Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten
Achte Betrachtung: Der Tod des Gerechten
“Kostbar in den Augen des Herrn ist der Tod seiner Heiligen.” (Ps. 115, 1)
Erster Punkt.
Mit den sinnlichen Augen betrachtet, erscheint der Tod schrecklich und furchtbar; sieht man ihn aber im Glauben an, so erscheint er tröstlich und wünschenswert. Furchtbar erscheint er den Sündern, liebenswürdig und kostbar aber den Heiligen. „Er ist kostbar“, sagt der heilige Bernhard, „als Ende der Mühsale, als Vollendung des Sieges, als Pforte zum Leben.“ Als Ende der Mühsale; denn im Tode haben alle Trübsale, alle Leiden dieser Welt ein Ende. Der Mensch vom Weibe geboren, lebt eine kurze Zeit und wird mit vielem Elend erfüllt. (Job 14, 1)
Hieraus sehen wir, was unser Leben ist; es ist kurz, es ist ganz voll Elend; voll von Krankheiten, von Furcht und Leiden. Was suchen die Weltmenschen, die sich ein langes Leben wünschen, anderes, fragt Seneca, als eine lange Pein? Fortfahren zu leben, sagt der heilige Augustin, heißt nichts anderes, als fortzufahren zu leiden. Und dies deshalb, weil, nach der Lehre des heiligen Ambrosius, das gegenwärtige Leben uns nicht gegeben ist, um auszuruhen, sondern damit wir uns abmühen und durch diese Bemühungen uns das ewige Leben verdienen. Mit Recht sagt daher Tertullian, dass, wenn Gott jemanden das Leben verkürzt, Er ihm nur die Pein abkürze.
Daher kommt es denn, dass, wenn gleich der Tod den Menschen zur Strafe für die Sünde gegeben ist, dennoch die Armseligkeiten dieses Lebens so groß sind, dass der Tod, nach dem heiligen Ambrosius, uns vielmehr zur Erleichterung als zur Strafe verliehen zu sein scheint. Gott nennt jene selig, die in seiner Gnade sterben; denn für sie nehmen die Mühseligkeiten ein Ende, und sie gehen zur Ruhe ein: Selig sind die Toten, die im Herrn sterben. Von nun an, spricht der Geist, sollen sie ruhen von ihren Mühen. (Offenb. 14, 13)
Die Peinen, welche die Sünder im Tode quälen, beängstigen die Heiligen nicht: Die Seelen der Gerechten sind in der Hand Gottes, und die Qual des Todes berührt sie nicht. (Weish. 3, 1) Die Heiligen werden nicht durch die Worte betrübt: „Fahre hin, o Seele!“ Worte, vor denen die Weltmenschen so sehr erschrecken. Sie werden nicht traurig, wenn sie die Güter dieser Welt verlassen müssen, da ihr Herz losgeschält davon hier auf Erden lebte; denn unausgesetzt riefen sie aus: Meines Herzens Gott und mein Teil ist Gott in Ewigkeit! (Ps. 72, 26)
Selig pries der Apostel seine Jünger, die um Jesu willen ihrer Güter beraubt worden waren: Ihr ertruget mit Freuden den Raub eurer Güter, wohl wissend, dass ihr ein besseres und bleibendes Gut habt. (Hebr. 10, 34)
Die Heiligen betrüben sich nicht, die Ehren dieser Welt verlassen zu müssen; denn sie haben sie vielmehr verabscheut als geliebt, und sie für das, was sie sind, für Rauch und Eitelkeit gehalten. Sie haben nur die Ehre geschätzt, Gott zu lieben und von Gott wieder geliebt zu werden. Sie betrüben sich nicht darüber, ihre Verwandten verlassen zu müssen; denn sie haben dieselben nur in Gott geliebt, und beim Tode empfehlen sie alle dem himmlischen Vater an, der sie mehr liebt, als sie selbst; ja weil sie in der Hoffnung sterben, selig zu werden, so sind sie überzeugt, dass sie den Ihrigen im Himmel besser helfen können, als hier auf Erden.
Mit einem Wort: Wer im Leben zu sagen gewohnt war: „Mein Gott und mein Alles!“, der wiederholt dies beim Tode mit noch weit größerem Trost, mit noch weit größerer Innigkeit.
