Heiligenkalender
28. Juni
Heilige Mutter Vincenza Gerosa, Mitgründerin der „Schwestern von der Liebe“
(29. Oktober 1784 – 28. Juni 1847)
Heilig gesprochen am 18. Mai 1950
Die Familienverhältnisse der heiligen Vincenza
Auf den Namen Katharina getauft, später jedoch Mutter Vincenza genannt, zählte sie bereits achtundvierzig Jahre, als sie sich der heiligen Bartholomea Capitanio anschloss. Ihre Familie war reich, und sie selbst hätte ein bequemes Leben führen können; aber sie schrieb sich einen strengen Plan der Entsagung und der Buße vor und suchte in Demut, Verborgenheit und Geduld von Kindheit an ein verborgenes Opferleben. Sie war schüchtern, einfach und bescheiden, hatte aber einen starken und zähen Willen. Eine Schule hat sie nie besucht, aber ihre Verwandten brachten ihr die notwendigsten Kenntnisse im Lesen; Schreiben und Rechnen bei, so daß sie tatkräftig bei der Führung des großen Geschäftes mithelfen konnte. Eine tiefe, aufrichtige Frömmigkeit gab ihrem ganzen Wesen und ihrem Antlitz eine heitere Milde und Gelassenheit, ihren Worten und ihrem ganzen Benehmen eine ruhige Freundlichkeit, die aber nichts Gemachtes, sondern der Ausdruck wahrer Herzensgüte und selbstbeherrschter Tugend war. „Man spürte, daß in ihr die Gnade Gottes, der Sinn Gottes, die Kraft Gottes herrschte“, sagt ein Lebensbeschreiber. Ein großes Leid trug zu immer vollständigerer Läuterung ihrer Seele bei. Ihr Vater, ein guter Christ, aber schwach begabt und etwas einfältig, wurde von seinen Brüdern, die zusammen das Geschäft führten, verächtlich beiseite gesetzt; bei ihrer Mutter, die fromm und tugendhaft war, hatten sich infolge einer schweren Krankheit gewisse, wenn auch unbedeutende Geistesstörungen eingestellt, die ihr von Seiten der Schwägerinnen viele Verdemütigungen und Kränkungen eintrugen. Es läßt sich ahnen, wie sehr Katharina in ihrer Kindesliebe unter diesen Verhältnissen litt. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Als nämlich ihr Vater starb, wurde die Mutter von ihren Verwandten herzlos aus dem Haus gewiesen; ihren Kindern Katharina und Rosa aber wurde jede Verbindung mit ihr verboten, obwohl der Mutter kaum mehr das Lebensnotwendigste zugewendet wurde.
Der Pfarrer Barboglio von Lóvere, der die Verhältnisse kennen musste, riet den Geschwistern, sich an das gegebene Verbot zu halten, wahrscheinlich weil deren Tanten andernfalls auch ihnen alles entzogen hätten. Dieser Zustand und der damit verbundene Kummer für Katharina Gerosa dauerte volle dreizehn Jahre und fand seinen Höhepunkt darin, daß die Mutter einsam und ohne menschlichen Beistand sterben musste, wenn auch die Töchter sie wenigstens in der Krankheit hatten besuchen können. Kein Wunder, daß Bartholomea Capitanio die Tränen nicht unterdrücken konnte, als ihr Katharina später von diesem heroischen Gehorsam erzählte. Nicht ohne tiefen Sinn pflegte aber Gerosa selbst oft zu sagen: „Wer den Gekreuzigten versteht, der weiß alles; wer ihn nicht kennt, der versteht nichts.“ Immer, schon seit den tagen des heiligen Paulus, hat der Gekreuzigte, der aus unendlicher Liebe unsagbare Qualen auf sich nahm, die edlen Seelen mit der unwiderstehlichen Werbegewalt seiner Liebe gleichsam verfolgt und bedrängt, sie aber auch weise, stark und weltüberlegen gemacht.
