Der Ort Quarantania, an dem Jesus vierzig Tage gefastet hatte
Quarantania heißt jetzt ein Berg in der Nähe Jerichos und der Elisäusquelle, und hierher wird seit dem 12. Jahrhundert in ständiger Überlieferung das 40tätgige Fasten des göttlichen Heilandes verlegt. Die Kreuzfahrer fanden ohne Zweifel den Ort schon von den Orientalen in Ehren gehalten. Die Wüste Quarantania (d. h. Ort der 40tägigen Fasten) ist der Teil der Wüste von Juda, der sich an diesen Berg anschließt und sich gegen Machmas, ̔Anātā und Jerusalem erstreckt. Die Wüste von Juda zieht sich längs der ganzen Westküste des Toten Meeres hin und geht im Süden über in die arabische Wüste. Durch die Kahlheit ihrer Berge, die Tiefe und Zerrissenheit ihrer Täler, durch ihre Öde, Unzugänglichkeit und vollständige Unfruchtbarkeit gehört sie zu den schauerlichsten Einöden der Erde. Schubert (Reise in das Morgenland III 72) schreibt darüber: „Ich habe kaum eine grausenhaftere, meiner Natur widerwärtigere Gegend gesehen und durchreist. Die Wüste des Peträischen Arabiens und Ägyptens gleicht, mit ihren Sandmassen und vereinzelten Felsen einem Totenacker, voller, zum Teil bedeutungsvoller Leichensteine, über den der Wanderer ohne Grauen hingeht; die Landschaft aber, die in der Mitte zwischen Jerusalem und Jericho liegt, gleicht einem Sterbebett, auf welchem der letzte Funke des Lebens mit dem Tode ringt und immer am Auslöschen ist, ohne doch zum Abscheiden kommen zu können; was das Röcheln eines Sterbenden, der noch hart mit dem Ersticken kämpft für das Ohr, das ist die Gestalt und Farbe der armseligen Gewächse und hungernden Tierlein, die dort hinschmachten, für das Auge. Dazu fühlt hier die Brust, in der Mittagshitze, wie durch die heißen Dünste eines Ziegelofens beengt und beschwert.“
Zum Berg Quarantania führt vom Elisäusbrunnen bei Jericho zwischen der Bergwand und den steilen Felsabstürzen hinauf ein beschwerlicher und nicht ganz ungefährlicher Weg. Der Berg oder besser Fels (denn so könnte man ihn nennen) erhebt sich nach Messungen der englischen Exploration Fund (Erforschungsgesellschaft) 492 m über dem Spiegel des Toten Meeres, 323 m über ̔Ain es-sultan (der Elisäusquelle), 98 m über dem Mittelländischen Meere, steil, fast senkrecht dem Teil es-sultan (den Ruinenhügel des Jericho aus der Zeit Josues) gegenüber. Die Felswände des Quarantania-Berges sind voll Höhlen, die einst von zahlreichen Einsiedlern bewohnt wurden. Die oberste, etwa in der Mitte der steilen Ostseite, wo der Berg sich gegen Westen umbiegt, ward der Legende zufolge vom Herrn selbst bewohnt. Ein zum Teil in den Felsen gehauenes Kloster und Nebenkapellen standen mit dieser Höhle in Verbindung. Im Jahre 1870 fand Viktor Guérin daselbst abessinische Mönche; seit 1874 haben die Griechen die Grotte erworben; sie bauten 1895 ein Kloster daneben; er erhebt sich steil über dem darunter liegenden Tal. Der schwer erreichbare Gipfel des Berges ist jetzt auch mit einer Mauer umgeben; Ruinen einer Kapelle sollen den Ort der dritten Versuchung anzeigen. Man überschaut von da die ganze Ebene von Jericho und die Jordanebene; gegen Norden ins Land Galaas und Basan bis an den Libanon, nach Osten tief ins Land der alten Amorrhiter, nach Süden über einen Teil der Wüste von Juda und das Tote Meer bis ins Land der Edomiter – eine entzückende Aussicht, wohl geeignet, als Anknüpfungspunkt für die dritte Versuchung zu dienen. An der nördlichen Seite des Berges zogen ostwärts gegen Jericho zwei mutmaßlich in der Herodianischen Zeit erbaute Wasserleitungen hin, von denen noch einige Trümmer übrig sind. (Vgl. Mislin, Heilige Orte III 146 u. 167ff) –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 162 – S. 163
Elfte Reise. Jesus begibt sich von Lod, am Ufer des Jordans, in die Wüste Quarantania, etwa 2 1/2 Stunde davon entfernt.
