Die Bedeutung des leiblichen Lebens
Das leibliche und zeitliche Dasein und Leben des Menschen ist von unendlicher Bedeutung und Wichtigkeit. Dies beweist schon dessen Ursprung, sowie die von Gott ihm zugedachte Bestimmung. Ursprünglich durch den Hauch Gottes mit der unsterblichen Seele zugleich erweckt (1. Mos. 2, 7), sollte auch das leibliche Leben in der Einheit mit dem Leben der Seele an der Unsterblichkeit Teil nehmen. Und diese ursprüngliche Bestimmung des leiblichen Lebens ist trotzdem, daß in Folge der Sünde der Tod die Herrschaft über dasselbe erhalten hat, nicht aufgehoben worden. Denn Gott hat es sich vorbehalten, durch seine Allmacht das im Tode aufgelöste leibliche Leben wieder zu erwecken und den in Staub zerfallenen Leib mit der unsterblichen Seele dereinst für immer wieder zu verbinden. Groß und erhaben ist also die Würde und Bedeutung des leiblichen Lebens an und für sich schon.
Noch einleuchtender wird aber die Bedeutung und Wichtigkeit des leiblichen Lebens in der Betrachtung des entscheidenden Einflusses, den das zeitliche Leben und seine Dauer für das ewige Leben des Menschen hat. Nur so lange nämlich, als die Verbindung der Seele mit dem Leibe oder das zeitliche Leben dauert, währt die Zeit des Verdienstes. Von der guten oder schlechten Verwendung dieser kurzen Lebenszeit hängt das Los des Menschen für die ganze Ewigkeit ab. Sie ist die Zeit der Aussaat für die große Ernte, der Tag, den wir im Weinberg des Herrn zu arbeiten haben, die Frist, in welcher wir mit den anvertrauten Talenten wuchern sollen. (Matt. 13, 24f.; 20, 1ff.; 25, 14ff.) Je länger aber die Zeit des Lebens währt, desto mehr kann der Mensch für die Ewigkeit tun. Und je gefügiger und williger der Leib im Dienst der Seele ist, zu einer desto größeren Tugend und Gottähnlichkeit kann die Seele sich erschwingen. Daraus folgt aber von selbst die Pflicht, es in jeder Beziehung heilig zu halten und gewissenhaft dazu zu benützen, wozu es Gott uns verliehen hat. –
aus: J. M. Stadlbaur, Katholische Religionslehre für die studierende Jugend, 1856, S. 476 – S. 477