Wo gehst du hin? Dem Grab entgegen!

Ein Friedhof in Mailand: Skulpturen auf den Gräbern, die beten, weinen und uns einen Beweggrund geben zur Buße , solange wir noch leben

Wo gehst du hin? Dem Tod entgegen ins Grab!

Betrachtung unseres letzten Endes

Meine Andächtigen! Wir alle miteinander, wie wir auf der Erde herum wandeln, sind Gefangene, zum Tode Verdammte; das Urteil ist uns schon angekündigt durch den heiligen Apostel Paulus. Es ist den Menschen gesetzt, ein Mal zu sterben. (Hebr. IX) Unser Leben ist der Weg nach der Richtstätte, zu der wir wirklich zum Tod hinaus geführt werden. Unser Leib und Leben ist jenes Gebäude, welches an einem reißenden Fluss liegt; die Zeit frisst immer daran und untergräbt allmählich das Fundament dieses Baues; ein jeder Augenblick, den wir leben, nimmt ein Stück von unserem Leben mit sich hinweg, und wird niemals in Ewigkeit wieder zurück kommen; ein jeder Atemzug drängt schon den andern fort, um endlich den letzten aus der Brust zu pressen. Auf solche Weise ist der Anfang unseres Lebens auch der Anfang unseres Sterbens…

Ja, zum Grabe gehen wir, das wissen wir wohl; aber der Weg kann sich noch lange hinaus ziehen, wir können noch viele Jahre hindurch also wandern und beim Leben bleiben; also denken die meisten. Daß sie sterben werden, gestehen sie alle miteinander ein, aber daß sie bald sterben werden, das glaubt kaum ein einziger. Ein jeder schaut gleichfalls durch ein langes Perspektiv seine Grabstätte an, von welcher er alsdann noch viele Meilen, viele Jahre entfernt zu sein scheint. Wer jung ist, baut auf sein blühendes, frisches Alter; wer erwachsen, auf seine männlichen Kräfte; der alte auf seine noch starke Gesundheit; ein jeder findet etwas in seiner Einbildung, womit er sich gegen den Tod wehrt. Deswegen läßt man sich wenig von dem Gedanken stören: Wo geht’s du hin? Zum Grab! …

Ach, meine Andächtigen, wie viele Menschen gehen und wissen nicht, wo sie hingehen? Wie viele Sterbende, wann sie gefragt würden, könnten dieselbe Antwort geben: ich habe nicht gewußt, wohin ich heute gehen sollte. Ich hatte mir eingebildet, ich werde in die Fremde, in diese, jene Stadt gehen, und habe nicht gewußt, daß ich noch während der Reise dem Tode entgegen gehen sollte. Ich hatte vermeint, ich würde aus dem fremden Land in mein Haus zu den Meinigen frisch und gesund wieder zurück kehren, und habe nicht gewußt, daß ich auf eben diesem Wege sterben werde. Ich hatte geglaubt, ich würde von dieser anfangs nicht sehr zu befürchtenden Krankheit aufkommen; und ich habe nicht gewußt, daß ich darin meinen Tod finden werde. Ich hatte gemeint, ich würde, weil ich noch jung, stark und gesund wäre, noch lange Jahre bis in das Greisenalter leben, und habe nicht gewußt, daß ich schon so früh in das Grab gehen werde… So gehen wir noch alle, meine Andächtigen, täglich zum Grab, und wissen nicht, wo und wann dieser Gang sein Ende erreichen wird.

Deswegen will ich, um nicht unvorbereitet ins Grab zu steigen, öfters diese Frag erwägen: Wo gehst du hin?

Zum Grabe mit dem Leib! So will ich mich fragen am Morgen, ehe ich das Haus verlasse: Wo gehst du hin? Immer näher dem Tode entgegen. So will ich mich denn hüten, daß ich mit keiner Sünde wieder zurückkehre! So will ich denken des Abends, ehe ich schlafen gehe: Wo gehst du hin? Zum Bett, dem Vorbild meines Grabes; zum Schlaf, dem Bruder des Todes, welche beide diese Nacht vielleicht zusammen treffen werden; so will ich denn erst mein Gewissen erforschen, durch aufrichtige Reue und Leid meine Sünden beweinen! So will ich denken in all meinem Tun und Lassen: Wo gehst du hin? Immer näher dem Grabe zu, auf daß ich in der Wahrheit mit dem Apostel sagen möge: Ich sterbe täglich; d. h. nicht allein gehe ich alle tage näher dem Tode entgegen, sondern täglich erkenne ich klarer die Vergänglichkeit aller Weltgüter; täglich sagt sich mein herz mehr und mehr los von den schnöden Freuden und Ergötzlichkeiten der Erde; täglich erhebe ich mein Gemüt und meine Sehnsucht mehr und mehr zu dem Himmel; täglich lebe ich, daß ich fertig und bereit bin, täglich zu sterben. Wo gehst du hin? Mit dem Leib zum Grab! Aber wo dann weiter hinaus mit der Seele? In die Ewigkeit! Dies laßt uns kurz im andern Teil betrachten. –
aus: Franz Hunolt SJ, Christliche Sittenlehre der evangelischen Wahrheiten, dem christlichen Volk in sonn- und festtäglichen Predigten vorgetragen, Bd. 9, Siebzehnter Teil, 1848, S. 8 – S. 14

Fortsetzung: Wo gehst du hin, menschliche Seele?

siehe auch den Beitrag: Stefan Ungeschickt oder Wohin gehen wir?

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