(Matth. 4. Cap. 4—11. V.; Mark, 1. Cap. 12, und 13. V.: Luk. 4. Cap. 1-13. V.)
Sobald Jesus vom heil. Johannes die Taufe empfangen hatte, verließ er, durch eine Regung des heiligen Geistes geleitet, die Ufer des Jordans, und zog sich in eine Wüstenei zurück, worin er 40 Tage und 40 Nächte zubrachte. Dies war Ursache, daß ihr der Name: Wüste Quarantania, oder Wüste der Vierzigtage beigelegt worden ist. Obschon die Entfernung des Ortes, wo Jesus getauft wurde, von dieser Einöde nur gering ist, so wollen wir sie doch zum Gegenstande der gegenwärtigen Reise machen, welcher die Beschreibung dieses vom Heiland auserkornen schauerlichen Ortes immer viel Anziehendes geben wird.
Die Wüste, in welcher Jesus fastete, liegt in den Bergen von Jericho, ungefähr eine Stunde von dieser Stadt am westlichen Ufer des Jordans, und von Jerusalem gegen Morgen. Der Berg dieser Faste ist von Norden aus einer der steilsten, indem er einen schroffen, am Fuße wie ausgehöhlten Absturz darbietet, um gleichsam den Zutritt zu verwehren. Vom Abend gegen Norden hin bietet er eine Reihe steiler Klippen dar, welche an mehreren Orten zerklüftet sind, und Höhlen von verschiedenen Formen und Ausdehnungen enthalten. Vom Fuße des Berges bis zum ersten Viertel seiner Höhe gelangt man nur über einen äußerst steilen Abhang, der mit lockeren, unter dem Fuße weg rutschenden kleinen Steinen besäet ist. Hat man diesen vierten Teil erreicht, so findet man einen sehr schmalen Pfad, der an einer kleinen Stiege von dreißig Stufen endigt, welche mit schauerlichen Abgründen umgeben ist, und auf deren Höhe man mit der größten Gefahr mittels einiger hier und da etwas hervor stehender Steine fortklettern muss. An diese Steine klammert man sich mit Händen und Füßen an, und würden diese Stützpunkte versagen so würde man vom Gipfel des Felsen in einen schauerlichen Abgrund hinabstürzen. Auch kommen nach der Erzählung von Reisenden gar Viele, welche es unternehmen, hinauf zu steigen, nicht bis zum Viertel, ohne daß sie blaß und zitternd umkehren, und sobald sie wieder ruhig Atem geschöpft haben, Gott danken, sich nicht unbedachtsam weiter eingelassen zu haben, und sich begnügen, dieses Heiligtum bloß von Weitem zu verehren.
Die heilige Einsiedelei, worin der Gottmensch 40 Tage zubrachte, besteht aus zwei natürlichen, im Felsen angebrachten Höhlen, deren erstere der zweiten zur Vorkammer dient. Die zweite ist kleiner und dunkler. Im Hintergrunde bemerkt man eine Aushöhlung oder Wandvertiefung, worin Jesus seine Andachtsstätte angebracht haben, und welches die heilige Stelle sein soll, wo er dem Ewigen Tag und Nacht seine heißen Gebete für das Menschengeschlecht dargebracht hat. Andere glauben, daß man diese Stätte noch höher suchen müsse, und zwar an einem Orte, wohin man nur mittels eines, in dem Felsen angebrachten Pfades klimmen kann, und wo man einen sehr schmalen Gang von zehn Schritt Länge, und eine natürliche Höhle von beinahe 5 Schuh im Durchmesser, und von vier, fast gleich langen Seiten trifft. Es ist darin eine Wandvertiefung, gleichsam wie für einen Altar und für ein Standbild ausgehauen; auch bemerkt man dabei einige, jedoch beinahe verwischte Gemälde von Engeln und Heiligen. Eine starke Mauer schließt diese Art Kapelle, und diese wird durch ein Fenster erhellt, aus dem man nicht ohne Schauder in die Tiefe sehen kann. Neben der Höhle ist ein Wasserbehälter, welcher das vom Berge herab stürzende Wasser auffängt, und eine Tür, welche zu andern Höhlen über Fußpfade führt, die nicht weniger gefährlich sind, und über die man auf den Gipfel des Berges gelangt.