Gemeinsames Streben der heiligen Vincenza und Bartolomea
Diese Liebe trieb Katharina Gerosa auch an, unter Leitung des Seelsorgers nach Kräften bei allen guten Werken mitzuhelfen, sei es in der Pflege der Verwundeten zur Zeit der napoleonischen Kriege, sei es bei der Teuerung und den ansteckenden Krankheiten der Nachkriegszeit von 1815 bis 1817. Nicht wenige gestanden nachher: „Hätten wir nicht die Gerosa, die ‚Mutter der Armen‘, gehabt, so hätten wir nicht leben können.“ Einen besonderen Eifer entfaltete dann Gerosa im Rahmen der Marianischen Kongregation in der Sorge für die weibliche Jugend. Bei dieser Arbeit begegnete sie auch der damals siebzehn jährigen, aber gewandten und unternehmenden Capitanio, die in ihrem eigenen Haus Schule hielt und die Beraterin vieler Mädchen war. Gott fügte es offensichtlich, daß diese beiden Sterne am Himmel der Heiligkeit sich einander näherten, damit der vereinte Glanz noch heller und weiter leuchte. Capitanio und Gerosa lernten sich kennen und lieben, und es entstand bei ihrem Wohltun ein wahrer Wettstreit der Demut, wie er unter Menschen leider selten ist. Eine jede pflegte nämlich das Verdienst bei den gemeinsam geübten guten Werken der anderen zuzuschreiben und der anderen in allem den Vorzug und Vortritt zu geben. Meist trug bei diesem „Streit“ der beiden Gerosa den Sieg davon; denn wenn Capitanio erklärte: „Ich bin die Jüngere“, entgegnete Gerosa mit dem Ton unerschütterlicher Überzeugung und Einfalt: „Und ich bin die Dümmere“, oder, wie sie oft und gern sagte: „Die Capitanio ist ein Adler, ich bin ein Rind.“ Und wie ein treues Lasttier Gottes hat sie all ihre Kräfte im Weinberg und im Dienst des Herrn und seiner Liebe verzehrt. Gott aber hat wohl am Beispiel dieser beiden Frauen zeigen wollen, wie wohlgefällig ihm solche selbstlose Zusammenarbeit ist und welch reiche Früchte sie zu bringen vermag.
Vincenza und Bartolomea planen eine Institutsgründung
Als Bartolomea ihre großen Pläne zum ersten Mal ihrer älteren Freundin vorlegte, da wehrte sich diese in ihrer Schüchternheit und Demut sehr dagegen und wiederholte nur immer wieder: „Wir taugen zu nichts!“ Davon war auch Bartolomea ganz überzeugt; aber sie wußte auch: „Wenn Gott sich zu seiner Ehre unser bedienen will, müssen wir ihn nach seinem Willen gewähren lassen.“ Als dann schließlich der Bischof von Brescia zur Ausführung des Planes ermunterte, da ergab sich Vincenza und meinte: „So geschehe denn der Wille Gottes! Wenn ich auch zu nichts Gutem fähig bin, so wird er doch etwas mit mir zu machen wissen.“ Dabei erinnerte sie sich mit Vorliebe an die Tatsache, daß der Heiland mit ein wenig Lehm – der zum Zweck der Heilung ganz ungeeignet ist – die Augen eines Blinden heilte. In diesem Stückchen Lehm sah sie ein Bild ihres Lebens. Hätte sie aber gewußt oder geahnt, daß die heilige Capitanio so bald die Erde mit dem Himmel vertauschen und sie allein lassen würde – wenige Monate nachdem sie beide die letzten Widerstände der Verwandten hatten aufhören sehen und sich in das erste Haus des Instituts zurückziehen konnten -, so hätte sie wohl um keinen Preis ihr Jawort gegeben. Tatsächlich schien es nach jenem traurigen 26. Juli 1833, dem Todestag Capitanios, ihr selbst und anderen selbstverständlich, daß der Tod ihrer Gefährtin auch das Ende des kaum in die Wege geleiteten Werkes bedeuten müsse. Als aber mehrere Priester in sie drangen, die Gedanken der verstorbenen Heiligen doch zu verwirklichen, da hatte Katharina Gerosa wieder nur die eine Frage: „Ist es tatsächlich der Wille Gottes?“ Und auf die bejahende Antwort ihres Seelenführers gehorchte sie wiederum; denn in ihrem ganzen Leben wollte und suchte sie nie etwas anderes als Gottes heiligen und allzeit heiligenden Willen.