Wer in Liebe seines Gottes stirbt, der beunruhigt sich auch nicht wegen der Schmerzen, welche der Tod mit sich bringt; nein, er erfreut sich vielmehr deshalb, da er bedenkt, dass sein Leben jetzt zu Ende geht, dass ihm nur noch wenig Zeit übrig bleibt, für Gott zu leiden und Ihm andere beweise seiner Liebe darzubringen; deshalb opfert er voll Liebe und inneren Friedens diese letzten Augenblicke seines Lebens dem Herrn auf und tröstet sich dadurch, dass er das Opfer seines Todes mit dem Opfer vereinigen kann, welches Jesus Christus eines Tages für ihn am Kreuz dem ewigen Vater dargebracht hat.
Und so stirbt er glückselig, indem er ausruft: Ich schlafe darüber in Frieden und Ruhe. O wie süß, ganz ergeben zu sterben in den Armen Jesu Christi, der uns bis in den Tod geliebt hat und eines so bitteren Todes sterben wollte, um uns einen süßen und trostreichen Tod zu erlangen!
Erster Punkt: Anmutungen und Bitten
O mein geliebter Jesus, der Du, um uns einen sanften Tod zu erwerben, auf dem Kalvarienberg eines so bitteren Todes hast sterben wollen, o wann werde ich Dich einmal erblicken! Wenn ich Dich zum ersten Male sehen werde, so werde ich Dich an demselben Ort, wo ich meinen Geist aufgebe, als meinen Richter erblicken. Was werde ich dann zu Dir sagen, und was wirst Du zu mir sprechen? Ich will nicht bis zu jenem Augenblick warten, um daran zu denken; nein, jetzt schon will ich es voraus überdenken.
Siehe, ich will zu Dir sprechen: „O mein geliebter Erlöser, Du bist es also, der für mich gestorben ist! Ach! eine Zeit lang habe ich Dich beleidigt, bin ich undankbar gegen Dich gewesen und habe keine Verzeihung verdient.
Aber später bin ich mit dem Beistand deiner Gnade in mich gegangen und habe die noch übrigen Tage meines Lebens meine Sünden bereut; und Du hast mir dieselben verziehen. Verzeihe mir auch jetzt, da ich zu deinen Füßen Dich darum bitte, und gib Du selbst mir eine allgemeine Lossprechung von meinen Sünden! Ich habe es freilich nicht verdient, Dich noch zu lieben, da ich deine Liebe gering geachtet habe; aber Du hast in deiner Barmherzigkeit mein Herz an Dich gezogen, welches, wenn es Dich auch nicht geliebt hat, wie Du es verdientest, Dich dennoch über alles liebte und allem entsagte, um Dir wohl zu gefallen.
Was sagst Du jetzt zu mir, o mein Gott? Ich erkenne freilich, dass der Himmel und das Glück, Dich in deinem Reich zu besitzen, ein allzu großes Gut für mich ist; aber ich vermag nicht fern von Dir zu leben, um so weniger jetzt, da Du mir dein liebenswürdiges und schönes Antlitz gezeigt hast. Ich bitte Dich also um den Himmel, nicht etwa, damit ich mehr Freude erlange, sondern damit ich Dich desto inniger liebe.
Schicke mich ins Fegefeuer auf so lange, als es Dir gefällt! Nein, ich will nicht, wie ich jetzt bin, in jenes Vaterland der Reinheit gelangen; ich will mich nicht so beschmutzt und befleckt unter jenen reinen Seelen sehen. Lasse mich immerhin zuvor gereinigt werden, verstoß mich nur nicht auf immer von deinem Angesicht! Es genügt mir, wenn Du mich nur eines Tages, wann immer es Dir gefällt, in den Himmel berufst, damit ich in Ewigkeit deine Barmherzigkeit preisen könne. Wohlan, mein geliebter Richter; erhebe die Hand, segne mich und sage mir, dass ich dein sei, dass Du mein seiest und es auf ewig bleiben wollest! Ich werde Dich immer lieben, und Du wirst mich immer lieben.
