Die Maiandacht im Monat Mariens

In der Mitte des Bildes sitzt Maria, umrankt von Kletterpflanzen; sie hält ihren Sohn Jesus, der bei ihr auf einem Polster steht; rechts stehen und knien Mädchen, geschmückt mit Blumenkränzen im Haar; sie singen und bringen der Muttergottes Blumen; auf der linken Seite sieht man zwei Jungen, die knien und ebenfalls singen; ein Bursche kommt gerade durch das Gartentor hinzu

Die Maiandacht oder der Monat Mariens

Wie die frommen Diener der Lieben Frau den Monat Mai der Verehrung ihrer glorwürdigen Königin weihen

Eine der lieblichsten Andachten, welche die Kinder Mariens in den Garten der heiligen katholischen Kirche in neuerer Zeit gepflanzt haben und die wie ein blüten- und fruchtreicher Baum bereits ihre Zweige über alle Teile der Welt ausbreitet, ist die Maiandacht oder der Monat Mariens. Es genügte der kindlichen Liebe der Gläubigen zur gebenedeiten Mutter des Herrn nicht, an bestimmten Tagen des Jahres das Andenken an gewisse Geheimnisse des gnadenvollen Lebens ihrer glorreichen Mutter festlich zu begehen, sie wollten einen ganzen Monat von gebeten, Gesängen, Gelübden und Huldigungen ihr darbringen, und sie wählten dazu den schönsten Monat des Jahres – den Mai.

Die Maiandacht: Der Altar der Mutter Gottes Maria wird geschmückt, die Gläubigen knien vor ihrem Bildnis; im Hintergrund schwenkt ein Junge eine Fahne

Als am Ende des achtzehnten Jahrhunderts der Unglaube und die daraus entspringende Sittenlosigkeit den höchsten Grad erreicht hatte, und selbst das Gebiet des heiligen Vaters davon angesteckt wurde, taten sich zu Rom, der Hauptstadt der katholischen Christenheit, mehrere fromme Personen zusammen, an ihrer Spitze der ehrwürdige Priester aus der Gesellschaft Jesu P. Lalomia, warfen sich vor dem Altar der Lieben Frau nieder, beweinten die Gottlosigkeit, die überall ungescheut ihr Unwesen trieb und so viele Herzen unglücklich machte, und gelobten, den ganzen Monat Mai ihrer Verehrung zu widmen, auf daß sie durch ihre mächtige Fürbitte denen, die besonders in diesem Monat der Wonne der abscheulichen Sinnenlust sich hingeben und in Tanz und Spiel und in üppiger Gesellschaft die Tugend schänden und Gottes Vaterherz so sehr betrüben, die Augen öffne und zu Gott wieder zurück führe. Während also draußen in den Straßen, in den Häusern der Lust und Freude, in Gärten und Hainen zahlreiche Haufen Gott entfremdeter Menschen dem Taumel abscheulicher Lüste sich überließen, Gotteslästerung, Spott und Hohn über alles Heilige von ihren Lippen erschallten, scheußliche Lieder durch die Lüfte drangen, lagen diese frommen Seelen vor dem Bild der reinsten Jungfrau, flehten zu ihr um Hilfe und Erbarmen und lobten und preisen in ihr und durch sie die Liebe, Güte und Macht Gottes. Sie bekränzten das Bild der Lieben Frau mit Blumen, feierten ihre hohen Vorzüge mit anmutigen Gesängen und weihten ihr ihre Herzen in herzinnigem Gebet. Bald vermehrte sich das kleine Häufchen der frommen Kinder Mariens; die liebliche Andacht fand unter den Augen des heiligen Vaters in mehreren Kirchen Roms Eingang, verbreitete sich von da nach Neapel, Sizilien, auf die Insel Malta, nach Frankreich, und fand endlich ihren Weg nach Bayern und dem übrigen Deutschland.

