Das hohepriesterliche Gebet Jesu

Das hohepriesterliche Gebet Jesu vor Seinem Leiden

(Joh.  Kap. 17)

Der Heiland bittet 1. für sich um die Verherrlichung seiner menschlichen Natur; 2. für die Jünger um Bewahrung in der Wahrheit, Einheit und Einigkeit in Glauben und Liebe, Heiligung durch Wahrheit und Gnade, kurz um ewiges Leben; 3. für alle, die jemals durch der Jünger Wort zum Glauben an ihn kommen.

Nach diesen Worten erhob Jesus seine Augen zum Himmel und sprach (1): „Vater, die Stunde ist gekommen, verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche (2); so wie du ihm die Macht über alles Fleisch gegeben hast, damit er allen, die du ihm gegeben hast, das ewige Leben gebe. Das aber ist das ewige Leben (3), daß sie dich erkennen, den allein wahren Gott, und den gesandt hast, Jesus Christus. Ich habe dich verherrlicht auf Erden; ich habe das Werk vollbracht, das du mir zu verrichten gegeben hast. Und nun, Vater, verherrliche mich bei dir selbst mit jener Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.“ (4)
„Ich habe deinen Namen den Menschen geoffenbart, die du mir von der Welt gegeben hast. (5) Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort gehalten. Nun wissen sie, daß alles du mir gegeben hast, von dir ist. Denn die Worte, die du mir gegeben hast, habe ich ihnen gegeben; und sie haben dieselben angenommen und wahrhaftig erkannt, daß ich von dir ausgegangen bin, und haben geglaubt, daß du mich gesandt hast. Ich bitte für sie. Nicht für die Welt bitte ich, sondern für die, die du mir gegeben hast (6); denn sie sind dein. Und alles, was mein ist, ist dein; und was dein ist, ist mein (7); und ich bin verherrlicht in ihnen. Ich bin nicht mehr in der Welt; aber diese sind in der Welt, und ich komme zu dir.“
„Heiliger Vater! Bewahre sie in deinem Namen, die du mir gegeben, damit sie eins seien, wie wir es sind. (8) Da ich bei ihnen war, bewahrte ich sie in deinem Namen. Die du mir gegeben hat, habe ich bewahrt, und keiner von ihnen ist verloren als nur der Sohn des Verderbens, damit die Schrift erfüllt würde. (9) Nun aber komme ich zu dir, und ich rede dieses in der Welt, damit sie meine Freude vollkommen in sich haben. Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt haßt sie, weil sie nicht von der Welt sind, so wie auch ich nicht von der Welt bin. Ich bitte nicht, daß du sie von der Welt weg nehmst, sondern daß du sie vor dem Bösen bewahrst. Sie sind nicht von der Welt, weil auch ich nicht von der Welt bin. Heilige sie in der Wahrheit! (10) Dein Wort ist die Wahrheit. Wie du (11) mich in die Welt gesandt hast, so sende ich auch sie in die Welt; und ich heilige mich selbst für sie (12), damit auch sie in der Wahrheit geheiligt seien.“

„Aber nicht bloß für sie bitte ich, sondern auch für diejenigen, die durch ihr Wort an mich glauben werden (13), damit alle eins seien. (14), wie du, Vater, in mir bist, und ich in dir bin, damit auch sie in uns eins seien, und die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. Und ich habe die Herrlichkeit, die du mir gegeben hast, auch ihnen gegeben (15), damit sie eins seien, wie auch wir eins sind: ich in ihnen, und du in mir; damit sie vollkommen eins seien, und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du auch mich liebst. Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seine, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe die Welt gegründet ward. Gerechter Vater! Die Welt hat dich nicht erkannt; ich aber habe dich erkannt, und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. Und ich habe ihnen deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekannt machen (16), damit die Liebe, womit du mich geliebt, in ihnen sei, und ich in ihnen.“

Anmerkungen:

(1) Man nennt dies das hohepriesterliche Gebet Jesu, weil Jesus, der ewige Hohepriester, hier nach der Einsetzung seines unblutigen und im Angesicht seines blutigen Opfers betet für sich, für seine Jünger und für seine ganze Kirche, und sich durch dieses gebet dem Opfertod weiht. (Vgl. Hebr. 5, 7)
(2) Vgl. Joh. 12, 23; 13, 31. 32.
(3) Es beginnt hienieden mit der Erkenntnis Gottes durch den in der Liebe lebendigen Glauben und vollendet sich in der Ewigkeit in der seligen Anschauung Gottes. Die Erkenntnis des allein wahren Gottes scheidet die Jünger Jesu von den Heiden, die Erkenntnis Jesu als des Erlösers der Menschen scheidet sie von den Juden. Es sind also die zwei Haupt-Unterscheidungs-Lehren des Christentums hier hervor gehoben.
(4) Jesus hat den Vater auf Erden verherrlicht durch Vollbringung des Erlösungs-Werkes, das der Vater in erbarmender Liebe zu den Menschen ihm aufgetragen. Jetzt bittet er für seine heilige Menschheit, in der er das Werk vollbracht, um die Herrlichkeit, die er als der wesensgleiche Sohn Gottes von Ewigkeit besaß.
(5) Den Aposteln und Jüngern, die Gott vermöge seines ewigen Ratschlusses aus der sündigen Welt auserwählt und Christo zugeführt hat.
(6) Jesus betet hier zunächst und hauptsächlich für seine Jünger und hebt als Grund der Erhörung hervor, daß er hier nicht für die in Sünde und Unglauben versunkene Welt bete, sondern für solche, die durch den Glauben, die Gnade und die Liebe ihm und dem Vater bereits angehören und darum der hier erbetenen Gnaden besonders würdig seien. – Nachher betet Jesus für die ganze Kirche, am Kreuz betet er selbst für seine bittersten Feinde, und wie er sich für alle Menschen opferte, so betet er auch für alle Menschen. (Vgl. Is. 53, 12)
(7) Unwidersprechlicher Beweis für die wahre, wesensgleiche Gottheit Christi. – Hier und in den folgenden Worten hebt Jesus drei weitere Gründe hervor, warum der Vater sein Gebet für seine Jünger erhören möge, nämlich, weil sie ebenso wie ihm auch dem Vater gehören; ferner, weil durch sie Jesus verherrlicht wird; endlich, weil sie durch seinen Hingang den Trost seiner sichtbaren Gegenwart verlieren.
(8) Damit sie im Glauben und in der Liebe eins seien, wie wir es der göttlichen Natur nach sind.
(9) „Sohn des Verderbens“ heißt Judas, weil er sich dem sittlichen und dadurch auch dem ewigen Verderben ganz hingegeben hat. Er musste zu Grunde gehen, weil die Schrift es vorher sagte (Ps. 40, 10), aber sie hatte es nur vorher gesagt, weil Judas durch seinen freien Willen zu Grunde gehen wollte. Weit entfernt aber, daß er dadurch die Erfüllung des göttlichen Erlösungs-Ratschlusses aufgehalten hätte, musste er selbst dazu beitragen und zugleich die Allwissenheit Gottes verherrlichen, der diesen Verrat so viele Jahrhunderte vorher gesagt hatte. (siehe den Beitrag: Judas Iskariot Sohn des Verderbens)
(10) Nimm sie auf in deinen heiligen Dienst, bewahre sie zu diesem Zweck vor dem Bösen und rüste sie zur Verkündigung der göttlichen Wahrheit aus durch den Heiligen Geist, damit sie ihr hohes Amt gut verwalten und sich selbst immer mehr heiligen.
(11) Zwei Gründe der Erhörung seiner Bitte um Heiligung seiner Jünger, nämlich a) weil sie seine Apostel seien, b) weil er sich selbst für sie heilige, damit sie geheiligt seien. Der Vater soll nun dies Heiligungswerk unterstützen und vollenden, da Jesus die Apostel auf Grund jener Sendung, die er selbst von seinem Vater zur Erlösung der Welt empfangen, als die Boten seiner Wahrheit und Vermittler seiner Erlösungs-Gnade unter die Menschen senden will.
(12) Das betreffende griechische Wort heißt nicht bloß weihen, heiligen, sondern auch opfern, und so steht es hier. Jesus weihte sich dem Tode, opferte sich am Kreuz, wodurch er die Welt wieder mit Gott versöhnte, und darauf erst konnte auch der Heilige Geist über die Apostel herab kommen und sie zur Ausübung ihres apostolischen Amtes vollkommen aller Zeiten befähigen.
(13) Für alle Gläubigen aller Zeiten, für die ganze Kirche.
(14) Durch denselben Glauben und dieselbe Liebe sollen alle Christen auf das innigste verbunden sein. Die Einheit des Wesens, der Erkenntnis und des Willens zwischen dem Vater und dem Sohne in der gemeinsamen Liebe des Heiligen Geistes ist das erhabene Vorbild und zugleich der Grund jener Einheit, die Christus hier für die Seinigen erbittet. Diese Einheit im Glauben und in der Liebe soll sich auch nach außen offenbaren, und zwar so, daß die Welt darin den tatsächlichen Beweis für die göttliche Sendung Christi erblicken muss. Das Walten der christlichen Liebe in der Kirche, sowie die wunderbare, allen Stürmen nun schon seit neunzehn Jahrhunderten trotzende Einheit der Kirche ist ja auch wirklich ein fortwährendes Zeugnis für die göttliche Sendung ihres Stifters wie für ihre eigene Göttlichkeit.
(15) Diese Herrlichkeit Christi ist die Verklärung seiner heiligen Menschheit durch deren Verbindung mit der Gottheit in der Einheit der göttlichen Person, die auch nach außen hervor trat seit seiner Auferstehung. Diese Herrlichkeit, die Teilnahme an seiner Verklärung, gibt er den Seinigen schon in der heiligen Taufe durch die heiligmachende Gnade, durch die sie als lebendige Glieder seinem Leib eingepflanzt werden; dieselbe schreitet fort und entwickelt sich unter dem steten Einfluß der Gnade in einem wahrhaft christlichen Leben, wird besonders erhalten und genährt durch den Empfang des heiligsten Altarssakrament und endlich vollendet in der glorreichen Auferstehung und himmlischen Herrlichkeit, wo Christus mit allen seinen verklärten Gliedern das eine große Reich der triumphierenden Kirche bilden wird.
(16) Vgl. Ps. 21, 23; Hebr. 2, 12. –
aus: Schuster u. Holzammer, Handbuch zur Biblischen Geschichte, Zweiter Band, Das Neue Testament, 1910, S. 476 – S. 479

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