Der Kuss des göttlichen Jesuskindes

Weihnachtserzählungen

Der Kuss des Jesuskindes

Es sind nun über vierhundert Jahre her, da lebte im Klarissinnen-Kloster zu Bologna eine Klosterfrau, welche jetzt als Heilige in der ganzen Kirche verehrt wird.

Die Welt wußte nichts oder nur wenig von der Jungfrau. Vor Jahren hatte man viel von ihr gesprochen. Da ward sie, als Mädchen von etwa vierzehn Jahren, oftmals als Begleiterin der Prinzessin eines bekannten bolognesischen Fürsten gesehen, und sie hatte fast noch mehr als die Prinzessin den Blick aller auf sich gezogen. Eines Tages aber war sie verschwunden, und kein Auge hatte sie seitdem mehr gesehen. Fragte dann und wann jemand nach der Jungfrau, deren Zukunft so glänzend in der Welt werden konnte, so deutete wohl mit stummer Gebärde einer hinüber zum Klarissinen-Kloster, das ernst und streng inmitten des Weltlebens stand.

Hinter diesen Mauern, deren Pforte nie eines Mannes Fuß überschritten, und aus welchen nie eine der heiligen Jungfrauen wieder heraus getreten war, lebten die Bräute Christi gänzlich frei und von der Welt los geschält allein im Dienst Gottes, in Gebet, BetrachtungFürbitte, Selbsterkenntnis, Buße und Vollkommenheit, so wie einstens St. Johannes in der Wüste gelebt haben mag – ein geheimnisvolles Leben im alleinigen Verkehr mit Gott und Gottes Geist.
Hier war jetzt die Jungfrau schon seit Jahren; hier lebte sie, die glücklichste von allen, in ungetrübtem, süßem Gottesfrieden, den die Welt in Ewigkeit nicht geben kann.
Aber vergessen war sie trotzdem draußen nicht ganz.

Es war eines Abends, da zog eine lärmende Schar junger Leute an dem Klarissen-Kloster vorüber. Es waren vornehme Männer; sie kamen offenbar von ihren Belustigungen und waren aufgeregt und laut.
Bologna steht heute im Ruf, eine der unruhigsten Städte Italiens zu sein; das traf auch schon vor vierhundert Jahren zu, wo sie eine der berühmtesten Universitäts-Städte der Welt war. Denn auch damals gab es schlimme, verdorbene, gottlose Menschen.
Die Gesellschaft ging also am Kloster vorbei, und mancher Spott flog hinauf zu den Mauern, die ruhig und ehern dastanden.
Zwei insbesondere trieben es gar arg.
Der eine davon stieß den andern an und sagte: „Wollen wir nicht deiner Braut hinter diesen Gittern ein Ständchen bringen?“ Der andere fuhr mit einem Fluch wütend auf: „Was geht mich die an? Sie hat mein Leben vergiftet; ich habe sie mir bestimmt zur Frau, und nun ist sie ins Kloster gegangen!“
„Hat sie deine Absichten gekannt?“ fragte der erste wieder.
„Ich weiß nicht; gesagt hab` ich ihr nichts, aber gleichwohl habe ich ihr Feindschaft geschworen.“
„Und warum denn, du Hitzkopf?“
„Sie sollte einmal meine Frau werden; ich hatte es bei mir beschlossen, und nun hat sie mir das alles vereitelt!“
„Aber sie hat es jetzt besser, sie ist Gottes Braut – bei dir hätte sie es jedenfalls nicht so friedlich gehabt.“
Ein entsetzlicher Fluch war die Antwort darauf. „Ich mache sie dir heute noch streitig, Gott“, schrie der Rasende, „ich hätte sie so glücklich gemacht wie du!“
Schaudernd waren die Genossen des Lästerers weiter geeilt; er aber, ein Vollblut-Italiener, stand in seiner ganzen Wut noch lange unter den Mauern des Klosters, ballte die Fäuste und schrie Verwünschungen, Drohungen und Lästerungen zu den Fenstern empor, an welchen sich kein Schatten zeigte.