Seit einigen Jahren ist diese Andacht in alle Teile der Welt gedrungen, und in den Tagen des lieblichen Maimonats steigen jetzt nicht bloß die Wohlgerüche und der Duft der Blumen, sondern auch die Wohlgerüche des Gebetes und der Andacht aus zahllosen Herzen zum Thron der Himmelskönigin empor. Und gewiß nicht ohne höhere Einwirkung wurde der Monat Mai der besonderen Verehrung der allerseligsten Jungfrau gewidmet, denn dieser Monat ist ihr getreues Sinnbild. Der Mai mit seinen Knospen und Blüten, mit seinem Duft und Wohlgerüchen ist ein Monat der Wonne – Maria aber ist die Wonne des Menschengeschlechtes. Der Mai ist der Monat der Hoffnungen, Maria ist die Mutter der Hoffnung; der Mai ist der Monat der Blumen, und Maria ist die schönste, die strahlendste Blume der Erdenflur. Auf sie wendet die heilige Kirche die Stelle der heiligen Schrift an: „Ich habe mich erhoben wie die Palmen von Cades und wie die Rosen des Tales von Jericho. Ich bin gewachsen wie ein schöner Ölbaum auf dem Feld, und wie die Platane, welche ein frisches, klares Wasser benetzt, und deren wohltätiger Schatten den Wanderer segnet. Ich gab einen Wohlgeruch von mir wie Zimt und Balsam. Ich habe ausgehaucht die Düfte der Myrrhe. Ich habe ausgebreitet meine Zweige wie die Terebinthe, und meine Zweige sind Zweige der Ehre und der Schönheit. Ich habe hervor gebracht duftende Blüten wie der Weinstock, und meine Blüten werden Früchte des Ruhmes und des Überflusses werden.“

Ein fernerer Grund, warum gerade der anmutige Monat Mai der Verehrung der lieblichen Jungfrau geweiht wird, ist, weil dieser Monat unmittelbar auf die Feier des Osterfestes folgt. Während der heiligen Osterzeit haben die Gläubigen durch die reumütige Osterbeichte das Kleid der Unschuld wieder erlangt und ihre Seele durch Tränen der Reue im Blut Jesu Christi weiß gewaschen. Diese Unschuld und Reinheit bedarf der Bewahrung, das Gewand der heiligen Gnade soll vor Befleckung beschützt, der kostbare Schatz soll in Sicherheit gebracht werden. Wo aber kann die Seele besser als bei Maria Schutz, Zuflucht und Sicherheit finden gegen die erneuten Angriffe der Feinde ihres Heils?

Endlich mahnt auch der blüten- und blumenreiche Mai die Kinder Mariens, daß sie gleich ihrer gebenedeiten Mutter Blüten, Blumen und Früchte schöner Tugenden und guter Werke hervor bringen und damit ihrer Königin und Frau den schönsten Kranz, die wohlgefälligste Krone darbringen sollen.

Weil denn der Marien-Monat eine so schöne Bedeutung hat, und die Andacht in dieser Zeit so heilsam für die Kinder Mariens ist, so hat der heilige Vater Pius VII. zu noch größerer Förderung derselben allen Christgläubigen, welche in den Kirchen oder zu Hause die allerseligste Jungfrau mit besonderen Ehrenbezeigungen, andächtigen Gebeten oder anderen Tugendübungen während des Monats Mai verehren, täglich einen Ablass von 300 Tagen und vollkommenen Ablass einmal im genannten Monat an dem Tage verliehen, an welchem sie beichten, kommunizieren und nach der Meinung des heiligen Vaters beten. Diese Ablässe können auch den Verstorbenen im Fegefeuer zugewendet werden, und sind von demselben Papst mittelst Beschluss der Kongregation der Ablässe am 18. Juni 1822 auf ewige Zeiten bestätigt worden.

Daß die Marienandacht in rechter Absicht und würdig gefeiert und gehalten, heilsame Früchte hervorbringen wird, ist nicht zu bezweifeln. Die Gebete, Andachtsübungen, Abtötungen und Tugendübungen von so vielen Gläubigen der gebenedeiten Gottesmutter in die Hände und an das Herz gelegt, damit sie dieselben dem dreieinigen Gott darbringe, sollte dies nicht Segen und Gnade über Personen, Stadt und Land herabrufen? Wird wohl die göttliche Mutter bei dem Flehen ihrer Kinder gleichgültig bleiben können; wird sie ihre Liebe, ihre Zuneigung, ihre Verehrung nicht zu vergelten suchen? Wird nicht die kindliche Feier der Maiandacht zu Ehren der allerreinsten Jungfrau auf alle Gemüter einen tiefen Eindruck machen und sie für Unschuld und Tugend begeistern? Und endlich, wird wohl Jesus unbelohnt lassen die Verherrlichung seiner glorreichen Mutter? Schon sind mannnigfaltige Früchte aus dieser so rührenden Andacht für das Heil der Seelen hervor gegangen. –
aus: Georg Ott, Marianum Legende von den lieben Heiligen, Erster Teil, 1869, Sp. 1107 – Sp. 1111

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