Christliche Keuschheit und jungfräulicher Stand
1. Der unmittelbare und unbewusste Zustand des kindlichen Sinnes und der natürlichen Keuschheit ist die Unschuld; das unwillkürliche Streben, die geschlechtlichen Beziehungen zu verhüllen, und sie in glücklicher Bewusstlosigkeit zu erhalten, heißt die Züchtigkeit. Die Mutter, Hüterin und Wächterin der Züchtigkeit und Keuschheit ist die Schamhaftigkeit, welche der Schöpfer in die menschliche Natur gelegt hat. Sie bildet die natürliche Schutzwehr gegen alles, was die edle und zarte Tugend der Keuschheit gefährden oder verletzen könnte. Die Schamhaftigkeit ist es auch, die uns auf die unmittelbarste und sicherste Weise darüber belehrt, was mit mit der Keuschheit sich verträgt und was ihr zuwider ist und widerstreitet. Die christliche Keuschheit ist die durch die göttlichen Anordnungen und die Vorschriften des Christentums geforderte sorgfältige und treue Beherrschung und Heiligung der Geschlechtseigenschaft. Ihrem inneren Wesen nach besteht sie in der Reinigkeit des Herzens, äußerlich offenbart sie sich als Enthaltsamkeit, Zucht und Sittsamkeit in Worten und in Werken. Keine Pflicht wird von der hl. Schrift mehr eingeschärft als die Beherrschung der Geschlechtsneigung, kein Laster strenger und nachdrücklicher verboten als die Geschlechts-Ausschweifung; ja selbst der Schatten der Unzucht, selbst die geheimste unreine Begierde wird aus dem christlichen Lebenskreis verbannt, in welchem nicht einmal der Name dieses Lasters genannt sein will.
Matth. 5, 8: „Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen.“ Ebd. 5, 28: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon Ehebruch mit ihr in seinem Herzen begangen.“
1. Thess. 4, 3 ff.: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung: daß ihr euch enthaltet von Unzucht und jeder seinen Leib unbefleckt und in Ehren zu halten wisse, nicht in der Lüste Trieb, wie die Heiden, welche Gott nicht kennen… Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinheit, sondern zur Heiligkeit.“
Eph. 5, 3 f.: „Hurerei und jede Art von Unzucht … werde unter euch nicht einmal genannt (soll etwas Unerhörtes sein), wie es Heiligen ziemt, noch Schamlosigkeit, noch Zoten und Possen, noch was ungebührlich ist, sondern vielmehr Danksagung.“
Ebd. 5, 29: „Kein schlechtes Wort gehe aus eurem Mund, sondern was gut ist zur Erbauung des Glaubens, daß es gnadenreich sei den Hörenden.“
1. Kor. 6, 1 ff.: „Wisset ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind? Soll ich nun die Glieder Christi nehmen und sie zu Hurengliedern machen? Das sei ferne! … Fliehet die Unzucht! Jede Sünde, die der Mensch tut, ist außer dem Leibe, wer aber Unzucht treibt, der sündigt wider seinen eigenen Leib.“ Ebd. 3, 16 f.: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnt?“
2. Obwohl der Ehestand der Anordnung Gottes gemäß zur Erhaltung des menschlichen Geschlechtes notwendig ist, so sind doch nicht alle Menschen zu demselben geeignet und berufen. Der Mensch ist als solcher persönlicher Eigentümer und Herr seiner selbst, seines Lebens und seiner Geschlechts-Eigenschaft und zur Ehe keineswegs verpflichtet. Er ist daher vollkommen frei, des ihm im Allgemeinen zustehenden Rechtes zur ehelichen Verbindung sich zu begeben und den jungfräulichen Stand für immer zu bewahren. Der jungfräuliche Stand ist nicht bloß viel geeigneter, als der mit vielen Sorgen und Mühen überhäufte Ehestand, um für das eigene und fremde Seelenheil zu sorgen; er besitzt an und für sich einen wesentlichen Vorzug vor dem ehelichen. Er beruht auf einem höheren Streben nach christlicher Vollkommenheit und bewirkt eine größere und allseitige Heiligung des Menschen. Seine Bewahrung ist daher dem Christen, insofern er Beruf dazu fühlt, ausdrücklich geraten.