Zur gleichen Zeit kniete die Nonne Katharina in ihrer Zelle. Sie hatte weder eine Ahnung davon, daß der Wütende draußen stand, noch wer er war, daß er sie kannte, und welche Absichten er früher gegen sie hatte, noch auch, was er zu dieser Frist Lästerliches und Gottloses redete.
Aber ihr Bräutigam, der Sohn Gottes, Jesus Christus, hörte es; und nicht umsonst heißt es von ihm, daß er eifersüchtiger Gott sei.
Wem er sich vermählt hat, den liebt er bis ans Ende und schützt und hegt und pflegt ihn mit unendlicher Liebe. Und so ist das Wunder geschehen, das sich ereignete. Während der wüste Mensch draußen tobte, stand in ruhiger, unnennbar milder und hehrer Majestät und Anmut die Mutter Gottes vor der heiligen Klosterfrau, welche still ihrem Gebet oblag. Auf den Armen trug Maria das süße Jesuskind, das Christkind, welches sie der Welt geschenkt hat.
Katharina aber erhob das reine Auge; die Zwiesprache, welche nun zwischen Gottes Sohn und seiner Mutter sowie der armen Nonne gehalten wurde, hat kein menschliches Ohr gehört. Sie war aber so selig, daß Katharina sich wie in den Himmel entrückt fühlte.
Und als das Jesuskind scheiden wollte, hielt sie es mit Ehrfurcht an der Hand fest. Es aber neigte sich zu ihr, und ihr war, als hörte sie es sagen: „Ich will dir ein unvergängliches Andenken geben!“ Und in diesem Augenblick hatte das heilige Christkindlein sie schon mit seinen Armen umfangen und sie auf die Lippe geküßt.
Sie wußte vor übernatürlicher Seligkeit und Wonne nicht, wie ihr geschah; die Sinne schwanden ihr.

Draußen war der Rasende weg gegangen.

Vierhundert Jahre und mehr sind nun über Bologna und das Klarissen-Kloster dahin gezogen. Der Lästerer ist gestorben, sein Leib ist vermodert, sein Name vergessen; was aus ihm ward, weiß Gott allein.

Und Katharina, die Nonne?

Die heilige Katharina von Bologna sitzt im Klarissen-Kloster in der Kapelle unverwest auf einem Stuhl, gekleidet in ihrer Ordenstracht

Gehe nach Bologna, geneigter Leser, und du wirst die Antwort hierauf mit deinen eigenen Augen aus der Wirklichkeit ablesen können. Gehe zum Kloster der Klarissinnen – man wird dich einlassen – und frage nach der hl. Katharina von Bologna, und man führt dich in eine Kapelle, welche der Kirche angebaut ist. Hier sitzt auf ihrem Stuhl, über vierhundert Jahre schon, die Nonne Katharina. Unverwest ist sie; ihren Leib musste das Grab wieder heraus geben; der Tod hat nur teilweise Gewalt über sie gehabt. Ihre Glieder sind beweglich, das Fleisch ist vollständig erhalten; wie sie zu Lebzeiten war, so ist sie hier im Tode – in stiller, friedlicher und anspruchsloser Majestät sitzt sie im Ordenskleid da. Ihr Angesicht und ihre Hände sind etwas bräunlich geworden vom Alter. Aber wenn du nahe hinschaust auf das Antlitz der heiligen Leibes, dann siehst du deutlich, wie an der Unterlippe ein blühend weißer Fleck ist, so rein und so frisch und rosig wie nur beim blühendsten Leben. Das ist die Stelle, wo des Jesuskindes Lippen die Heilige berührten. Durch die göttliche Macht ist diese Stelle gänzlich unversehrt geblieben – der Kuss des Jesuskindes. –
aus: Konrad Kümmel, An Gottes Hand, 2. Bd. Weihnachts- und Neujahrsbilder, 1916, S. 25 – S. 28

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