sind nach Autun überbracht worden. –
aus: Wilhelm Auer, Kapuzinerordenspriester, Goldene Legende Leben der lieben Heiligen Gottes auf alle Tage des Jahres, 1902, S. 1011 – S. 1014