Matt. 19, 12: „Es sind welche, denen die Ehe versagt ist, weil sie aus Mutterleibe also geboren worden; und es sind deren, weil sie von Menschen dazu gebracht worden; und es sind deren, weil sie selbst der Ehe entsagt haben des Himmelreiches wegen. Wer es fassen kann, der fasse es.“
1. Kor. 7, 8: „Ich sage den Unverehelichten und Witwen: Es ist ihnen gut, wenn sie so bleiben, wie ich“;
ebd. 7, 32 ff.: „Der Unverehelichte ist bedacht auf das, so des Herrn ist, wie er Gott gefallen möge; der Verehelichte aber ist bedacht auf das, was der Welt ist, wie er dem Weibe gefallen möge; und er ist geteilt. Das unverehelichte Weib und die Jungfrau ist bedacht auf das, was des Herrn ist, daß sie heilig sei dem Leibe und dem Geist nach; die Verehelichte aber ist bedacht auf das, was der Welt ist, wie sie dem Manne gefallen möge.“
Konzil von Trient (sess. 24, can 10): „Wenn Jemand behauptet, der Ehestand sei dem jungfräulichen oder ehelosen Stand vorzuziehen, und es sei nicht besser und seliger, jungfräulich oder ehelos zu bleiben, als zu heiraten, der sei im Banne.“
3. Die notwendige Voraussetzung und Grundlage der Keuschheit bildet die christliche Demut, und das erste und allgemeinste positive Mittel, das allen anderen voraus gehen und sie begleiten muss, ist das demütige Gebet. Wir tragen diesen kostbaren Schatz, wie der Apostel (2. Kor. 4, 7) sagt, in irdenen Gefäßen, und sind aus eigenen Kräften nicht im Stande, ihn zu bewahren. Die Keuschheit ist eine Gabe Gottes, von ihm müssen wir sie also vor allem und stets von Neuem erflehen.
1. Kor. 10, 12: „Wer da glaubt zu stehen, der sehe zu, daß er nicht falle.“
Weish. 8, 21: „Da ich wußte, daß ich nicht anders enthaltsam sein könnte, außer Gott teile mir diese Gabe mit, (und selbst zu wissen, von wem dieses Geschenk wäre, war schon Weisheit), so trat ich vor den Herrn, bat ihn und flehte ihn von ganzem Herzen an.“ Ps. 50, 12: „Ein reines Herz schaffe in mir, o Gott, und den rechten Geist erneue in meinem Innern!“
Eine eben so unerläßliche Bedingung zur Bewahrung der Reinigkeit und Keuschheit ist die sittliche Vorsicht und Wachsamkeit. Es liegt im Wesen der Demut, daß sie uns mißtrauisch macht auf uns selbst und daher wachsam und vorsichtig hinsichtlich dessen, was in und außer uns vorgeht. Die sittliche Wachsamkeit schließt also in sich: Aufmerksamkeit auf unsere Neigungen und deren erste Regungen; sorgfältige Bewahrung der Schamhaftigkeit, denn sie ist die anerschaffene Wächterin der Unschuld, Reinigkeit und Keuschheit; insbesondere Beherrschung der Einbildungskraft und der Sinne, vorzüglich der Augen, denn sie sind die Fenster, durch welche der Tod in die Seele einsteigt; Vorsicht im Umgang mit Menschen; gänzliche Vermeidung solcher Menschen, welche bösen Grundsätzen und lockeren Sitten ergeben sind; Enthaltung von jeder Vertraulichkeit mit Personen des anderen Geschlechtes, so wie Verzichtleistung auf gefährliche Unterhaltungen und Vergnügungen, wie ungeordneten Tanz, schlüpfrige Schauspiele und Lektüre, Betrachtung unreiner Gemälde.