Siehe, jetzt bleibe ich noch fern von Dir, da ich in das Feuer gehe; aber ich gehe bereitwillig, da ich gehe, um Dich zu lieben, o mein Erlöser, mein Gott und mein Alles! Ja, ich gehe bereitwillig; wisse indes, dass in dieser Zeit, da ich fern von Dir sein werde, diese meine Entfernung von Dir meine größte Qual ausmachen wird. Ich gehe, o Herr, um die Augenblicke zu zählen, bis Du mich zu Dir rufst. Habe Mitleid mit einer Seele, die Dich von ganzem Herzen liebt und darnach seufzt, Dich zu sehen, um Dich inniger lieben zu können!“
Auf solche Weise hoffe ich, o mein Jesus, dann mit Dir zu sprechen. Deshalb bitte ich Dich, mir die Gnade zu verleihen, so zu leben, dass ich dann zu Dir sagen könne, was ich jetzt gedacht habe. Gib mir die heilige Beharrlichkeit, gib mir deine Liebe! –
Stehe mir bei, o Mutter Gottes Maria; bitte bei Jesus für mich!
Zweiter Punkt.
Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein. (Offenb. 21, 4) Es wird also der Herr seinen Dienern bei ihrem Tod alle Tränen abtrocknen, die sie hier auf Erden vergossen, da sie ihr Leben in Mühseligkeiten, Furcht, Gefahren und Kämpfen gegen die Hölle zugebracht haben. Am meisten wird eine Seele, welche Gott geliebt hat, bei der Ankündigung ihres Todes der Gedanke trösten, dass sie in Kurzem von so vielen hier auf Erden drohenden Gefahren, Gott zu beleidigen, von so vielen Gewissensängsten und so vielen Versuchungen des Teufels befreit sein wird.
Das gegenwärtige Leben ist ein beständiger Kampf mit der Hölle, da wir stets in Gefahr sind, Seele und Gott zu verlieren.
Der heilige Ambrosius sagt, dass wir auf dieser Erde immer zwischen den Schlingen unserer Feinde einhergehen, die bemüht sind, uns das Leben der Gnade zu rauben. Diese Gefahr war es, welche den heiligen Petrus von Alcantara beim Tode, als ihn einer seiner Mitbrüder bei der Krankenpflege berührte, ausrufen ließ: Zurück, Bruder! Denn noch bin ich am Leben, noch bin ich in Gefahr, verdammt zu werden! Um dieser Gefahr willen ward die heilige Theresia jedesmal erfreut, wenn sie die Uhr schlagen hörte, da sie Gott dankte, dass wieder eine Stunde des Kampfes vorüber sei; denn, sagte sie: „Jeden Augenblick kann ich sündigen und Gott verlieren.“
Deshalb haben denn auch die Heiligen die Nachricht von ihrem Tod so freudig aufgenommen, da sie bedachten, dass die Kämpfe und Gefahren jetzt bald ein Ende hätten und sie nahe daran seinen, sich des glücklichen Loses zu versichern, Gott nicht mehr verlieren zu können.
Im Leben der Altväter wird erzählt, dass in Scythien ein alter Einsiedler auf dem Sterbebett lachte, während die anderen weinten. Als man ihn fragte, warum er lache, antwortete er: Aber warum weint ihr denn, da ihr doch seht, dass ich zur Ruhe eingehe? Auch die heilige Katharina von Siena rief bei ihrem Tode aus: „Freuet euch mit mir, da ich dieses Land des Elends verlasse, um mich an den Ort des Friedens zu begeben!“ Wenn jemand, sagt der heilige Cyprian, in einem Hause wohnte, dessen Mauern teilweise eingestürzt, dessen Boden und Dach dem Einsturz nahe sind, so würde derselbe sicherlich wünschen, dasselbe verlassen zu können.
Aber hier auf Erden droht alles der Seele mit Verderben: die Welt, die Hölle, die Leidenschaften, die aufrührerischen Sinne, alles reißt uns in die Sünde und in den ewigen Tod dahin: Wer wird mich von dem Leib dieses Todes befreien? rief der Apostel aus. (Röm. 7, 24) O welche Freude wird die Seele empfinden, wenn sie die Worte vernimmt: Komm vom Libanon, meine Braut, komm von den Lagern der Löwen! (Hohel. 4, 8) Komm, o meine Braut, verlasse diesen Ort der Tränen, komm aus den Höhlen der Löwen hervor, die dich zu verschlingen und um die göttliche Gnade zu bringen suchen!
