Die zweite Vaterunser Bitte: Zukomme uns dein Reich
Das ganze Leben des hl. Burkhard war mit einem Wort ein ununterbrochenes Gebet. All` sein Denken, Reden und Tun drückte die Bitte aus: „Zukomme uns dein Reich.“ Mit diesen Worten lehrt uns Jesus den himmlischen Vater um ein Dreifaches:
a) daß sein Reich, d. h. die Erkenntnis und Liebe des dreieinigen Gottes und des menschgewordenen Erlösers, sich mehr und mehr über den ganzen Erdkreis verbreite;
b) daß sein Reich, d. h. die göttliche Wahrheit und Gnade, stets tiefer und vollständiger die Herzen der einzelnen Gläubigen durchdringe, läutere und befruchte zu übernatürlichen Verdiensten;
c) daß sein Reich. d. h. die Glückseligkeit der ewigen Glorie allen Christgläubigen im Jenseits zu teil werde.
Lerne vom hl. Burkhard diese zweite Bitte des Vaterunser mit Andacht und Beharrlichkeit beten:
1. Um das Reich Gottes nach außen über die Erde zu verbreiten, hat er seine reichen Talente, seine wissenschaftliche Bildung, seine Zeit und Arbeitskraft dem Dienst des hl. Evangeliums gewidmet, die geliebte Heimat geopfert, Mühsale, Entbehrungen und tausend Lebensgefahren im Verkehr mit einem noch rohen, aus Heiden, Ketzern und Christen gemischten Volk auf sich genommen. Mit der Glut seines Herzens, mit der Macht seiner Stimme und mit der Anstrengung seiner Kräfte bekämpfte er das Reich des Satans, die Unwissenheit der Menschen in religiösen Dingen und die Verkehrtheit ihrer Sitten, und streute den himmlischen Samen des Evangeliums in den urbar gemachten Boden.
Mit welchem Eifer und Ernst betest du: „Zukomme uns dein Reich“? Bedenke wohl, daß jeder Tag dich um einen bedeutenden Schritt dem Tode und der Ewigkeit näher bringt. Hoffentlich schätzest du dich mit jedem Tage glücklicher, ein Katholik, ein Kind Gottes und Mitbürger seines Reiches zu sein, hoffentlich interessierst du dich lebhaft für die Ausbreitung dieses Reiches deines Vaters. Betätige diese deine Freude und dein Interesse, indem du betest um gute Priester, eifrige Missionare und um die Gnade der Bekehrung und des Glaubens für die Heiden, indem du Kinder, Lehrlinge, Dienstboten usw. in den geoffenbarten Wahrheiten unterrichtest, Irrende und von Zweifeln Geängstigte belehrst, Institute und Vereine zur Verbreitung des Glaubens unterstützest.
2. Zur Befestigung des Reiches Gottes nach innen hat der hl. Burkhard alle Mittel angewendet, um die Kirchen auszuschmücken, die Feier des Gottesdienstes zu verherrlichen und die Gläubigen zur freudigen Teilnahme an demselben zu begeistern: er hat durch den milden Glanz seines bischöflichen Ansehens, durch seinen evangelischen Wandel die Gläubigen auf die gute Weide gelockt, um sie mit Hilfe seiner eifrigen Priester zu erfrischen und zu stärken in dem mühsamen Kampf wider Fleisch und Blut. Mit welchem Eifer und Opfergeist betest du in dieser Beziehung: Zukomme uns dein Reich“? Du kennst den Ausspruch des hl. Paulus: „Das Reich Gottes ist nicht Speise und Trank, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude im heiligen Geist.“ (Röm. 14, 17) Erwäge nun: wenn Eltern in ihren Familien, wenn Lehrer und Erzieher in ihren Instituten, wenn Seelsorger und Vorgesetzte in ihren Amtskreisen diese göttliche Lehre fest halten, wenn Jeder von seiner Umgebung das Gift der ärgerlichen Moden und schlechten Bücher und Zeitungen abwehrt, wenn alle Vorgesetzten ihre Untergebenen zur Heiligung der Sonn- und Festtage, zum öfteren Empfang der heiligen Sakramente anhalten und zu friedlicher Genügsamkeit anleiten: dann verhelfen sie Alle dem lieben Jesus zur Herrschaft in ihren Herzen.
3. Um des Reiches der Glorie in der Ewigkeit teilhaft zu werden, hat der hl. Burkhard die sorge um die Heiligung seiner eigenen Seele stets obenan gestellt, eingedenk der nachdrücklichen Lehre Jesu: „Was nützt es dir, wenn du die ganze Welt gewinnst (alle Menschen zu Heiligen machst), aber an deiner Seele Schaden leidest?“ (Matth. 16) Er hat oft sich dem Tumult der Geschäfte entrissen, um in der Einsamkeit den Zustand seines geistlichen Lebens zu ordnen: er hat sich rechtzeitig von der Öffentlichkeit zurück gezogen, ums ich mit brennender Lampe in der Hand bereit zu halten auf die Ankunft des Herrn. Wohl dir, wenn du dir Zeit nimmst, um wie St. Burkhard zu beten: „Zukomme uns dein Reich“, nämlich der ewige Genuss, Dich, o Vater, mit verklärtem Auge zu schauen und mit verklärtem Herzen zu lieben! –
aus: Otto Bitschnau OSB, Das Leben der Heiligen Gottes, 1881, S. 764 – S. 765