2. Thess. 3, 6: „Wir gebieten euch aber, Brüder, im Namen unseres Herrn Jesu Christi, daß ihr euch entziehet jeglichem Bruder, der unordentlich wandelt, und nicht nach der Vorschrift, die sie von uns erhalten haben.“
Sprüche 6, 27 f.: „Kann wohl der Mensch Feuer in seinem Busen bergen, ohne daß seine Kleider verbrennen? Oder kann er auf Kohlen gehen, ohne daß seine Fußsohlen verbrennen?“
Als weitere wesentliche Bedingung zur Bewahrung der Keuschheit erscheinen: die Mäßigkeit im Gebrauch der Nahrungsmittel, besonders im Genuss geistiger Getränke, denn die Keuschheit verträgt sich nur mit strenger Nüchternheit; die Arbeitsamkeit und Berufstreue, körperliche Übung und Abhärtung; Flucht vor Müßiggang und Langeweile. Insbesondere aber sind zu empfehlen: beständiges und lebhaftes Andenken an die Allwissenheit und Allgegenwart Gottes, der Herz und Nieren durchforscht und auch die geheimsten Regungen unseres Herzens kennt (Joseph, Susanna); öfterer Empfang der heiligen Eucharistie, denn sie ist jenes Brot der Auserwählten und der Wein, aus welchem, wie der Prophet Zacharias (9, 17) sagt, Jungfrauen sprossen; Verehrung und Anrufung unseres heiligen Schutzengels und der allzeit reinen und unbefleckten Mutter des Herrn, der Königin der Jungfrauen, so wie auch anderer Heiligen, die sich durch diese Tugend besonders ausgezeichnet haben, wie insbesondere des englischen Jünglings Aloysius Gonzaga; Andenken an die letzten Dinge des Menschen, verbunden mit fleißiger Erwägung der hohen Würde der Tugend der Keuschheit und ihrer segensreichen Folgen und Wirkungen in der Zeit, so wie ihres herrlichen Lohnes in der Ewigkeit; auf der anderen Seite der schrecklichen Folgen der Unkeuschheit in diesem Leben und des sie jenseits treffenden Wehes.
Sir. 7, 40: „Bei allen deinen Handlungen denke an dein Ende, so wirst du in Ewigkeit nicht sündigen.“
4. Die Sünden der Unkeuschheit sind die abscheulichsten und im höchsten Grade verdammlich. Denn abgesehen von den unmittelbaren und höchst verderblichen zeitlichen und physischen Folgen zeigt sich in ihnen die tiefste Entwürdigung, zu der es der Mensch bringen kann. Durch sie wird das göttliche Ebenbild im Menschen auf das schändlichste verunehrt, und seine hohe Bestimmung mit Füßen getreten. Sie sind die gefährlichsten und fürchterlichsten, denn sie vergiften Leib und Seele zumal, und nicht nur diesen sichtbaren irdischen Leib, der eine Speise der Würmer sein wird, sondern auch den unsichtbaren Keim des zukünftigen Auferstehungs-Leibes. Denn, sagt der Apostel (1. Kor. 6, 18), „jede Sünde, die der Mensch begeht, ist außer dem Leib; wer aber Unzucht treibt, der sündigt an seinem eigenen Leib.“ Darum droht auch Gottes Wort den Unkeuschen ein besonders schweres Gericht, und verkündigt ihnen, daß sie keinen Teil am Reich Gottes haben werden.
1. Kor. 3, 17: „Wenn jemand den Tempel Gottes verdirbt, den wird Gott verderben; denn der Tempel Gottes ist heilig, und der seid ihr.“ Ebd. 6, 9f.: „Trüget euch nicht! Weder Hurer, noch Götzendiener, noch Ehebrecher, noch Weichlinge, noch Knabenschänder, noch Diebe, noch Habsüchtige, noch Säufer, noch Lästerer, noch Raubsüchtige werden das Reich Gottes besitzen.“ Gal. 5, 19 ff.: „Offenbar sind des Fleisches Werke, als da sind: Ehebruch, Hurerei, Unzucht, Üppigkeit, Abgötterei … wovon ich euch ankündige, so wie ich euch angekündigt habe, daß die, so dergleichen tun, das Reich Gottes nicht besitzen werden.“ Apok. 22, 15: „Draußen sind die Hunde, die Zauberer und die Hurer und die Mörder und die Götzendiener und alle, welche die Lügen lieben und tun.“ –
aus: J. M. Stadlbaur, Katholische Religionslehre für die studierende Jugend, 1856, S. 489 – S. 493