Deshalb sagt der heilige Paulus, indem er den Tod herbeiwünschte, dass Jesus Christus sein einziges Leben sei, und dass er seinen Tod für den größten Gewinn halte, den er nur machen könne, da er durch den Tod jenes Leben erlange, das niemals ein Ende nimmt: Christus ist mein Leben, und Sterben mein Gewinn. (Phil. 1, 21)
Gott erweist der Seele eine große Gnade, wenn Er sie, da sie sich in seiner Gnade befindet, von dieser Welt hinwegnimmt, wo sie sich ändern und seine Freundschaft wieder verlieren kann: Er ward hinweggenommen, damit die Bosheit seinen Verstand nicht verkehre. (Weish. 4, 11) Glücklich ist derjenige, welcher hier auf Erden mit Gott vereinigt lebt.
Wie man aber von einem Schiffer nicht eher sagen kann, er sei außer Gefahr, als bis er in den Hafen eingelaufen und dem Sturm entgangen ist: so kann man auch eine Seele erst dann vollkommen glücklich nennen, wenn sie in der Gnade Gottes diese Welt verlassen hat. Preise den Seefahrer erst dann glücklich, sagt der heilige Ambrosius, wenn er den Hafen erreicht hat. Ist nun aber der Seefahrer voll Freuden, wenn er nach so vielen Gefahren nahe daran ist, in den Hafen einzulaufen; um wie viel mehr muss sich dann nicht jener freuen, der nahe daran ist, sich auf immer seines Heiles zu versichern.
Überdies kann man in dieser Welt nicht leben, ohne wenigstens lässliche Sünden zu begehen; denn, heißt es in der heiligen Schrift, siebenmal fällt der Gerechte. (Sprichw. 24, 16) Wer aber dies Leben verlässt, hört auf, Gott zu missfallen.
„Was ist der Tod anderes“, sagt der heilige Ambrosius, „als ein Begräbnis der Laster?“ Das ist also auch ein Grund, weshalb Seelen, die Gott lieben, den Tod so innig wünschen. Damit tröstete sich bei seinem Tod ehrwürdige P. Vincenz Caraffa, indem er sagte: „Wenn ich zu leben aufhöre, so höre ich auch auf, Gott zu beleidigen.“ Und derselbe heilige Ambrosius sagte: „Warum wünschen wir dieses Leben, da man doch, je länger dasselbe dauert, nur mit desto größerer Sündenlast beladen wird?“ Wer in der Gnade Gottes stirbt, wird in den Stand gesetzt, Gott nicht mehr beleidigen zu können. „Der Tote kann nicht sündigen“, sagt der nämliche Heilige.
Darum preist der heilige Geist die Verstorbenen glückseliger als jeden Lebenden, sei er auch ein Heiliger: Ich pries die Toten glücklicher als die Lebendigen. (Eccl. 4, 2) Ein frommer Mann befahl, dass man bei seinem Tod ihn davon benachrichtigen solle durch die Worte: „Freue dich! denn die Zeit ist gekommen, da du Gott nicht mehr beleidigen wirst.“
Zweiter Punkt: Anmutungen und Bitten
In deine Hände empfehle ich meinen Geist. Du hast mich erlöst, o Herr, Gott der Wahrheit. Ach, mein süßer Heiland, was wäre aus mir geworden, wenn Du mich hättest sterben lassen, als ich fern von Dir war? Ich würde jetzt in der Hölle sein, wo ich Dich nicht mehr lieben könnte.
Ich danke Dir, dass Du mich noch nicht verlassen und dass Du mir so viele Gnaden erwiesen hast, um mein Herz zu gewinnen. Ich bereue es, Dich beleidigt zu haben; ich liebe Dich über alles. Ich bitte Dich, lasse mich immer mehr erkennen, welch großes Übel ich begangen, da ich Dich verachtet und Dir die Liebe versagt habe, welche deine unendliche Güte verdient! Siehe, ich liebe Dich und wünsche, wenn es Dir wohlgefällig ist, also gleich zu sterben, um der Gefahr zu entgehen, deine heilige Gnade von Neuem zu verlieren, und um sicher zu sein, Dich in Ewigkeit zu lieben.
Mein geliebter Jesus, gib mir in den Jahren, welche mir noch übrig sind, Kraft, ehe der Tod kommt, etwas für Dich zu tun! Gib mir Stärke gegen die Versuchungen und Leidenschaften, vor allem gegen jene Leidenschaft, die früher am meisten Ursache war, dass ich Dir missfallen habe! Gib mir Geduld in den Krankheiten und bei den Unbilden, die mir von den Menschen zugefügt werden! Siehe, aus Liebe zu Dir verzeihe ich jetzt jedem, der mich verachtet hat, und bitte Dich, ihm die Gnaden zu verleihen, die er verlangt. Gib mir auch Kraft, in der Folge sorgfältiger darauf bedacht zu sein, lässliche Sünden zu meiden; denn ich muss es bekennen, hierin bisher sehr nachlässig gewesen zu sein.