Vincenza wird Leiterin des Instituts
Geführt von ihrem guten, Gott liebenden Herzen, beraten von ihrem gesunden Sinn und in ständiger Abhängigkeit vom heiligen Geist Gottes, leitete sie vierzehn Jahre lang – bis zu ihrem Tod am 28. Juni 1847 – das Institut, dessen Geist und Regeln ihre junge, heilige Freundin angegeben hatte. Der Heroismus, mit dem die ersten „Schwestern von der Liebe“ im Jahre 1836 den Pestkranken in Lóvere beistanden, ließ vielerorts nach ihnen verlangen, und so wurden bald in den meisten Städten Norditaliens Häuser des Instituts eröffnet. Kardinal Gaisruck rief sie im Jahre 1843 nach Mailand. Dort ist heute das „Mutterhaus“ der Schwestern und dort wurde die seligste Jungfrau in besonderer Weise ihre Patronin. Die Franziskaner-Schwester Clara Isabella Fornari († 1744) hatte nämlich aus Wachs ein Bild gefertigt, das Maria als kleines Kind darstellte. Dieses Wachsbild kam schließlich in den Besitz der Schwestern, die es in der Kranken-Abteilung verehrten. Als dort im Jahre 1884 durch dieses Bild ein Wunder geschah, wurde die Kranken-Abteilung in ein Heiligtum verwandelt und die Verehrung des Bildes verbreitete sich im Volk, das die Schwestern der heiligen Capitanio und Gerosa heute allgemein nur die „Schwestern vom Kinde Maria“ nennt.
Was Papst Pius XI. über die Heilige sagt
Papst Pius XI. sagte von Mutter Vincenza Gerosa, gelegentlich ihrer Seligsprechung im Jahre 1933: „Eine einfache Frau mit etwas Talent für Verwaltung und mit großer Energie … steigt empor zu den herrlichen Höhen der Vollkommenheit, der Gnade und der Liebe zu Jesus Christus, der Tugenden und besonders – nach dem Beispiel des göttlichen Meisters – der Liebe und der Demut, der beiden Haupttugenden zur Heiligung der Seele. Sie ist so vollendet in vielen edlen Eigenschaften, so glühend in ihrer Liebe und so strahlend in ihrer Einfalt, daß sie an die herrlichsten Beispiele der Geschichte erinnert.“
Lieblingsworte der Heiligen
Von der herrlichen Einfalt und Geradheit ihres Geistes und ihrer Art mögen einige ihrer Lieblingsworte zeugen.
„In der Furcht Gottes ist alles enthalten. –
So viel ihr auch tut, es ist doch immer wenig für den Herrn, denn es braucht viel, um auch nur eine läßliche Sünde gut zu machen. –
Um die Reinheit zu bewahren, darf man den Leib nicht verzärteln; denn er ist wie ein Esel, der um so mehr will, je mehr man ihm gibt. –
Ich fürchte das Lob mehr als den Teufel; denn diesen verjagt, man mit dem Zeichen des Kreuzes, das Lob aber bleibt und schadet der Seele. –
Wir tun das, was wir können, und dann überlassen wir die Dinge Gott. –
Wenn Gott uns gibt, worum wir beten: gut; wenn er es nicht gibt, so beten wir trotzdem weiter; das Gebet ist nie umsonst; es wird Frucht tragen früher oder später, so wie wir wollen oder wie der Herr es will. Man soll keine Wunder von Gott verlangen, aber seid sicher, daß der Herr, wenn nötig, auch Wunder tun wird.“ –
Wenn Kreuz und Leiden kamen, pflegte sie sogleich auszurufen: „Überlassen wir uns demHerrn!“ Von ihr selbst aber sagte ihre Umgebung: „Je mehr Kreuz und Widerwärtigkeit sie hat, desto mehr ist sie zufrieden.“
Diesen Starkmut holte sie immer wieder aus der Kraft des Kreuzes Christi selbst. In allen Schwierigkeiten umfaßte und küßte sie das Kruzifix, das sie auf der Brust trug, und betete: „Alles für dich!“
Wie sehr ihre Einfachheit und Einfalt im Gebet auch bei ihren Töchtern Schule machte, zeige zum Schluss folgende kleine Begebenheit: Zuweilen hörten die Schwestern die vor dem Allerheiligsten halblaut beten: „O Herr, ändere und tausch mir dieses Herz und diesen meinen Kopf!“ Eine Novizin hörte diesen Ruf der Mutter und rief ihrerseits aus: „O Herr, gib mir diesen Kopf!“ –
aus: Ferdinand Baumann SJ, Pius XII. erhob sie auf die Altäre, S. 88 – S. 91