Auf den Gipfel dieses Berges, welcher der erhabene Berg heißt, und an dessen unzugänglichste Stelle, wohin man gewöhnlich nicht mehr steigt, zufrieden, sie von unten aus zu betrachten, wurde Jesus, nachdem er die Versuchung des Hungers zurück gewiesen hatte, vom Teufel versetzt, und hier zeigte ihm dieser alle Reiche der Welt, indem er sie und ihre Herrlichkeit ihm versprach, wenn er ihn anbeten wollte. Die heil. Helena hat zum Andenken dieses glorreichen Geheimnisses eine Kapelle hier aufführen lassen, von der man jedoch nur noch einige Ruinen sieht. Der Teufel versetzte ihn auch auf die Höhe oder Zinne des Tempels von Jerusalem, welcher ungefähr 6 bis 7 Stunden davon entfernt ist. Diese Zinne war von einem zierlichen Geländer umgeben, welches um das ganze, 150 Ellen hohe Dach herum lief. Von hier hieß er ihn sich hinab stürzen, wenn er der Sohn Gottes wäre; denn es stehe geschrieben: der Herr hat seinen Engeln befohlen, dich zu tragen, damit du deine Füße an keinen Stein stoßest, — und hier erwiderte ihm Jesus: Es steht auch geschrieben, du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen. Als ihn der Teufel hierauf verlassen hatte, stieg er in die Grotte herab, von welcher wir schon gesprochen haben, und welche mitten auf der Nordseite des Berges ist, wo die Engel ihn bedienten.
Man hat bemerkt, daß eine Menge Eremiten und Einsiedler den Gottmenschen nachgeahmt haben, indem sie sich in mehrere kleine Grotten zurück zogen, welche man in diesen Berg gegraben sieht, ungeachtet derselbe so kahl, unfruchtbar und von der Sonne verbrannt ist, daß kein Baum, kein Strauch, ja selbst kein Gras dort fort kommt, und man nur eine Masse schauerlicher Felsen dort erblickt. Was aber noch mehr in Erstaunen setzt, das ist, daß man weder einen Weg, noch einen Steg sieht, der zu den Grotten führt, was Manche auf die Vermutung gebracht hat, daß sie dazu wohl Strickleitern oder Gerüste und Hängebrücken aus Astwerk anwendeten, welche unter sich in Verbindung waren, und auch zu der Kapelle führten, von welcher wir oben gesprochen haben, und wo diese frommen Personen sich alle Sonntage versammelten, um die Messe zu hören, und geistliche Unterredungen zu halten.
Ungefähr eine halbe Stunde vom Fuße des Berges der vierzigtägigen Fasten trifft man den Elisäusbrunnen; der darum so genannt ist, weil der Prophet dem Wasser desselben eine Güte und Heilsamkeit mitteilte, welche dasselbe zuvor nicht hatte; denn es tötete nicht bloß die Früchte des Bodens, sondern machte auch die Mütter unfruchtbar. Er wirkte dieses Wunder mit Gebeten, und mit ein wenig Salz, das er hinein warf, worauf es sogleich süß und trinkbar wurde. ( II. Buch Kön. 2. Cap. 19, bis 21. V.) Neben der Quelle steht ein großer Feigenbaum, welcher so buschig ist, daß er sie ganz überdeckt, und er scheint dahin gesetzt zu sein, um das Wasser frisch zu erhalten, und den Reisenden einen angenehmen Schatten zu gewähren.
Das Wasser dieser Quelle wird in einem großen dreieckigen Becken aus Quadersteinen aufgefangen. An einer der drei Wände, welche höher ist, als die andern, sind zwei Vertiefungen und ein Loch angebracht, woraus das Wasser in hinreichender Menge strömt, um eine Mühle zu treiben. Es hat seinen Lauf gegen Jericho, und der Bach, den es bildet , ist beträchtlich. Er fließt unter schönen Bäumen am Fuße eines Hügels hin, und verliert sich endlich im Jordan. Etwa 600 Schritte von dieser Quelle sieht man die Trümmer einer Kirche und eines Klosters, welchem der Brunnen das nötige Wasser lieferte. Seine Lage war durch den Anblick der Wüste, wo das einsiedlersche Leben in seiner größten Vollendung von dem Gottmenschen ausgeübt worden war, sehr vorteilhaft, und gewährte den Mönchen darin eben dadurch eine große Tröstung.
aus: Die Reisen Jesu Christi, oder geographische Beschreibung der vorzüglichsten Orte und Denkmäler des heiligen Landes zu den Zeiten Jesu. 1836, S. 177 – S. 181