O mein Heiland, stehe mir bei! Ich hoffe alles von deinen Verdiensten; ich vertraue auch ganz auf deine Fürbitte, o Maria, meine Mutter und meine Hoffnung!
Dritter Punkt.
Der Tod ist nicht nur das Ende der Mühseligkeiten, sondern auch die Pforte zum Leben, wie der heilige Bernhard sagt. Notwendigerweise muss man durch diese Tür gehen, wenn man dahin gelangen will, Gott zu schauen: Das ist die Pforte des Herrn; die Gerechten werden da hineingehen. (Ps. 117, 20)
Der heilige Hieronymus richtete an den Tod die Bitte: „Tue mir auf, mein Bruder!“ denn wenn du mir nicht die Pforte öffnest, so kann ich nicht zum Besitz meines Gottes gelangen. Als der heilige Karl Borromäus in seinem Haus ein Gemälde sah, welches ein Totengerippe mit einer Sichel in der Hand darstellte, so rief er den Maler zu sich und befahl ihm, die Sichel wegzuwischen und statt derselben einen goldenen Schlüssel hinzumalen; wodurch er die Sehnsucht nach dem Tode immer mehr entzünden wollte, da der Tod es ist, der uns den Himmel öffnen muss, um zur Anschauung Gottes zu gelangen.
Der heilige Johannes Chrysostomus sagt, dass, wenn ein König jemandem eine Wohnung in seinem Schloss bereitet hätte, denselben aber einstweilen verpflichtete, sich in einer elenden Hütte aufzuhalten, ein solcher gewiss innigst wünschen würde, seine Hütte bald zu verlassen, um in das Schloss zu gelangen. In diesem Leben befindet sich die Seele in dem Leib gleichwie in einem Kerker, um von da in das Himmelsschloss zu gelangen. Weshalb denn auch David Gott bat: Führe aus dem Kerker meine Seele. (Ps. 141, 8)
Als der heilige Greis Simeon das Jesuskindlein in den Armen hatte, da wusste er keine andere Gnade von Gott zu begehren als den Tod, damit er aus dem Gefängnis des gegenwärtigen Lebens befreit werde: Nun entlasse, o Herr, deinen Diener! Der heilige Ambrosius sagt über diese Worte: „Als ob er gewaltsam zurückgehalten werde, verlangt er, entlassen zu werden.“ Die nämliche Gnade verlangte auch der Apostel, da er sprach: Ich habe Verlangen, aufgelöst zu werden und mit Christo zu sein. (Phil. 1, 23)
Welche Freude hatte der Mundschenk des Pharao, als er von Joseph vernahm, er dürfe in Kurzem das Gefängnis verlassen, um wieder an seine frühere Stelle zu gelangen. Und eine Seele, die Gott liebt, sollte sich nicht freuen, wenn sie vernimmt, sie werde nach Kurzem den Kerker dieser Erde verlassen und zum Genuss ihres Gottes gelangen? Wir sind Pilgrime, entfernt vom Herrn, solange wir im Leibe sind. (2. Kor. 5, 6) Solange wir noch mit dem Körper vereinigt sind, befinden wir uns fern von der Anschauung Gottes, gleichwie in einem von unserer Heimat weit entlegenen Land; und darum sagt der heilige Bruno, man solle den Tod nicht Tod nennen, sondern vielmehr das Leben.
Deshalb nennt man auch den Todestag der Heiligen ihren Geburtstag, weil sie bei ihrem Tod zu jenem glückseligen Leben geboren werden, das kein Ende mehr nehmen wird. Für die Gerechten, sagt der heilige Athanasius, gibt es keinen Tod, sondern nur einen Übergang; denn für die Gerechten ist der Tod nur ein Übergang ins ewige Leben. „O liebenswürdiger Tod!“, ruft ein heiligen Augustin aus, „wer sollte dich nicht wünschen, da du das Ende der Arbeiten, das Ende der Mühseligkeiten und der Anfang einer ewigen Ruhe bist!“ Und mit innigem Verlangen bat der Heilige Gott: „Lass mich sterben, o Herr, damit ich Dich sehen möge!“
Wohl hat, sagt der heilige Cyprian, der Sünder den Tod zu fürchten, da er vom zeitlichen Tode zum ewigen Tode übergeht; nicht aber jener, der in der Gnade Gottes ist und deshalb hoffen darf, vom Tode zum Leben überzugehen.
Im Leben des heiligen Johannes des Almosengebers liest man, dass ein reicher Mann dem heiligen seinen einzigen Sohn empfohlen und ihm Almosen gegeben hatte, damit er demselben von Gott ein langes Leben erflehe; aber der Sohn starb kurze Zeit darauf. Als sich nun der Vater hierüber beklagte, sandte ihm Gott einen Engel, der zu ihm sprach: Du hast für deinen Sohn ein langes Leben verlangt, wisse, dass er dasselbe schon jetzt auf ewig im Himmel genießt. Dies ist jene Gnade, welche Jesus Christus uns, nach der Verheißung der Propheten, erlangt hat: O Tod, Ich will dein Tod sein! (Os. 13, 14) Jesus bewirkte durch den Tod, den er für uns litt, dass unser Tod zum Leben wird.
Als der Märtyrer Pionius auf den Richtplatz geführt ward, und jene, die ihn hinführten, fragten, wie er so freudig in den Tod gehen könne, da antwortete der Heilige: „Ihr irrt euch; nicht zum Tode, nein, zum Leben begebe ich mich jetzt.“ Auf gleiche Weise ward der heilige Jüngling Symphorian von seiner Mutter ermuntert, da er dem Märtyrertod schon ganz nahe war: „Mein Sohn!“, sprach sie, „das Leben wird dir nicht genommen, sondern in ein besseres verwandelt.“
Dritter Punkt: Anmutungen und Bitten
O Gott meiner Seele! ich habe Dich früher entehrt, da ich Dir den Rücken gewendet, aber dein Sohn Jesus hat Dich geehrt, da er sein Leben am Kreuz Dir aufgeopfert hat. Um der Ehre willen, die Dir dein geliebter Sohn erwiesen, verzeihe mir also die Unehre, die ich Dir angetan habe! Es reut mich, o höchstes Gut! Dich beleidigt zu haben, und ich verspreche Dir, von heute an nichts zu lieben als Dich allein. Von Dir, o Gott, hoffe ich mein Heil; denn alles Gute, das ich gegenwärtig besitze, verdanke ich deiner Gnade; ja ich erkenne, dass alles allein von Dir kommt. Durch die Gnade Gottes bin ich, was ich bin.
Wenn ich Dich früher verunehrt habe, so hoffe ich, Dich einst zu ehren, indem ich in Ewigkeit deine Barmherzigkeit lobpreise. Ich fühle in mir eine heftige Begierde, Dich zu lieben. Du bist es, o mein Gott, der mir dieselbe einflößt. Ich danke Dir dafür, o meine Seele! Fahre fort, fahre fort, mir beizustehen, wie Du damit begonnen hast; denn ich hoffe, von heute an dein, ja ganz dein zu sein. Ich entsage allen Freuden dieser Welt. Kann es wohl eine größere Freude für mich geben, als Dir, einem so liebenswürdigen Herrn, wohl zu gefallen, der Du mich so innig geliebt hast?
Um Liebe allein bitte ich Dich, o mein Gott, um Liebe, um Liebe, und ich hoffe, Dich immer um Liebe, um Liebe zu bitten, bis ich, in deiner Liebe sterbend, ins Reich der Liebe gelange, wo ich, ohne mehr darum bitten zu müssen, mit Liebe erfüllt sein werde, ohne auch nur einen Augenblick aufzuhören, Dich in alle Ewigkeit und aus all meinen Kräften zu lieben. –
O Maria, meine Mutter, die Du deinen Gott so innig liebst und so sehr wünschst, dass auch andere Ihn lieben, mache, dass ich Ihn in diesem Leben recht lieb habe, damit ich Ihn in der anderen Welt die ganze Ewigkeit aufs innigste liebe! –
aus: Alphons Maria von Liguori, Vorbereitung zum Tode oder Betrachtungen über die ewigen Wahrheiten, 1891, S. 70 – S. 83
Bildquellen
- Bitschnau Hl Alfons Von Liguori: © https://katholischglauben.info
- Messbuch Versehgang: © https://katholischglauben.info